Kraus, Hans-Christof, Das Ende des alten Deutschland. Krise und Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806 (= Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte 37). Duncker & Humblot, Berlin 2006. 124 S. Besprochen von Adolf Laufs.
Das klar und
konzis gefaßte Büchlein „beansprucht nicht, neue Forschungsergebnisse zum Thema
vorzulegen“. Es stützt sich weithin auf Auskünfte der jüngeren Literatur,
wenngleich der Autor bei der Interpretation des historischen Geschehens
„durchaus eigene Akzente“ setzt. Sie beginnen schon mit der Vorbemerkung, in
welcher der Autor die wenig feinen Spottverse Gerhart Hauptmanns auf das Alte
Reich aus dessen „Festspiel in deutschen Reimen“ ausgiebig zitiert. So
überrascht es nicht, wenn der Verfasser von der „überlangen Lebensdauer des
Reichs“ und „einer im Kern bereits überholten und überwundenen Staatsordnung“ schreibt.
Dabei lassen sich gewiss die „Teutschen Staats-Kranckheiten oder
Staats-Kranckheiten des Heiligen Römischen Reichs Teutscher Nation“ nicht
bezweifeln. Aber bildeten am Ende die „Reichspatrioten“ wirklich nur „eine
verschwindende Minderheit unter ihren deutschen Zeitgenossen“? Vor allem diejenigen
hätten dem dahingehenden Reich noch eine Träne nachgeweint, so das wenig
differenzierende Urteil, „die von dem ausgedehnten, in seinen Ausmaßen kaum
noch überschaubaren Pfründenwesen und Klientelsystem der alten Ordnung
profitiert hatten“. Die Wirklichkeit vornehmlich im Herzland des alten Reiches sah
wohl anders aus.
Darüber
unterrichten die leider unbeachtet gebliebenen drei stattlichen,
wissenschaftlich überaus gehaltvollen, quellengesättigten Bände zur Ausstellung
„Alte Klöster neue Herren. Die Säkularisation im deutschen Südwesten“ (hg. v.
Volker Himmelein, Hans Ulrich Rudolf, 2003). Eine Summe daraus zu
Säkularisation und Mediatisierung sei zitiert: „In gesellschaftlich-kultureller
Hinsicht waren die Folgen tiefgreifend, manchmal katastrophal. Mit den
Herrschaftszentren verschwanden geistig-kulturelle Zentren,
Bildungseinrichtungen, wirtschaftliche Zentren, Nachfrager nach handwerklichen
und wirtschaftlichen Leistungen, nach Arbeit überhaupt, soziale
Sicherheitssysteme. Die kollektiven Schlüsselerlebnisse dieser Zeit haben
vermutlich in hohem Maße Mentalitätsänderungen in der Bevölkerung verursacht,
die weitgehend noch nicht untersucht sind. Nicht übersehen werden darf, daß
diese Veränderungen Gegenreaktionen verursacht haben, die ihrerseits Denken und
Verhaltensdispositionen der Menschen erheblich und lang anhaltend geprägt
haben“ (Hans-Georg Wehling, 2.2, S. 1160).
Der Autor
erkennt in der Auflösung des Reiches durchaus einen – freilich legitimen –
Rechtsbruch. Gebot die Räson der neuen, modernen, etwa in Württemberg zunächst
durchaus autoritären Staatsmacht aber die Plünderung vieler Klöster, Kirchen
und Bibliotheken, den Raub unzähliger kostbarer Reliquiare, Kelche und Kreuze,
das Einschmelzen kunstvoller liturgischer Geräte, um daraus weltlichen Schmuck
oder profanes Geld werden zu lassen? Sehr viele Menschen, zumeist treue und
friedfertige Untertanen wie Herren, nicht allein Geistliche, sind durch nicht
gerechtfertigte, illegitime Akte großen Umfangs, auch den Länderschacher in
Napoleons Vorzimmern tief verletzt worden. Eine sachgerechte Darstellung der
unerhörten, ja revolutionären Umwälzung zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat
deren Opfern, den Verlierern der Geschichte, ein angemessenes Gedenken zu
gewähren.
Die
kriegerischen und politischen Ereignisse der Zeit um 1806 haben in Deutschland
nicht nur destruktiv, sondern auch konstruktiv-modernisierend gewirkt, wobei
das alte reiche ius publicum
weiterhin Nutzen stiftete. Der Zusammenbruch des Reiches unter den
militärischen Schlägen des Habsburg-Feindes im Westen mit seinen revolutionären
Ideen hatte einen wesentlichen Grund in den Schwächen der Defensionalordnung
und also der Verfassung. Über diese beiden Einsichten besteht weithin
Einmütigkeit. Als schwieriger erweist sich eine Bewertung der Ereignisse. Der
Autor sieht im hohen Alter des Reichs eine Mitursache für die Verspätetheit der
Nationalstaatsgründung mit ihren schweren Problemen und Folgelasten. Doch lässt
sich auch fragen, ob der kleindeutsche, unitarische Nationalstaat überhaupt die
dem Volk in der Mitte Europas und seiner Geschichte gemäße Form darstellte und
ob das halbe Jahrhundert des Deutschen Bundes als „eine Ära des Übergangs“
notwendig darauf hinauslief. Die angezeigte Schrift hat das Verdienst, diese
Fragen, auch diejenige nach der Eigenart des Alten Reiches, in der Debatte zu
halten.
Heidelberg Adolf
Laufs