Kohl, Gerald, Stockwerkseigentum. Geschichte, Theorie
und Praxis der materiellen Gebäudeteilung unter besonderer Berücksichtigung von
Rechtstatsachen aus Österreich (= Schriften zur europäischen Rechts- und
Verfassungsgeschichte 55). Duncker & Humblot, Berlin 2007. 575 S. Besprochen
von Werner Schubert.
Beim Stockwerkseigentum sind Gebäude nicht wie beim Miteigentum nach Quoten, sondern real nach materiellen Anteilen geteilt. Die Neubegründung von Stockwerkseigentum wurde durch ein österreichisches Gesetz von 1879 und für Deutschland durch das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 allgemein verboten. Bis heute jedoch ist das vor 1879 begründete Stockwerkseigentum in Österreich, insbesondere in Salzburg und Tirol, keine Seltenheit. Das Werk Gerald Kohls, eine Wiener Habilitationsschrift, befasst sich mit der Geschichte des Stockwerkseigentums – eine Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommene Wortschöpfung (S. 29) – in Deutschland und Österreich bis zum Erlass der jeweiligen Wohnungseigentumsgesetze, mit der Rechtsnatur des Stockwerkseigentums sowie mit dem österreichischen Stockwerkseigentum im Rechtsleben. Wie Kohl gleich zu Beginn mit Recht feststellt, ist das Stockwerkseigentum alles andere als eine „typisch deutschrechtliche Einrichtung“ (S. 50, nach Fuchshuber, Österreichische Notariats-Zeitung 1950, S. 87). Für Deutschland ist das Stockwerkseigentum seit dem 12. Jahrhundert (vor allem in Süd- und Südwestdeutschland) und für Tirol seit dem 15. Jahrhundert nachweisbar (S. 277). Kohl behandelt die Verbreitung des Stockwerkseigentums bis zum 19. Jahrhundert nur überblicksartig, da für die frühe Neuzeit detailreiche Untersuchungen vorliegen. Der erste größere Abschnitt ist der österreichischen Gesetzgebungsgeschichte gewidmet, beginnend mit dem ABGB, das wie das ALR weder eine Regelung des Stockwerkseigentums enthielt noch dieses verbot. Zwischen 1853 und 1857 wurden für einige Gebiete (Salzburg, Hallein, Ödenburg, Böhmen) Verordnungen erlassen, welche die Neubegründung von Stockwerkseigentum untersagten. Begründet wurden diese Verbote vom Justizministerium mit: „Hintanhaltung eines städtischen Proletariats [insbesondere eines jüdischen Proletariats; Rez.]; Ermöglichung neuer Bauten; Aufrechterhaltung der Steuerfähigkeit; Beseitigung oft skandalöser Streitigkeiten unter den Teilbesitzern und dergleichen“ (S. 89). 1879 erging für fast ganz Österreich ein allgemeines Teilungsverbot, das unter dem Ministerialjuristen Philipp Harras von Harrasowsky nunmehr mit dem römischrechtlich-pandektistischen Grundsatz des Teilungsverbots (superficies solo cedit; hierzu ausführlich J.P. Meincke, ZRG RA, Bd. 88, S. 136 ff.) rechtsdogmatisch begründet wurde. Dieses Verbot wurde bis 1910 auf die Nord- und Südtiroler Gerichtssprengel ausgedehnt, nunmehr nach dem Tod von Harrasowsky wiederum mit „politischen Gründen“ gerechtfertigt.
