Krischer, André, Reichsstädte in der Fürstengesellschaft. Politischer Zeichengebrauch in der frühen Neuzeit (= Symbolische Kommunikation in der Vormoderne). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006. VII, 460 S. Ill. Besprochen von Gerold Neusser.

 

Fragen der Kommunikation innerhalb der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaft und Staatlichkeit traten in den letzten Jahrzehnten in das Licht der Geschichtswissenschaft, namentlich durch die vielfältigen Forschungen Gerd Althoffs. Ihm sind manche gefolgt, seit einigen Jahren konzentriert in dem Münsteraner Sonderforschungsbereich 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertsysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“. In diesem und dem DFG-Graduiertenkolleg „Gesellschaftliche Symbolik im Mittelalter“ an der Universität Münster ist die vorliegende Arbeit, betreut von Barbara Stollberg-Rilinger, entstanden. Die Rechtsgeschichte hat zu dieser Problematik bislang nur wenig beigetragen, abgesehen von den gewichtigen theoriegeschichtlichen Arbeiten Milos Vecs, insbesondere seiner Dissertation zur „Zeremonialwissenschaft im Fürstenstaat“ (1998).

 

Der Haupttitel des Bandes scheint die Thematik des Bandes zunächst breit anzulegen, sie ist freilich durch den Untertitel – notwendigerweise - begrenzt auf den „politischen Zeichengebrauch“, durch den die Kommunikation zwischen den Reichsstädten und den Fürsten sich vollzog. Zwar würde eine breit angelegte Untersuchung des Verhältnisses zwischen Reichsstädten und Fürsten eine wesentliche Lücke in der Erforschung des Mittelalters und der Frühen Neuzeit schließen können und damit auch einen tiefen Blick auf das Geflecht von Recht und Macht ermöglichen. Aber dazu fehlen wohl doch noch viele Vorarbeiten. Eine wesentliche hat der Verfasser mit seiner umfassenden und sorgfältig gearbeiteten Dissertation vorgelegt.

 

Wer einmal über Reichsstädte gearbeitet hat, dem wird deutlich sein, dass diese einerseits einen „Gegenpol“ gegenüber stets unmittelbar benachbarten fürstlichen (und geistlichen) Territorien darstellten, andererseits sich als Landesherren gegenüber ihren Untertanen in eigenen Territorien ähnlich verhielten wie die Fürsten (manchmal moderater). Die (geographische) Nachbarschaft, die spätestens seit den „Reformen“ Kaiser Karls V. fürstliche Strukturiertheit im Inneren und schließlich auch die politische Nähe von Reichsstädten als Gliedern des Reiches zu den in dessen Organen selbstverständlich übermächtigen und bestimmenden Fürsten sind die Grundtatsachen, von denen die Untersuchung ausgeht. „Die Kontakte zwischen Reichsstädten und den Mitgliedern der europäischen Adelsgesellschaft sind das Thema dieser Arbeit“ (S. 2), ihr Ausgangspunkt „die Fürstengesellschaft als politische Umwelt“ (S. 3) der Reichsstädte. In ihrer Kommunikation mit den Fürsten war das Bestreben der (frühneuzeitlichen) Reichsstädte, „Ehre als symbolisches Kapital zu erwerben, womit sie sich an einer spezifischen Wertschöpfung der Fürstengesellschaft beteiligten“, sie „erhoben ... im Medium zeremonieller Zeichen Ansprüche auf soziale Geltung und Akzeptanz“ (S. 3). Das genossenschaftliche Element der Reichsstädte begegnete dem  Misstrauen der Fürsten, die für die Städte einerseits angstvoll betrachtetes „Feindbild“ waren, andererseits aber doch auch wieder „Vorbild“ (Klaus Graf). Am Anfang von Krischers Forschungen stand die von Gerd Schwerhoff angeregte Beschäftigung mit den Arbeiten Richard Trexlers zum Gebrauch von Zeichen, Symbolen, Ritualen und Zeremonien im spätmittelalterlichen Florenz und die weiterführende Frage, ob sich dessen Thesen - zur Schaffung urbaner Identitäten im Inneren und gegenüber der politischen Umwelt durch unterschiedliche Formen des Zeichengebrauchs - auf die Städte im Alten Reich übertragen lassen (S. 12). Dabei hat er paradigmatisch die Archivmaterialien der ehemaligen Reichsstädte Bremen, Frankfurt, Köln und Schwäbisch Hall, besonders die Zeremonialbücher, ausgewertet und auch die zeitgenössische politische und rechtliche Literatur und Chroniken. Der untersuchte Zeitraum ist die Frühe Neuzeit, also die letzten drei Jahrhunderte des Alten Reiches.

 

Im ersten von drei Kapiteln (S. 44-105) stellt er „Konfrontationen“ der Reichsstädte mit (den) Fürsten, insbesondere auf dem Reichstag, dar wie auch ihre Bemühungen um „Assimilation“ an die fürstliche Umwelt. Dabei sind die Darlegungen zur „eingeschränkten Würde“ der Reichsstädte im Reichstag ebenso eindrucksvoll wie die beispielhaft an der Kölner  „Bilderbeck-Affäre“ von 1714/15 festgemachten Fragen diplomatischen Zeremoniells und diplomatischer Repräsentation in Reichsstädten, aber auch die an dem Präzedenzstreit von 1646 mit der Reichsritterschaft aufgebrochenen Fragen des Ranges der Reichsstädte oder gar ihres Anspruchs auf „adlige Ebenbürtigkeit“ (S. 58). Reichsstädtisches Selbstbewusstsein wird hier ebenso deutlich wie in städtischer Rechtssymbolik, die zu zerstören nach der Mediatisierung der Reichsstädte zu den ersten Handlungen der neuen Landesherren gehörte.

 

„Medien, Praktiken, Akteure und symbolische Profite reichsstädtischer Statuspolitik“ behandelt das weitere, zentrale Kapitel (S. 106-273). Die Zeremonienbücher „als Sammlungen symbolischen Kapitals“ stehen dabei im Vordergrund, aber auch die Rolle der  Syndici „als reichsstädtische Außenpolitiker“ und andererseits die der Bürger „als Komparsen“ oder Statisten eines quasi-höfischen Zeremoniells. Die Reichsstädte zogen  immerhin „symbolische Profite“ aus der quasi-höfischen Kommunikation mit Fürsten, von gegenseitigen Einladungen, Gesandtschaften, Fürstenbesuchen bis hin zu diplomatischem Entgegenkommen und positiven Äußerungen über die konkrete Stadt, was wiederum den Reichsstädten insgesamt zugute kommen konnte. Das letzte Kapitel (S. 274-368) stellt, anknüpfend an das mittelalterliche Ritual des Einritts des Stadtherrn, die Praxis der Einzüge von Herrschern in die Städte dar. Im Mittelpunkt steht dabei „der Fall Köln contra Köln“, der seit 1550 von der Reichsstadt verhinderte Einritt eines neuen Erzbischofs in „seine“ Stadt, so dass eben auch ihm nicht als „Stadtherrn“ gehuldigt werden musste. Besonders bedeutsam war schließlich der erste Einzug eines neuen Kaisers im Hinblick auf dessen Eigenschaft als Stadtherr und den nötigen Rechtsakt der Huldigung, aber auch die daraus fließende Schutzfunktion für die Stadt, woraus sich wiederum im Zeremoniell manifestierende Anerkennung und Ehrung der Stadt als Reichsstadt ergab. Der holzschnittartige Schluss des Verfassers lautet: „Reichsstädte deuteten sich in der Frühen Neuzeit als Teil der Adelswelt.“ (S. 376) So einleuchtend diese These auch erscheint, so sehr wird sie sich zukünftig in weiteren Untersuchungen zu bewähren haben.

 

Ungeachtet dessen ist die Arbeit Andre´ Krischers – die auch fachübergreifend sozialwissenschaftliche/soziologische Ansätze einbezieht – höchst anregend. Sie wird auch dem Rechtshistoriker spannende Lektüre und fachlicher Gewinn sein können.

 

Bremen                                                                                              Gerold Neusser