Napoleon. Trikolore und Kaiseradler über Rhein und Weser, hg. v. Veltzke, Veit. Böhlau, Köln 2007. XIV, 586 S. Besprochen von Werner Schubert.
Der wissenschaftliche Begleitband zur Napoleon-Ausstellung des Preußen-Museums Nordrhein-Westfalen vom 11. 2. bis 1. 7. 2007 in Wesel und Minden fasst den aktuellen Forschungsstand zur „Franzosenzeit“ auf dem Boden des heutigen Nordrhein-Westfalen zusammen. Im Mittelpunkt steht die Regierungszeit Napoleons in den linksrheinischen Departements, im Großherzogtum Berg und dem Königreich Westphalen sowie in den 1810/11 unmittelbar zu Frankreich gekommenen Landesteilen (u. a. Lippe-Departement). Die Aufsätze behandeln insbesondere die grundlegenden Modernisierungsprozesse in verfassungsmäßiger, rechtspolitischer und gesellschaftspolitischer Hinsicht im Rechtswesen, in der Judenemanzipation, der Kommunalverfassung sowie der wirtschaftlichen Struktur. Nicht ausgespart werden aber auch die Härten einer Besatzungspolitik, die durch hohe Militärkosten, Schutzzölle und den wirtschaftlichen Niedergang der rechtsrheinischen Gebiete gekennzeichnet war. Der Band wird eröffnet mit einem Beitrag H.-U. Thamers: „Buonaparte – Bonaparte – Napoleon. Vom Parteigänger der Revolution zum Kaiser“, der die verfassungsrechtliche Stellung Napoleons umreißt. J. Engelbrecht beschreibt in: „Bevor Napoleon kam: die ersten Jahre der französischen Herrschaft am Niederrhein“ (S. 71ff.) insbesondere die Rechtsreformen in den linksrheinischen Departementen bis 1800. Es folgt ebenfalls von Engelbrecht in: „Bürgerliche Reformen und imperiale Machtpolitik am Niederrhein und in Westfalen“ (S. 91ff.) ein Überblick über die Weiterführung dieser Reformen in der napoleonischen Zeit. Diese Thematik wird in weiteren Aufsätzen noch detaillierter behandelt. P. Burg stellt in: „Unter französischem Zepter. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Rheinland und Westfalen“ (S. 177ff.; leider mit nur wenigen bibliographischen Nachweisen) die Entfeudalisierung des Adels und den Aufstieg der bürgerlichen Gesellschaft heraus, der in preußischer Zeit zu einem relativ starken Bürgertum an Rhein und Ruhr führte. Ebenfalls von Burg bearbeitet ist das biographische Profil der napoleonischen Regionalverwaltung in Berg und Westphalen. Drei Aufsätze (Th. R. Kraus, A. Dylong und A. Becker) behandeln die kirchenrechtlichen Fragen in den linksrheinischen Gebieten, in Berg und Westphalen. B. Fleermann geht der jeweils unterschiedlichen Judenpolitik in den drei Territorien detailliert unter besonderer Berücksichtigung von Berg nach (S. 307ff.). Während in Westphalen die Emanzipation der Juden „zu einem äußersten Grad“ geriet, „der kaum anderen Orts erreicht wurde“ (S. 311), vollzog sich dieser Prozess in Berg zwar grundsätzlich nach westfälischem Vorbild, „jedoch sehr viel komplexer und mit erheblicher zeitlicher Verzögerung“ (S. 311). Allerdings wurden in Berg nicht die einschränkenden innerfranzösischen Judendekrete von 1808 verkündet (vgl. S. 317).
In ihrem Beitrag „Varianten napoleonischer
Modellstaatspoltik. Die Reichsstände des Königreichs Westfalen und das
Kollegium des Großherzogtums Berg“ arbeitet B. Severin-Barboutie erstmals
detailliert die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den westphälischen
und bergischen Ständen im Einzelnen heraus. Mit Recht stellt sie klar, dass
Berg wie Westphalen ein souveräner Staat gewesen sei, obgleich es „sich de
facto in Permanenz seines Bestehens unter französischer Dominanz befand“ (S.
311). Stubbe da Luz befasst sich mit Napoleons weitgehend
militärpolitischen Motiven für die Errichtung der rechtsrheinischen-deutschen
Departements (1810-1813; S. 233ff.), zu denen auch das Emsdepartement mit
Münster als Mittelpunkt gehörte, ohne dass er näher auf die tief greifenden
Rechtsreformen, die damit verbunden waren, eingeht. Der Band wird abgerundet
mit zehn Landkarten, welche die territorialen Veränderungen auf dem Gebiet des
heutigen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen in der napoleonischen Zeit
dokumentieren. Besonders nützlich ist die Karte für 1811, welche das Vordringen
Frankreichs nach Münster, Osnabrück und die Hansestädte verdeutlicht. Der mit
rund 500 meist farbigen Abbildungen ausgestattete Band wird abgeschlossen mit
einem Personenregister. Etwas sehr knapp ausgefallen ist der „Exkurs“ Th. Ohls
über die „Cinq Codes. Vom Französischen zum Rheinischen Recht“ (S. 109-111).
Wenn die Codes auch in vielen Aufsätzen immer wieder auftauchen, hätte eine
umfangreichere Abhandlung insbesondere über den Code Napoléon und die französische
Justiz- und Gerichtsverfassung die Bedeutung des französischen Rechts für das
Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen noch deutlicher aufzeigen können.
Insgesamt unterrichtet der Band zuverlässig über alle wichtigen Bereiche der
„Franzosenzeit“ (u. a. auch über die Techniken der Herrschaftssicherung durch
Staatskult und Propaganda sowie über die Architektur, die Mode und das
Mobiliar), weshalb es bedauerlich ist, dass der Band kein zusammenfassendes
Literaturverzeichnis enthält.
Kiel |
Werner Schubert |