Kersting, Gabriele, Steuerwiderstand und Steuerkultur. Der Kampf gegen das Umgeld im Königreich Württemberg (1819-1871) (= Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B Forschungen 164). Kohlhammer, Stuttgart 2006. XXXIII, 229 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die neuere finanzhistorische Forschung hat bislang „Steuerpraxis und –widerstand vor dem Hintergrund der Wandlungsprozesse von Staat und Gesellschaft in Deutschland während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ nicht untersucht (S. 5). Die Darstellung Gabriele Kerstings nimmt sich dieser Thematik am Beispiel des württembergischen Umgeldes (auch Wirtschaftsabgaben genannt) an, einer Abgabe, die in Württemberg seit dem 16. Jahrhundert erhoben wurde und als eine indirekte Steuer vor allem von Brauereien und Wirtschaften für die Herstellung und den Ausschank von Bier, Wein und Branntwein eingezogen wurde. Mit der Unterteilung in Steuerprotest sowie Steuertäuschung, Steuerverheimlichung und Steuerverweigerung versteht Kersting unter „Steuerwiderstand“ einen Vorgang, der in der Auseinandersetzung zwischen Fiskus und Abgabepflichtigen insgesamt die genannten vier unterschiedlichen Formen der Abwehr erfasse. Kersting fragt in erster Linie nach dem Verhalten der Bürger, die die Durchsetzung eines öffentlichen Steuermonopols nicht akzeptieren wollten und die sich gegen die Erhöhung der Abgaben und die Art und Weise, wie sie eingezogen wurden, zur Wehr setzten. Wichtigste Grundlage der Untersuchungen sind die mehr als 400 Petitionen gegen das Umgeld mit über 22.000 Unterschriften, die sich an Abgeordnete des Landtags oder an die Regierung richteten. Der Steuerprotest erreichte in den 1820er und 1850er Jahren seinen Höhepunkt. Bis es zum Wirtschaftsabgabengesetz von 1827 kam, richtete sich der Widerstand gegen das Aversalsummensystem und gegen die Praxis der Steuereinziehung. Das neue Wirtschaftssteuergesetz von 1827 verschärfte unter Einführung der Malzsteuer die Abgabenlast, so dass es in den liberalen Landtagen von 1832/33 zu scharfen Protesten gegen die Wirtschaftsabgaben kam, die ca. 10-13 Prozent (ab 1860 bis zu 15 Prozent) des Staatsbedarfs deckten. Jedoch kam es nur zu geringen Zugeständnissen der Regierung, da auch die liberalen Abgeordneten einer Reform des Steuerrechts keine Priorität einräumten. Für die folgenden Jahre stehen Steuerhinterziehung, Überwachung und Verwaltungsmissstände im Vordergrund der Untersuchungen (S. 115ff.). Als außerordentlich belastend erwies es sich, dass bei der Bestrafung der Steuerdelikte nicht zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit unterschieden wurde (Grundsatz der praesumtio doli, S. 119f.). In der Mitte der 40er Jahre waren die Wirtschaftsabgaben „zu einem Symbol für die als fehlerhaft und unerträglich empfundene württembergische Verwaltung“ geworden: „Es trat zutage, dass sich die Württemberger mit der Überwachung und Bedrohung durch die Staatsbeamten nicht mehr abfinden wollten“ (S. 144). In der Revolutionszeit erreichte diese Kritik einen weiteren Höhepunkt. Die Finanzkommission der Kammer der Abgeordneten sprach sich erstmals 1849 für die Abschaffung des Umgeldes und für dessen Ersetzung durch eine allgemeinere Steuer aus (vgl. u. a. die Debatten in: W. Schubert [Hrsg.], Verhandlungen der Württembergischen Kammern und der Verfassungberatenden Landesversammlung des Königreichs Württemberg [1848-1850], Bd. 6, Vaduz 1991, S. 2291ff., 2300ff. [20./21. 3. 1849]). Das Parlament verpasste jedoch durch zu langes Zuwarten die Chance, mit einer durchgreifenden Steuerreform zu einem Kompromiss zwischen den Interessen des Staates und der Abgabepflichtigen zu finden. Die Zeit zwischen 1850 und 1875 stand im Zeichen des „starken Staates“ (S. 175ff.). Trotz teilweiser Milderung des Steuerstrafrechts versuchte Württemberg, die Wirtschaftsabgaben auszuweiten (1852 Erlass des Branntweinsteuergesetzes, das erst 1865 aufgehoben wurde). Durch verstärkte Kontrollen (u. a. durch eine militärisch uniformierte und bewaffnete Steuerwache) erhöhten sich die Eingriffsmöglichkeiten des Fiskus. Dieser hatte, so Kersting S. 209, „nicht nur mehr Mittel zur Überwachung zur Verfügung, durch die Liberalisierung im Strafwesen entzog sich die Auseinandersetzung mit den Zensiten auch den politischen Foren des Königreichs.“ Der Widerstand gegen die Wirtschaftsabgaben habe mehr und mehr an Einfluss verloren, da Gewerbeförderung und Konkurrenzfähigkeit der württembergischen Wirtschaft in den Vordergrund getreten seien: „Die Umgeldpflichtigen empfanden diese Entwicklung als bedrohlich und nachteilig, konnte der Staat doch zunehmend seine Kontrollansprüche durchsetzen.“

 

Mit Recht stellt Kersting in ihrem „Fazit“ (S. 209ff.) fest, dass mit dem von ihr gewählten Ansatz der „Steuerkultur“ alle Beteiligten als gleichberechtigte Akteure betrachtet würden. Neben dem Staat bestimmten auch die Steuereinnehmer, die Landtagsabgeordneten und die Zensiten die Auseinandersetzung über die Wirtschaftsabgaben, wobei die ökonomische Situation der einzelnen Akteure ebenso von Bedeutung war wie deren soziale und gesellschaftliche Stellung (vgl. S. 223). Insgesamt hat Kersting eine interessante und anschaulich geschriebene Studie zum Steuerwiderstand in Württemberg in dem untersuchten Zeitraum vorgelegt. Im „Fazit“ hätten die Untersuchungsergebnisse im Ganzen noch präziser formuliert werden sollen. Hinweise auf vergleichbare oder auch andersartige Formen des Widerstandes in anderen deutschen Bundesstaaten fehlen, was jedoch darauf zurückzuführen sein dürfte, dass es an vergleichbaren Vorarbeiten für das 19. Jahrhundert fehlt. Das Werk von Kersting verdeutlicht, dass der „Steuerwiderstand“ auch eine genuin rechtsgeschichtliche Thematik darstellt (u. a. Gesetzgebungsgeschichte, Ausgestaltung des Abgabenrechts, Steuererhebungs- und Steuerstrafrecht), welche (wie auch das Steuer- und Abgabenrecht insgesamt) die Rechtsgeschichte nicht ganz aus der Hand geben sollte.

 

Kiel

Werner Schubert