Maissen, Thomas, Die Geburt der Republic. Staatsverständnis und Repräsentation in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft (= Historische Semantik 4). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007. 672 S. Besprochen von Louis Carlen.

 

Das Vorwort dieser Habilitationsschrift lässt mit seinen vielen Dankesbezeugungen erkennen, welch umfangreichen Kreis der Verfasser in seine Forschungen einbezogen hat. Das zeigt sich auch am 23seitigen Quellen- und 47seitigen Literaturverzeichnis. Einleitend gibt Maissen einen ausgezeichneten Überblick über den Forschungsstand, wobei er unterscheidet zwischen Republikanismus, politischen Ordnungsvorstellungen der Städtebürger im Alten Reich und dem politischen Selbstverständnis in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft. In seinen methodischen Vorbemerkungen unterscheidet Maissen für die Erforschung des „Republikanismus“ sechs Ansätze, für ihn aber geht es darum aufzuzeigen, wann man in der Eidgenossenschaft anfängt, von „Republik“ zu sprechen und welche Weisen des Verhaltens und Denkens zu einem gewissen Zeitpunkt als „republikanisch“ angesehen werden und in welchen Zusammenhängen. Dem gewählten Vorgehen liegt methodisch die Synthese aus französischer Diskursanalyse und deutscher Begriffsgeschichte nahe. Der Verfasser umschreibt klar sein Erkenntnisziel und Vorgehen.

 

Maissen sieht für den Anpassungsprozess an veränderte politische und sprachliche Rahmenbedingungen zwei gegensätzliche wichtige Staatsbegründungen: Jean Bodins Souveränitätslehre und den Reichsgedanken in Josias Simlers „Von dem Regiment der lobl. Eydgenossenschaft“. Im Überblick über die Republiken unter Monarchien im Europa des 17. Jahrhunderts stellt sich die Frage nach deren politischen Selbstverständnis und Rolle und welches Völkerrecht ihnen angemessen war. Welche Schlüsse sind daraus für die Eidgenossenschaft zu ziehen und was lernte diese daraus. Maissen gibt eine vortreffliche Darstellung der „Eidgenossenschaft als Völkerrechtssubjekt“ und zeigt, welches ihr politisches Selbstverständnis vor 1648 und ihre Stellungnahme in der Reichspublizistik war, aber auch wie sie in Frankreich beurteilt wurde, mit dem es protokollarische Konflikte gab. Ebenso wird das Verhältnis zum Westfälischen Frieden erläutert. Nicht mühelos erlernten die Eidgenossen die Konzepte, die Sprache und die Repräsentationsform eines Völkerrechtssubjekts. Friedensschlüsse und Völkerrecht im späten 17. und 18. Jahrhundert hatten Bedeutung. Die neue politische Sprache fand auch in der künstlerischen Repräsentation ihren Niederschlag, wodurch in Malerei und Dichtung das Bild der „Helvetia“ als republikanische Landespersonifikation entstand. Das Buch illustriert das durch eine Reihe von Abbildungen.

 

Da die feudale Struktur der Eidgenossenschaft für sie als Völkerrechtssubjekt hinderlich war, untersucht Maissen den Vorort Zürich mit seiner aktiven Außenpolitik und reichen Quellenlage als Beispiel. Ausgehend von Huldrych Zwinglis „Staatsverständnis“ und dem reformierten „Staatsdenken“ nach ihm sowie von der konfessionellen zur säkularen Außenpolitik verfolgt der Autor die wesentlichen Grundlinien bis zum Naturrecht der Bürgerbewegung von 1713.

 

Kantone, einzelne freie Städte und Zugewandte, zu denen auch Orte außerhalb heute schweizerischen Gebietes wie Mühlhausen und Rottweil gehören, werden nach ihrer obrigkeitlichen Repräsentation befragt und in Ikonographie, Architektur, Zeremoniell und Literatur analysiert. So zeigt sich der Wandel des politischen Selbstverständnisses und wodurch modernes Staatsdenken beschleunigt oder verzögert sich geltend machte. Der Verfasser kommt zum Schluss, dass „der Übergang in den einzelnen Kantonen und erst recht in der ganzen Eidgenossenschaft weder geradlinig noch nach einem übereinstimmenden Muster“ verlief (S. 542).

 

Der Einbruch französischer Revolutionstruppen in die Schweiz 1798 und dessen Folgen versetzten den bisherigen staatlichen Systemen einen schweren Schlag. Die Kantone waren nicht mehr souverän, sondern bloss Verwaltungseinheiten. Der Verfasser unternimmt aus der Perspektive von 1798 einen Definitionsversuch und klärt den frühneuzeitlichen „Republikanismus“ in der Eidgenossenschaft.

 

Das Buch von Thomas Maissen ist ein wesentlicher und ausgezeichneter Beitrag zur neuzeitlichen Geschichte der Schweiz, vor allem zu deren Staats-, Völkerrechts- und übrigen Rechtsgeschichte. Es steht aber auch in einem gesamteuropäischen Zusammenhang und legt am Beispiel der Schweiz dar, wie Reichsverständnis und Reichsrecht zum westlichen Staats- und Völkerrecht übergingen und der souveräne Staat entstand.

 

Brig                                                                                                       Louis Carlen