Die Entwicklung in Deutschland ist dadurch gekennzeichnet, dass in Art. 131 EGBGB die Neubegründung echten Stockwerkseigentums ausgeschlossen wurde (S. 162ff.; ähnlich in der Schweiz durch das ZGB, S. 171ff.). In dem Abschnitt über das Stockwerkseigentum in der Zwischenkriegszeit (S. 175ff.) geht Kohl erstmals ausführlich auf die Periode des Übergangs vom Stockwerks- zum Wohnungseigentum ein. Hervorzuheben sind hier die österreichischen und deutschen Entwürfe von 1925, 1930 und 1935 zum Stockwerks- bzw. Wohnungseigentum, die Kohl im Anhang wiedergibt, die Beratungen des 33. Deutschen Juristentags in Heidelberg 1924 und die Diskussionen in Ausschüssen der Akademie für Deutsches Recht, in denen vor allem Freisler die Einführung eines Stockwerkseigentums propagierte, damit aber wenig Zustimmung fand. In dem Ausblick geht Kohl schließlich auf die Wohnungseigentumsgesetze in Österreich (1948), Deutschland (1951) und in der Schweiz (1963; 1965 in Kraft getreten) ein. Zur Abgrenzung gegenüber dem Stockwerkseigentum wäre es nützlich gewesen, wenn Kohl die rechtsdogmatischen Grundlagen der jeweiligen Wohnungseigentumsgesetze noch detaillierter dargestellt hätte. Ferner wäre es vorteilhaft gewesen, wenn er auch auf die österreichischen Reformen des Wohnungseigentumsrechts von 1975 und 2000 ausführlicher eingegangen wäre. Abschließend fasst Kohl die immer noch für und gegen das Stockwerkseigentum vorgebrachten Argumente nach inhaltlich-sachlichen Kriterien zusammen (S. 211ff.: Bekämpfung der Wohnungsnot, Zusammenhang mit der Mietrechtsreform, sozialer Wert des Eigentums und Stockwerkseigentum als „Quelle von Streitigkeiten“). – Im 3. Teil des Werkes geht es um die Grundlagen des Stockwerkseigentums. In der Frage nach der Rechtsnatur dieses Eigentums (S. 226ff.) favorisiert Kohl die dem ABGB wohl zugrunde liegende Teileigentumstheorie. Als Alternativkonstruktion insbesondere zur Ablösung des Stockwerkseigentums sind das Miteigentum, gesellschaftsrechtliche Ersatzformen und Eigentumsbelastungen behandelt. In diesem Zusammenhang stellt Kohl fest, dass sich in der heutigen Praxis die historische Diskussion spiegele: Vielfach diene das Wohnungseigentum als „Umgehungskonstruktion“ für Verhältnisse, „in denen die Beteiligten lieber nicht in einer Eigentümergemeinschaft eingebunden wären und, gäbe es das Stockwerkseigentum, dieses auch wählen würden“ (S. 248). Ein weiterer Abschnitt befasst sich mit den Entstehungsursachen des Stockwerkseigentums (Armut und Not, Teilung bestehender Objekte, gemeinsame Errichtung von Gebäuden, Raummangel, „Rasse“ und Nationalcharakter, soziale Bedeutung des Eigentums, technische Ursachen).
Der umfangreiche Teil über das Stockwerkseigentum im Rechtsleben (S. 279-488) beruht im Wesentlichen auf den Ergebnissen der von Kohl durchgeführten rechtstatsächlichen Untersuchung des österreichischen Stockwerkseigentums, bei welcher das ADV-Grundbuch systematisch nach materiell geteilten Einlagen (d.h. Grundbuchblättern) durchsucht wurde (S. 491). Die Ergebnisse dieser Grundbuch-Enquête wurden ergänzt durch Ortsbesichtigungen sowie Befragungen von Richtern, Grundbuchbeamten usw. und von Eigentümern materieller Anteile. Da die Einlagen Eigentumsveränderungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts erfassen, versteht sich nach Kohl die Rechtstatsachenuntersuchung sowohl in den historischen als auch in den aktuellen Teilen als „eine rechtshistorische Methode“ (S. 47). In der Auswertung stellt Kohl jeweils die „Theorie“ den „Rechtstatsachen“ gegenüber und geht dabei von folgenden Sachbereichen aus: Topographie, Eigenschaften der materiell geteilten Objekte (u. a. Größe, Zahl der Anteile, gemeinsame Gebäudeteile usw.), Methoden der Verbücherung des Stockwerkseigentums im Allgemeinen, Struktur der Stockwerkseigentümer, Erwerb von Stockwerkseigentum, Verhältnisse der Stockwerkseigentümer untereinander (Miteigentum, Instandhaltung, bauliche Veränderungen usw.), Stockwerkseigentum im Verhältnis zu Dritten, Vermietung, Belastung), Beendigung von Stockwerkseigentum sowie die Rechtsnatur des Stockwerkseigentums im Lichte der österreichischen Rechtstatsachen. Die Erhebung zeigt, dass materielle Teilungen noch in sechs der neun österreichischen Bundesländer vorkommen. Viele überkommene Anschauungen werden durch die Enquête grundlegend revidiert, etwa dass „das traditionelle Klischee von den armen Stockwerkseigentümern“ vielfach einer realen Grundlage entbehrt. Bestätigt wurde die Annahme, dass die Verbücherung des Stockwerkseigentums erhebliche Probleme aufwirft. Gegenüber Forderungen der Gesetzgebung nach Vereinigung materieller Anteile erwies sich das Stockwerkseigentum einigermaßen resistent. Insgesamt bestehen nach Kohl „erhebliche Diskrepanzen zwischen Theorie und praktischem Rechtsleben, wobei sich die von Letzterem gefundenen Lösungen für verschiedene Probleme nicht in stimmiger Weise auf einen gemeinsamen dogmatischen Nenner bringen lassen“ (S. 494). Als Ergebnis seiner rechtshistorisch-rechtstatsächlichen Untersuchungen stellt Kohl fest, dass entgegen den Erwartungen des 19. Jahrhunderts das Stockwerkseigentum eine erstaunliche Lebenskraft bewiesen habe. Die deshalb weiter bestehenden rechtspraktischen Probleme sind noch immer unklar bzw. ungelöst geblieben. Unter diesen Voraussetzungen stellt sich für Kohl die Frage, ob man nicht „durch Aufhebung des Gesetzes von 1879“ eine Neubegründung von Stockwerkseigentum wieder zulassen solle, „wie dies im Hinblick auf die im Vergleich zum Wohnungseigentum ,ehrlichere’, ,verständlichere und volksnähere’“ Konstruktion des Rechtsinstituts schon wiederholt angeregt wurde (S. 496).
Mit seinem Werk, das für die österreichische
Gesetzgebungsgeschichte die archivalische Überlieferung umfassend aufarbeitet,
hat Kohl das Stockwerkseigentum, das in der österreichischen
Rechtswissenschaft – entgegen seiner noch immer ansehnlichen Verbreitung –
nurmehr ein Schattendasein führe, geschichtlich, theoretisch und
rechtspraktisch umfassend dargestellt. Die aus dem historisch gewachsenen
Rechtsleben und aus der Gesetzgebungsgeschichte gewonnenen Erkenntnisse sind in
gleichem Maße für die Rechtsgeschichte und die aktuelle Rechtsanwendung
relevant. Diese Verbindung von Rechtsgeschichte und praktischer Jurisprudenz
macht den eigentlichen innovativen Gehalt des Werkes von Kohl aus, eine
Methode, die kaum verallgemeinerbar ist, aber vielleicht auch für weitere
rechtshistorisch relevante Rechtsinstitutionen von Interesse sein dürfte. Eine
vergleichbare rechtstatsächlich-historisch orientierte Enquête für das Stockwerkseigentum
in Deutschland (u. a. in Württemberg) steht noch immer aus. Auch wenn der
zweite Teil des Werkes sich wohl primär als Beitrag zum österreichischen Recht
versteht, hat Kohl im historischen Teil und in den theoretischen
Passagen die deutsche Entwicklung und Diskussion insbesondere auch für die
Zwischenkriegszeit umfassend berücksichtigt, wobei allerdings das
Stockwerkseigentum des französischen Rechts in Baden und im Rheinland etwas zu
kurz gekommen sein dürfte.
Kiel |
Werner Schubert |