Muscheler, Karlheinz, Die „Schopenhauer-Marquet“-Prozesse und das preußische Recht. Mohr (Siebeck), Tübingen 1996. 247 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Im Mai 1994 wählte der Verfasser einen (von zweien) von der 46jährigen unverheirateten Näherin Caroline Louise Marquet gegen den 33jährigen Arthur Schopenhauer geführten Prozess zum Gegenstand seiner Antrittsvorlesung in Bochum, um die Implikationen des deliktsrechtlichen Proportionalitätsprinzips im vormärzlichen Preußen zu beschreiben. Da es ihm schon bei der Beschäftigung mit diesem Verfahren lohnend erschien, beide Prozesse näher zu untersuchen und das vorfindbare Quellenmaterial zu edieren, veröffentlichte er zwei Jahre später das vorliegende Werk. Wie es öfter vorkommt, fand sich dafür auch ein Interessent, der aber seine Selbstverpflichtung zu erfüllen sich nicht im Stande sah, so dass mit unziemlicher Verspätung nach Rückleitung des Rezensionsexemplars wenigstens kurz auf die interessante Studie aufmerksam gemacht werden soll.

 

Am Sonntag, den 12. August 1821, hatte der zu dieser Zeit nicht besonders erfolgreiche Schopenhauer nach ganz kurzer Abwesenheit gegen 18 Uhr seine seit 16 Monaten von der Witwe Becker gemietete Unterkunft in Berlin, Niederlagstraße 4, betreten, um dort die befreundete 19jährige Tänzerin Carolin Médon zu erwarten. Im Entrée zu seinen beiden Zimmern fand er drei strickende Frauen vor. Da er sie als störend empfindet, wirft er die starke Person Marquet gewaltsam aus dem Entrée.

 

Die daraufhin von der Betroffenen angestrengten strafrechtlichen und schadensersatzrechtlichen Verfahren zogen sich über Jahre hin. Letztlich obsiegte die Klägerin. Die meisten Biographen Schopenhauers halten, gestützt auf dessen Darstellungen, den Vorfall für belanglos, die Klägerin für eine abgefeimte Lügnerin und die Urteile für falsch.

 

Der Verfasser untersucht die vorhandenen Verfahrensunterlagen selbständig. Vorweg schildert er den preußischen Zivilprozess und die zuständigen Gerichte. Danach geht er dem Injurienprozess und dem Schadensersatzprozess so sorgfältig wie möglich im Detail nach.

 

Im Ergebnis stimmt er den Entscheidungen der Gerichte zu, hält Schopenhauer in den meisten Hinsichten sogar für zu gut weggekommen. Auf allgemeinerer Ebene sieht er den preußischen Prozess in einem noch vorwissenschaftlichen Stadium. Im Detail sichert er diese Erkenntnisse seiner einnehmenden Studie im Anhang durch eine gleichgewichtige Edition ab.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler