Klein, Winfried, Die Domänenfrage im deutschen Verfassungsrecht des 19. Jahrhunderts (= Schriften zur Verfassungsgeschichte 78). Duncker & Humblot, Berlin 2007. 242 S. Besprochen von Adolf Laufs.

 

Die Domänenfrage – nach der Scheidung von fürstlich-privaten und staatlichen land- und forstwirtschaftlichen Gütern – gehört zu den großen Themen der deutschen Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Ihre Dauerhaftigkeit blieb erhalten, wie der aktuelle Kulturgüterstreit zwischen dem markgräflichen Haus Baden und dem Land Baden-Württemberg zeigt (vgl. den von Peter Michael Ehrle und Ute Obhof herausgegebenen Band: Die Handschriftensammlung der Badischen Landesbibliothek. Bedrohtes Kulturerbe?, 2007). „Das heutige Recht der Domänen“, so Meyers Konversationslexikon (5. Band, 5. Aufl. 1894, S. 84) in einem gehaltvollen Artikel, „ist in den einzelnen Ländern sehr verschieden. Die Frage, ob dieselben Staatsgut oder Privateigentum des Landesherrn (Familieneigentum) seien, war nach Auflösung des Deutschen Reiches Gegenstand zahlreicher Erörterungen geworden“.

 

Und trefflich weiter: „Diese Frage läßt sich nicht allgemein gültig lösen, sondern nur für jedes einzelne Land mit Berücksichtigung seiner gesamten staatsrechtlichen Entwicklung. Wenn auch nach der Rheinbundsakte (Art. 27) den mediatisierten Fürsten ihre Domänen zum Eigentum überlassen worden sind, so haben doch die Domänen der jetzigen größern Staaten viel zu sehr einen öffentlich-rechtlichen Charakter gewonnen, sind auch viel zu wenig auf rein private Erwerbstitel zurückzuführen, als daß die praktische Politik einer Familie, die ihre Landeshoheit verlieren sollte, die Domänen zu Privateigentum vollständig überlassen könnte“.

 

In ihrem Verhältnis zum Thron gewannen die Domänen zunehmend Pertinenzcharakter. Ihre Rechtsgeschichte gehört zum Prozess der Staatsbildung im Ancien régime, zum Prozess der Herausbildung des modernen Staates, des Vordringens des öffentlichen Rechts als eigener Sphäre im Unterschied zum Privatrecht, nicht zuletzt der Wandlung des Monarchen vom Landesherrn zum Staatsorgan und der Stärkung des Haushaltsrechts der Stände.

 

Die von Reinhard Mußgnug geförderte Heidelberger Dissertation beleuchtet diese Zusammenhänge auf der Grundlage gedruckter Quellen und archivalischer Zeugnisse des Generallandesarchivs Karlsruhe, des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar und des Thüringischen Staatsarchivs Meiningen. Das Buch bietet in seinem ersten allgemeinen Teil einen breit angelegten Überblick: „Der Staat, der Fürst und die Domänen“, wobei den Verfasser Albrechts Kriterien in der berühmten Rezension über Maurenbrechers „Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts“ aus dem Jahr 1837 leiten. Geboten erschien eine differenzierende Analyse. „Dort, wo der Wandel des Fürsten von Herrn zum Haupt abgeschlossen und der Staat rechtsfähig geworden war, konnten und mußten wohl die Domänen infolge ihrer Pertinenzqualität zu Staatseigentum erklärt werden“. Und: „Wo das altständische System noch intakt war, blieb der Fürst als Landes- und Stammherr oder das Fürstenhaus ohne weiteres Eigentümer der Domänen, was aber zu Auseinandersetzungen mit den Ständen führte“ (S. 61).

 

Die Eigenart der Domänen bestand in der Verbindung von Eigentum und Herrschaft. Die Pertinenzqualität der Domänen war aber nicht unstreitig, wie der Autor meint (S. 51). Undeutlich oder gar unentschieden blieb auch, worauf sie sich bezog, ob und inwieweit die Hofausstattung mit ihren Immobilien und Mobilien zur Pertinenz gehörte und worauf sich diese gründete: auf Erwerbsart und Finanzierung, auf die Repräsentationsfunktion, auf eine Widmung zugunsten der Öffentlichkeit. Differenziert und zutreffend beurteilt der Autor das Rechtsschicksal der Handschriften in der Badischen Landesbibliothek als Pertinenz der Landeshoheit; (in seinem Beitrag zu dem genannten Sammelband von Ehrle und Obhof, S. 127-144).

 

Der zweite, gewichtigere Teil des Buches gilt der Domänenfrage vor dem Hintergrund der in manchem ähnlichen staatsrechtlichen Entwicklungen in Baden, Sachsen-Weimar-Eisenach und Sachsen-Meiningen. Diese drei Staaten des Deutschen Bundes kannten zunächst kein staatliches Domäneneigentum, wiesen eine unterschiedlich weit entwickelte Staatsorganisation auf und erkannten den Ständen verschieden weit reichende Haushaltsbefugnisse zu. Die Darstellung führt jeweils über das Revolutionsjahr 1918 hinaus und überschneidet sich insofern mit der Dissertation von Ronald Hoffmann über: „Die Domänenfrage in Thüringen. Über die vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen mit den ehemaligen Landesherren in Thüringen nach dem Ersten Weltkrieg“, 2006 (Rechtshistorische Reihe 334).

 

Das Buch beleuchtet verfassungsrechtliche Übereinstimmungen in den drei untersuchten Staaten, jedoch auch „erhebliche Abweichungen bei der jeweiligen Verfassungskonzeption, bei der Stellung des Fürsten im Staat und bei seinem Verhältnis zum Staat, beim Eigentum an den Domänen sowie bei den Haushaltsbefugnissen der Stände“ (S. 207). Den Frühkonstitutionalismus kennzeichnet die Ambivalenz von Behauptung und gleichzeitiger Einschränkung des monarchischen Prinzips. Dabei setzte jedes Land seine eigenen Akzente. Auch die Domänen erhielten dadurch ihren je eigenen Charakter.

 

Im Großherzogtum Baden etwa lässt sich die Qualifizierung der Domänen als Patrimonialeigentum nur auf ihre Zugehörigkeit zum Amt des jeweiligen Regenten beziehen. Dies bedeutet negativ, dass die Domänen nicht Eigentum der Stände (des „Staates“) sind, und positiv, dass sie als Eigentum des Landesherrn als solchen dem öffentlichen Recht zugehören. Der Autor lässt die private Seite eindeutiger hervortreten: in Baden hätte es „kein staatliches Domäneneigentum“ gegeben (S. 212). Der Pertinenz tat das aber nach seinem Urteil keinen Abbruch, wie sich zeigt. Der Pertinenzcharakter domanialer Güter indessen erweist sich als um so stärker, je ausgeprägter das für sie geltende öffentlichrechtliche Regelwerk ist.

 

Die so umsichtige wie gedankenreiche Arbeit dringt tief in die Quellen und Lehren ein. Sie erweist, dass es bei der Domänenfrage im Grunde „um die Ablösung des Staates vom Landesherrn“ geht (S. 221). Der Blick auf die Zusammenhänge und territorialen Eigenheiten ermöglichte dem Autor einen vortrefflichen Beitrag zur Geschichte des deutschen Konstitutionalismus und Föderalismus, der ein altes und vielerörtertes Thema neuerlich voranbringt.

 

Heidelberg                                                                                                               Adolf Laufs