Nachschlagewerk des Reichsgerichts. Gesetzgebung des Deutschen Reichs, hg. v. Schubert, Werner/Glöckner, Hans Peter. Band 4 NS-Zeit Beamten-, Anerben-, Arbeits-, Patent- und Aktienrecht sowie Sonderrecht für die Juden. Lang, Frankfurt am Main 2006. 439 S. Besprochen von Hans-Peter Benöhr.
Der Band enthält die Leitsätze
zu 238 Vorschriften des Reichs und Preußens aus der Zeit der
nationalsozialistischen Diktatur. Verglichen mit der beispielsweise von
Schlegelberger/Hoche nachgewiesenen großen Rechtsmasse des NS-Zeit ist die Zahl
der betroffenen Bestimmungen ziemlich gering, erklärbar aus dem übergroßen Teil
von nicht-justiziablen Gesetzen und Verordnungen und aus der Beschränkung des
Nachschlagewerks auf das Zivilrecht.
Die Entwicklung der Rechtsordnung unter dem Nationalsozialismus wird - zu Recht - unter den Gesichtspunkten des Rassismus, der Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen, des Einheits- und Parteistaates und des Angriffskriegs beschrieben. Diese Orientierungen bestimmen auch die Gesetze und die Leitsätze der Urteile aus dieser Zeit. Auffällig viele Entscheidungen ergingen zum Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (72) und zum Beamtenrechtsänderungsgesetz (52), in denen die Betroffenen seltener gegen den Verlust ihrer Stellung als um die Höhe ihrer weiteren Bezüge kämpfen. In den Nachweisen erscheinen ebenfalls das Reichsbürgergesetz und das Blutschutzgesetz, die Verordnungen zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben und über den Einsatz des jüdischen Vermögens von 1938, sowie viele einzelne, Juden benachteiligende Entscheidungen zu anderen Gesetzen. Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und das Ehegesundheitsgesetz sind ebenfalls vertreten. Einige Leitsätze betreffen das Ermächtigungsgesetz, das Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat, das Neuaufbaugesetz, das Reichsstatthaltergesetz und, nicht zu vergessen, das Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens. Hinzu kommen viele die NSDAP begünstigende Entscheidungen zu anderen Gesetzen. Manches wird kaum mehr bekannt sein, so das Ausgleichsgesetz von 1934 zum Ausschluss oder zur Beschränkung von Ansprüchen auf Grund „einer Handlung, die mit der nationalsozialistischen Erhebung und Staatserneuerung“ in Verbindung stand, und mit 217 Eintragungen bedacht ist.
Die Vorbereitung des Krieges und die Kriegsführung zeigen sich etwa in dem Wehr- und dem Luftschutzgesetz von 1935 und der Kriegswirtschaftsverordnung von 1939. Die Annexionen spiegeln sich in der Rechtsprechung zu den einschlägigen Gesetzen und Verordnungen betreffend das Saarland, das Land Österreich und die Ostmark, die sudetendeutschen Gebiete und das Protektorat Böhmen und Mähren sowie das Memelland wider.
Wenige Eintragungen finden sich zum Reichserbhof- und Testamentsgesetz, viel Judikatur wurde hingegen von dem Familienrechtsänderungs- und dem Ehegesetz verursacht (50 S.).
Zum großen Teil aufbauend auf Vorarbeiten in der Weimarer Republik und von fortdauernder Bedeutung war die gesetzgeberische und richterliche Aktivität in einigen wirtschaftsrechtlichen Bereichen: Gebrauchsmuster-, Patent- (25 S.) und Warenzeichengesetz, Depotgesetz, Aktiengesetz und Umwandlungsgesetz, Wechsel- und Scheckgesetz.
Mit anderen Gesetzesmaßnahmen wurde die Wirtschaftslenkung durchgesetzt, etwa mit dem Devisengesetz, dem Gesetz zur Vorbereitung des organischen Aufbaus der deutschen Wirtschaft, der Verordnung über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks, den Bestimmungen zur Organisation des Reichsnährstandes und zur Preisbildung
Über hundert Seiten nehmen arbeitsrechtliche Entscheidungen, vor allem zum Arbeitsordnungsgesetz, zum Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben und auch zum Vierjahresplan ein, hierzu gehören weiter die Arbeitszeitordnung, die Neuordnung des Lohnpfändungsschutzes, die Maßnahmen zur Verminderung der Arbeitslosigkeit und zur Arbeitsbeschaffung, aber auch die Einführung des Arbeitsbuchs. Die sehr große Zahl sonstiger sozialpolitischer Gesetze betrifft unter anderem: Pächterschutz und Pächterentschuldung, landwirtschaftliche Schuldenregelung, Zusammenschluss von Mühlen, Kleingärten, Milchwirtschaft, Schutz des Einzelhandels, Notlage der Binnenschiffahrt, Krankenversicherung, Kassenärztliche Vereinigung, Sozialversicherung, Verbot von Preiserhöhungen, Mieterschutz, Verhütung missbräuchlicher Ausnutzung von Vollstreckungsmöglichkeiten, Kleinrentnerhilfe, Verbrauchergenossenschaften, Zwecksparunternehmungen, Kündigungsschutz für Miet- und Pachträume und das Rabattwesen.
Aus dem Nachschlagewerk für diese Zeit stammen auch die überraschend wenigen Leitsätze zum Ehegesetz und die große Zahl zum Testamentsgesetz.
Charakteristisch sind der häufige Ausschluss des Rechtsweges und die Rückwirkung eines Gesetzes.
Der Wortlaut wichtiger Gesetze und Verordnungen ist abgedruckt. Den Band eröffnet die gewohnt sachkundige Einleitung mit Einzeleinführungen und Literaturnachweisen zu den bemerkenswertesten Gesetzen (7 – 16).
Schubert und
Glöckner haben damit die Veröffentlichung des Nachschlagewerks des Reichsgerichts
um einen wichtigen Schritt weitergebracht. Das gesamte Nachschlagewerk, das
sich jetzt in der Bibliothek des Bundesgerichtshofs befindet, besteht aus 57
Bänden und einem Registerband. Obwohl nicht alle Entscheidungen des
Reichsgerichts in das Nachschlagewerk aufgenommen wurden, wird allein für die
Zeit bis 1938 die Zahl von etwa 66 000 Einträgen für mehr als 500 Gesetze
genannt. Die ersten 21 Bände der Sammlung, die das gesamte BGB und das EGBGB
umfassen, hatten Schubert und Glöckner zwischen 1994 und 2002 in zehn Druckbänden
bei Keip herausgebracht. 1998 haben sie einzelne Teile aus den Bänden 52 bis 56
zum preußischen Recht publiziert. Seit 2005 edieren sie besonders wichtige
Teile aus den übrigen Bänden, indem sie der Chronologie der Gesetzespublikation
folgen. Begonnen haben sie mit zwei Druckbänden, welche die
Rechtsprechungsnachweise zu den Gesetzen aus der Kaiserzeit - vom Reichshaftpflichtgesetz
bis zum Kriegsnot- und Übergangsrecht- enthalten. Es steht jetzt noch die
Veröffentlichung der Leitsätze zu den Gesetzen und Verordnungen der Weimarer
Republik aus. Der vorliegende Druckband mit den Leitsätzen zu den Gesetzen aus
der NS-Zeit enthält den vollständigen Text der Bände 50 und 51 des
Nachschlagewerks. Diese Edition ermöglicht den gezielten Zugriff auf die
vollständigen RG-Urteile, d. h. die Begründungen meistens mitsamt Tatbestand,
die in der sogenannten „vollständigen Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts“
abgedruckt sind, die sich heute ebenfalls beim Bundesgerichtshof und in einem zweiten Exemplar im
Bundesarchiv in Potsdam befindet.
Das Nachschlagewerk der Leitsätze stellt für Rechtshistoriker, andere Juristen und Historiker sowie Politologen den unumgänglichen Einstieg in die Rechtsanwendung während der ersten vier Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts dar.
Berlin Hans-Peter Benöhr