Kähler, Jan Jelle, Französisches Zivilrecht und französische Justizverfassung in den Hansestädten Hamburg, Lübeck und Bremen (1806-1815) (= Rechtshistorische Reihe 341). Lang, Frankfurt am Main 2007. 389 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Rezeption (des römischen Rechts in Europa) ist der wohl wichtigste rechtsgeschichtliche Vorgang der nachantiken Welt. Tatsächlich gibt es aber nicht nur die Rezeption, sondern viele Rezeptionen auf zahlreichen Gebieten. Für das Recht ebenfalls sehr bedeutsam sind die Rezeptionen des französischen Rechts im 19. Jahrhundert.

 

Französisches Recht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts – Zivilrecht Gerichtsverfassungsrecht und Zivilprozessrecht – war das große Thema der von Werner Schubert vor 30 Jahren vorgelegten grundlegenden Habilitationsschrift. Naturgemäß konnte dabei manche Einzelheit nicht so erfasst werden, wie sich der Autor dies vielleicht selbst gewünscht hätte. Umso begrüßenswerter ist es, dass er einen Schüler gefunden hat, der in seiner Dissertation das französische Zivilrecht und die französische Justizverfassung in den Hansestädten Hamburg, Lübeck und Bremen in den Jahren der französischen Vorherrschaft in Europa eigenständig und vertieft untersucht.

 

In seiner kurzen Einleitung beginnt der Verfasser mit einer Tagebucheintragung des Hamburger Advokaten Ferdinand Beneke zum 20. August 1811, dem Tag der Einrichtung des (französischen) Kaiserlichen Gerichtshofs in Hamburg, in der dieser den Beginn der neuen Justiz als verhängnisvoll charakterisiert. Weil die Geltungszeit der französischen Codes in den Hansestädten bis zur Gegenwart trotz reger zeitgenössischer literarischer Beschäftigung weitgehend unberücksichtigt geblieben ist, widmet der Verfasser sich diesem interessanten Gegenstand, zu dem sich in Bremen und Lübeck reiche, teilweise noch unbearbeitete Bestände finden ließen. Ausschließen muss er bedauerlicherweise und zugleich verständlicherweise das Strafrecht, das Strafverfahrensrecht und das Verfassungsrecht sowie die Landgebiete der drei Hansestädte.

 

Er beginnt seine außer in Einleitung, abschließendes Resümee, Anhang, Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Personen- und Sachregister in sechs in erster Linie chronologisch bestimmte Abschnitte gegliederte Arbeit mit dem Recht in den Hansestädten vor der Franzosenzeit. Dabei schildert er verhältnismäßig ausführlich die Gerichtsverfassung (Niedergericht, Gastgericht, Landgerichte, Konsistorialgericht, geistliche Gerichte, weitere Gerichte, Behördengerichte, Obergericht, Reichsgerichtsbarkeit und Revision durch Aktenversendung) und kommt im abschließenden Vergleich zu großen Ähnlichkeiten unter den drei Städten. Als hansestädtische Rechtsberufe stellt er Prokuratoren, Advokaten und Notariat vor, unter materiellem Recht und Rechtswissenschaft vor allem die Rechtsquellen und deren literarische Durchdringung.

 

Danach wendet er sich dem Recht in den Hansestädten zur Zeit der französischen Besatzung zu. Hier behandelt er zunächst die Änderungen der Gerichtsverfassung und des Notariats. Danach erörtert er die vergeblichen Versuche Frankreichs, seine gerade geschaffenen Codes 1807 und 1809 in den drei Städten einzuführen.

 

Gewichtiger ist naheliegenderweise dann die anschließende Zeit der Geltung des französischen Rechts in den Hansestädten zwischen 1811 und 1814. Besonders hervorgehoben werden in diesem Zusammenhang die Modifikationswünsche der Städte. Danach wird der Vorgang der Einführung des neuen Rechts dargelegt und die Aufnahme durch die Betroffenen einschließlich der Wissenschaft untersucht, wobei Zivilgerichtsverfassung und französische Rechtsberufe (Anwaltschaft, Staatsanwaltschaft, Greffiers und Huissiers sowie Notariat) besondere Aufmerksamkeit erfahren.

 

Den Schwerpunkt der sorgfältigen Darstellung bildet dann ein exemplarischer Vergleich einzelner Materien der alten hansestädtischen Rechte mit dem neuen französischen Recht. In etwa folgt der Verfasser dabei dem Pandektensystem und betrachtet nacheinander Allgemeines, Personenrecht und Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht, Erbrecht, Handelsrecht und Zivilprozessrecht. Vielleicht hätte er an dieser Stelle dem Leser schon ein Zwischenergebnis vermitteln können und sollen.

 

Stattdessen wendet er sich der kurzen Zeit des wechselnden Rechts zwischen Februar 1813 und Mai 1814 mit der Rückkehr der Franzosen und der Widereinführung des zwischenzeitlich abgeschafften französischen Rechts zu. Am Ende steht das Recht nach endgültiger Beendigung der französischen Herrschaft. Dabei beantwortet er die von ihm selbst gestellte Frage (Reform oder Restauration?) durch die Darstellung der Reformen im materiellen Recht, bei der Gerichtsverfassung, im Zivilprozess und bei den Rechtsberufen.

 

Insgesamt gesehen erscheinen ihm die Neuerungen durch Napoleon als weniger revolutionär als von der Tagebuchnotiz befürchtet. Am auffälligsten waren noch die Unterschiede zwischen den geschichtlich gewachsenen einheimischen Gerichtsordnungen und dem klaren modernen Gerichtsaufbau des französischen Justizwesens, das abweichende Verhältnis von Verwaltung und Justiz sowie der Instanzenzug. Im materiellen Recht ergaben sich nur geringe Unterschiede im Schuldrecht, Erbrecht und Handelsrecht, stärkere Abweichungen dagegen im Sachenrecht und Familienrecht.

 

Wegen der kurzen Geltungszeit war die Auswirkung des französischen Rechts in den Hansestädten eher gering, doch gaben die französischen Neuerungen Anstöße zur Infragestellung des Hergebrachten vor allem dort, wo es ohnehin als reformbedürftig empfunden wurde (z. B. Notariat), wenn auch letztlich nur wenige französische Einzelregelungen übernommen wurden. Die wichtigsten Punkte, in denen die praktische Erfahrung mit dem französischen Recht Veränderungen hätten bewirken können, wurden nicht aufgenommen. Rechtseinheit, Rechtsgleichheit, Zivilehe, neue Justizverfassung und neues bürgerliches Recht wurden erst, so schließt die ansprechende, durch Übersichtskarte, Zeittafel und Abdruck wichtiger Dokumente abgerundete Arbeit, nach Gründung des deutschen Reiches unter Einbeziehung der drei Städte allgemein eingeführt.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler