Koch,
Arnd, Denunciatio. Zur Geschichte eines strafprozessualen
Rechtsinstituts (= Juristische Abhandlungen 48). Klostermann, Frankfurt am Main
2006. XIII, 307 S. Besprochen von Lukas Gschwend.
Die
vorliegende Studie wurde 2004 von der Juristischen Fakultät der
Friedrich-Schiller-Universität zu Jena als Habilitationsschrift angenommen. Der
Autor macht sich zur Aufgabe, die Entstehung und Ausgestaltung des
strafprozessualen Rechtsinstituts der Denunziation im Rahmen der Entwicklung
des Strafprozessrechts zwischen dem frühen 13. Jahrhundert und der Einführung
der Reichsstrafprozessordnung 1877 zu untersuchen.
Angesichts
der Herausforderung eines derart ausgedehnten Untersuchungszeitraumes leistet
die einführende Begriffsgeschichte wertvolle Dienste. Während der Begriff der denunciatio im gemeinrechtlichen
Inquisitionsprozess noch weitgehend den wertneutralen Wortsinn einer Strafanzeige
hat, erfolgt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluss der
Aufklärung und später während des Vormärz und des damaligen Erstarkens der
politischen Polizei eine starke Pejorisierung, welche bis heute – noch
verstärkt durch die Denunziationspraxis totalitärer Régimes des 20. Jahrhunderts
– vorherrscht. Sinnvollerweise verwendet der Autor daher konsequent den
lateinischen Begriff der denunciatio,
um die abwertenden Konnotationen des eingedeutschten Wortes zu vermeiden. Nicht
sehr aussagekräftig sind die allgemeinen Ausführungen über die Strafanzeige im
modernen Rechtsstaat, zumal sie sich auf eine grobe Darstellung beschränken und
die Problematik der Mitwirkungspflicht und des Schutzes des Anzeigeerstatters
nicht im Rahmen von dessen grundsätzlicher Zeugnispflicht diskutiert wird.
Von
überaus großem wissenschaftlichen Wert sind dagegen die beiden zentralen Kapitel
über die Entstehung der denunciatio
als Prozessrechtsinstitut und über dessen Entwicklung im gemeinen deutschen
Strafprozess. Koch ortet die Anfänge in der denunciatio
evangelica des hochmittelalterlichen kirchlichen Disziplinarrechts, welches
bei Feststellung einer mala fama eine
inquisitio auszulösen pflegte. Mit
der Errichtung der institutionalisierten inquisitio
haeretica 1231 und der Gleichstellung des crimen laesae maiestatis divinae mit dem römischrechtlichen crimen laesae maiestatis wurde der
Grundstein gelegt zur Erhebung der privaten Mitteilung zum „effektiven Fahndungsinstrument“
(S. 49). Die Etablierung der denunciatio
im inquisitorischen Ketzerprozess ging einher mit der Missbrauchsmöglichkeit
derselben als Verleumdungsinstrument. Bereits in den Konstitutionen von Melfi
erfolgte die Rezeption des kanonischen Inquisitionsprozesses und damit auch der
Verpflichtung der Einwohner, durch Weitergabe von Beweismitteln und
Informationen mit den Ermittlern des sizilianischen Beamtenstaates zu
kooperieren. Koch schreibt mit plausibler Begründung dem Mailänder Rechtsgelehrten
Clarus das Verdienst zu, in dessen Practica Criminalis von 1568 erstmals der denunciatio die moderne Bedeutung einer
Strafanzeige gegeben zu haben, indem er – in Anlehnung an die damalige
prozessuale Realität – die Fiktion der mala
fama durch die denunciatio annahm
(S. 65).
Für
die Analyse der Bedeutung der denunciatio
im gemeinen deutschen Strafprozess hat Koch weit über hundert Werke zur
Strafrechts- und Prozessrechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts beigezogen
und die Lehrmeinungen sorgfältig analysiert. Es gelingt ihm, eine sehr
schlüssige und systematisch überzeugende Einbettung der denunciatio in die gemeinrechtliche Indizienlehre. Der Autor grenzt
diese ab von den verwandten Rechtsinstitutionen der delatio, querela, inculpatio, nominatio socii sowie von der Rüge,
vom Pasquill und der calumnia, wobei
die beiden letzteren im gemeinrechtlichen Kontext nicht zwingend in die Abgrenzungsdiskussion
aufgenommen werden müssten.
Spätestens
seit dem frühen 17. Jahrhundert finden sich in der rechtswissenschaftlichen
Literatur Hinweise auf das Gefahrenpotential der denunciatio (fragliche Integrität des denunciators, denunciatio
als Waffe im Hinblick insbesondere auf Hexereibezichtigungen), ohne jedoch
deren elementare Bedeutung für die Effektivität des Inquisitionsprozesses in
Frage zu stellen. Während maßgebliche italienische Autoren den Stellenwert der denunciatio auf deren Wirkung zur
Auslösung der Generalinquisition beschränkten, ließen Carpzov und Brunnemann
die denunciatio zur Eröffnung der
Spezialinquisition auch ohne weitere Indizien ausreichen, wobei der Richter die
Gesamtumstände zu würdigen hatte. Die Frage ist elementar, denn mit der
Einleitung der Spezialinquisition verschlechterte sich die Rechtsstellung des
Angeschuldigten massiv, zumal mittels Folter ein Geständnis erzwungen werden
konnte.
Elementare
Kritik am Indiziencharakter der denunciatio
übte später Christian Thomasius. Koch wertet neun zwischen 1694 und 1735
erschienene Schriften des Autors aus. Thomasius lehnte das Argument der
Effektivität und damit jede hohe indizielle Bewertung der denunciatio ab. Überdies nährte insbesondere der kirchenrechtliche Ursprung
der denunciatio im Inquisitionsprozess
die Skepsis des Vordenkers einer Differenzierung von Moral und Recht. Der aus
verwerflichen Motiven erfolgten denunciatio
sprach er jede Indizienwirkung ab (S. 153). Zurecht hält der Autor fest, dass Gerd
Schwerhoffs Charakterisierung von Thomasius’ Werk als „aufgeklärter
Traditionalismus“ mit Bezug auf inquisitio
und denunciatio nicht zutrifft (S.
147).
Sowohl
die französische bzw. italienische Aufklärung (Montesquieu, Voltaire, Beccaria,
Filangieri) als auch die deutschen Strafrechtsaufklärer Karl Ferdinand Hommel
sowie Hans Georg von Globig und Johann Georg Huster äußerten sich kritisch
gegenüber der denunciatio. Insbesondere
die anonyme Anzeige stieß generell auf Ablehnung der Aufklärer. Ihre Argumente
waren zwar nicht neu, doch wurden sie nun zunehmend von einer breiteren
Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen. Insbesondere im Vormärz zeichnete sich
die zunehmende Pejorisierung der Denunziation in der öffentlichen Wahrnehmung
im Hinblick auf die immer stärker zum Herrschaft stabilisierenden
Disziplinierungsinstrument erhobenen politischen Straftatbestände ab. Die
Analyse des rechtswissenschaftlichen Schrifttums des Vormärz fällt kurz und
wenig aussagekräftig aus. Der historisch-dogmatische Ansatz erweist sich hier
als wenig leistungsfähig, was insbesondere im Vergleich mit der methodisch der
qualitativen Aktenanalyse verpflichteten, 2007 erschienenen Dissertation
„Demagogen und Denunzianten“ Jakob Noltes ins Auge sticht.
Zwar
hat der Autor „die Ambivalenz der Denunziation, die Herrschern wie Beherrschten
als Machtmittel diente“, bewusst nicht zum Forschungsgegenstand seiner Studie
erhoben und das Problem der Effektivierung der Herrschaftsausübung durch
Institutionalisierung der denunciatio
etwa im Kontext der Konstitutionen von Melfi angesprochen, dennoch erlebt der
Leser mit kulturrechtshistorischen Erwartungen diese historisch-dogmatische
Beschränkung als Defizit, fehlt doch der Analyse bisweilen die sozialgeschichtliche
und herrschaftskritische Perspektive. Insbesondere im Hinblick auf die
Ausgestaltung der Denunziation im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess wäre
eine detaillierte Entwicklungsgeschichte aus dem Herrschaftsverständnis des
aufstrebenden Absolutismus auch über die ideengeschichtlichen Grundlagen hinaus
durchaus verdienstvoll gewesen. Sodann darf man mit Recht die Frage stellen,
weshalb der Autor ausgerechnet das wissenschaftsgeschichtlich wenig relevante
Jahr 1806 zum Abgrenzungskriterium der bibliographischen Distinktion in alte
und neuere Literatur gewählt hat.
Insgesamt
stellt das gelungene Werk eine wesentliche Bereicherung des Forschungsstandes
der deutschen Strafprozessrechtsgeschichte dar und darf in keiner
strafrechtshistorischen Bibliothek fehlen.
Sankt
Gallen Lukas
Gschwend