Juristische Zeitschriften in Europa, hg. v. Stolleis, Michael/Simon, Thomas (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 214). Klostermann, Frankfurt am Main 2006. VII, 627 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Im Anschluss an den Tagungsband von 1999: „Juristische Zeitschriften. Die neuen Medien des 18.-20. Jahrhunderts“, hg. v. Michael Stolleis, welcher der deutschen Entwicklung gewidmet war, dokumentiert der vorliegende Band die Beiträge der Tagung von 2004 über die europäischen Rechtszeitschriften. Über das nordische Zeitschriftenwesen berichten L. Björne, D. Michalsen und K. Å Modéer. Während in Dänemark und Norwegen die ersten juristischen, allerdings oft sehr kurzlebigen Zeitschriften bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erschienen, erhielt Schweden erst 1830 eine ausschließlich juristische Zeitschrift, das Juridiskt Arkif, das von Carl Schmidt herausgegeben wurde. Dieser stand mit seinem Bruder Gustavus (Rechtsanwalt in New Orleans) in einem regen Austausch juristischer Literatur, so dass die von den beiden Brüdern in Schweden und in den USA herausgegebenen Zeitschriften auch rechtsvergleichende Beiträge enthielten (vgl. Modéer, S. 55ff.). – In den baltischen Ostseeprovinzen Estland, Livland und Kurland erschienen im 19. Jahrhundert vier deutschsprachige Zeitschriften, die M. Luts auch inhaltlich erschließt. Ausgehend von der Juristenfakultät in Dorpat als Promotor des juristischen Zeitschriftenwesens beschreibt Luts das Jahrbuch für Rechtsgelehrte in Russland, die Theoretisch-Practischen Erörterungen aus den in Liv-, Esth- und Kurland geltenden Rechten, die Zeitschrift für Rechtswissenschaft und die Dorpater juristischen Studien. Insbesondere behandelten die baltischen Zeitschriften auch rechtspolitische Fragen unter besonderer Berücksichtigung des Privat- und Prozessrechts. – 1859 kann als die Geburtsstunde der russischen juristischen Fachzeitschriften bezeichnet werden, wie H. K. Litzinger in ihrem Beitrag insbesondere über das Journal des Justizministeriums (1859ff.) und die Zeitschriften der juristischen Gesellschaften in Sankt Petersburg und Moskau und über die Erfolgsgeschichte der Pravo zeigt, einer juristischen Wochenschrift, die 1906 bereits eine Auflage von 6.300 Exemplaren erreichte. Sämtliche Zeitschriften waren stark rechtspolitisch und rechtspraktisch ausgerichtet. Vor allem die liberale Pravo begleitete die Gesetzesprojekte der Regierung ausführlich, besprach aber auch ausländische Rechtsentwicklungen. In allen von Litzinger vorgestellten Zeitschriften waren „die Forderung nach Rechtsstaatlichkeit, der Maßstab der Rechtsstaatlichkeit und die Kritik ,administrativen Unrechts’ Leitgedanken der Redaktionen“ (S. 139f.).

 

Der Beitrag W. Witkowskis beschränkt sich auf die Themis Polska (1828-1830; 8 Bände), die im Wesentlichen von Absolventen der damaligen Warschauer Universität (1816-1831) getragen wurde. Bevor Witkowski den Inhalt der Zeitschrift analysiert, geht er auf die Rezeptionsgeschichte des französischen Rechts zur Zeit des napoleonischen Großherzogtums Warschau und auf die Reformbestrebungen des Königreichs Warschau näher ein. Insbesondere änderte das Zivilgesetzbuch des Königreichs Polen von 1825 das Personen- und Familienrecht ab (Wiederherstellung der religiösen Form der Eheschließung; Verbot einer Ehescheidung für Katholiken). Die Themis Polska behandelte Fragen der Gesetzgebung (u. a. Auseinandersetzung mit der Historischen Rechtsschule, der Rechtsgeschichte, römische und polnische Rechtsgeschichte), der Rechtsdogmatik insbesondere des Code Napoléon (seltener des Strafrechts nach dem polnischen Straqfgesetzbuch von 1818). Ferner enthielt die Zeitschrift Übersetzungen von Aufsätzen und Buchauszügen aus Frankreich und Deutschland (u. a. aus Feuerbachs Werk: „Über die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren Frankreichs in besonderer Beziehung auf die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege“, Gießen 1825; S. 170). Insgesamt vermittelt die Themis Polska einen guten Einblick in den hohen Standard der polnischen Rechtskultur am Vorabend des Novemberaufstandes von 1830. – Für Griechenland behandelt W. Neumann-Roustopanis die „Themis“ (1846-1865) und M. Tsapogas die juristischen Zeitschriften seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert 1890-1977. Die erste „Themis“ spiegelt nach Neumann-Roustopanis die „Widersprüchlichkeit verschiedener Strömungen, die das junge griechische Rechtssystem beeinflusst haben“, nämlich „vor allem die Anlehnung an die deutsche Pandektistik einerseits, an die französische Gesetzgebung andererseits, die Suche nach den authentischen Quellen des nationalen Rechts bei den byzantinischen Gesetzen gegenüber einer starken Ablehnung dieser Quellen als solcher“ (S. 182). Das „Archiv für Wissenschaftsphilosophie und Wissenschaftstheorie“ (1929-1941) war vor allem dem Neukantionismus und dem deutschen Idealismus verpflichtet, während die Nachkriegsgründung „Neues Recht“ (1945-1977) das Organ der links orientierten Front griechischer Juristen darstellte. – In Kroatien erschienen ab 1851/52 erste, jedoch noch sehr kurzlebige juristische Zeitschriften, die sich vor allem um die Durchsetzung des Kroatischen in der Rechtssprache einsetzten. Erst 1873 und 1875 wurden zwei Rechtszeitschriften gegründet, von denen das „Monatsheft der Juristengesellschaft in Zagreb“ bis heute existiert. – In Ungarn, so der Überblick K. Gönczis, erschienen bis in die 40er Jahre des 19. Jahrhunderts juristisch relevante Aufsätze in geisteswissenschaftlich ausgerichteten Zeitschriften. Von kurzlebigen Ausnahmen abgesehen kamen spezifisch juristische Zeitschriften erst während des Neoabsolutismus und endgültig mit der Zeit des „Dualismus“ (ab 1867) zustande. Die juristischen Zeitschriften dieser Zeit (u. a. Rechtswissenschaftliche Mitteilungen ab 1866; Ungarische Justiz ab 1874; Ungarische Themis ab 1870; „Rechtsstaat – Rechts- und Staatswissenschaftliche Rundschau“ ab 1902 in Anlehnung an die Konzeption Gneists) behandelten in voller Breite die Schaffung ungarischer Kodifikationen, theoretische und praktische Fragen sowie die berufsständische Selbstorganisation der Juristen und spielten bei der Ausbildung und Weiterentwicklung der juristischen Fachterminologie in der ungarischen Sprache eine erhebliche Rolle (vgl. S. 265). – B. Dölemeyer berichtet in ihrem Beitrag „Zur Frühgeschichte des juristischen Zeitschriftenwesens in Österreich“ über die „Materialien für Gesetzkunde und Rechtspflege“ (1814-1824) und deren Nachfolger: „Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit“ (1825-1849). Die „Materialien“ stellen das erste größere juristische Periodicum des 19. Jahrhunderts in der Habsburgermonarchie dar und behandelten wie auch die „Zeitschrift“ Fragen der Auslegung und Anwendung des ABGB, neue Gesetze, rechtspolitische Fragen und Entwicklungen im Rechtsleben des Deutschen Bundes und in Frankreich. Vor allem aber trugen sie durch die Veröffentlichung von Urteilen – spezielle Entscheidungssammlungen gab es noch nicht – für die Publizität der Rechtsprechung bei. – W. Brauneder beschreibt die juristischen Zeitschriften in Österreich/Cisleithanien zwischen 1850 und 1918. Erst ab 1850 und verstärkt ab 1867 unter dem Konstitutionalismus entwickelte sich eine breit gefächerte juristische Zeitschriftenliteratur, die nach dem Verlust der österreichischen Eigenstaatlichkeit zwischen 1938 und 1945 vorübergehend zum Erliegen kam. – Der Beitrag M. Krupars befasst sich mit den tschechischen juristischen Zeitschriften des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (nicht mit den Zeitschriften der deutschen Minderheit zwischen 1918 und 1938). Im Mittelpunkt ihres Beitrags steht neben der böhmischen Rechtskultur und der Herausbildung der tschechischen Rechtssprache die 1861 begründete Universalzeitschrift Právník (Der Jurist), deren Themenschwerpunkte leider nur knapp beschrieben werden (vgl. S. 339f.).

 

Der Beitrag von D. Heirbaut über die belgischen Zeitschriften umfasst den Zeitraum bis zur Gegenwart. Die belgische Entwicklung ist zunächst bestimmt durch die Dominanz der an Frankreich ausgerichteten Praktikerzeitschriften (u. a. La Belgique judiciaire ab 1842), nachdem die französisch-belgische „Thémis“ 1831 gescheitert war. Eine erste Abkehr vom französischen Muster erfolgte 1881 durch das Journal des tribuneaux, dem 1897 die Rechtskundig Tijdschrift folgte (verdrängt 1931 durch das Rechtskundig Weekblad). Zur Zeit existieren in Belgien neben den französisch- und niederländischsprachigen Rechtszeitschriften auch zahlreiche zweisprachige juristische Zeitschriften, letztere in unterschiedlicher Ausgestaltung. – J.-L. Halpérin befasst sich in seinem Beitrag „La place de la jurisprudence dans les revues juridiques en France au XIXe siècle“ zunächst mit den Urteilssammlungen des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, die seit 1802 entsprechend einer Idee von Sirey mit Urteilsmaterialien (Tatbestand, Argumente des Klägers und des Beklagten, Anträge der Staatsanwaltschaft) herausgegeben wurden. Die seit 1819 erschienenen Zeitschriften (Thémis von 1819-1831; Revue Foelix von 1833-1850, Revue Wolowski von 1834-1852, Revue critique de la jurisprudence ab 1851 und Revue pratique de droit civil français ab 1856) mussten angesichts der überragenden Bedeutung der Urteilssammlungen immer wieder einen Kompromiss finden zwischen der kritischen Urteilsbesprechung, der Rechtsdogmatik und der Gesetzgebung bzw. der Rechtspolitik. Erst mit der Revue trimestrielle de droit civil sei eine zufrieden stellende „complémentarité“ zwischen den Entscheidungssammlungen und den rechtsdogmatischen Zeitschriften erreicht worden, die für die französische Zeitschriftenkultur des 20. Jahrhunderts kennzeichnend wurde. – F. Fernández-Crehuet López befasst sich mit der Revista de Legislación y Jurisprudencia für die Zeit von 1853 und 1877 und stellt hierbei die Diskussionen über den Gesetzgebungsprozess in den Vordergrund. Die Strömungen, welche die Gesetzgebung bestimmten, waren nach der Verfasser der spanische Krausismus, die katalanische Schule und die thomistisch-katholische Bewegung. Die Rechtsvergleichung war bis 1877 in der Zeitschrift nur schwach vertreten. Im Anschluss hieran geht C. Petit auf die Bedeutung der Rechtsvergleichung in: „La Escuela del Derecho“, in der „Revista de los tribunales“ und in der noch heute bestehenden „Revista General de Legislación y Jurisprudencia“ ein. Das Bürgerliche Gesetzbuch bzw. die Entwurfsarbeiten spielten in den Zeitschriften nur eine verschwindend geringe Rolle (vgl. S. 477). – M. R. Pugliese stellt in ihrem Beitrag über die argentinischen Zeitschriften: „“Revista de Jurisprudencia Argentina“ und „Revista Jurídica La Ley“ (1936) deren rechtshistorische Bedeutung vor allem als didaktisches Instrument und als Ausdruck des jeweiligen Standes der Rechtskultur heraus. – Nach dem Beitrag S. Vogenauers über die englischen juristischen Fachzeitschriften im 19. Jahrhundert konnten sich in England Zeitschriften mit wissenschaftlichem Anspruch nur zögernd und sehr spät dauerhaft durchsetzen (ab 1885 das Law Quarterly Review); ähnlich verlief die Entwicklung in Schottland, wo die erste wissenschaftlich orientierte Zeitschrift, die Juridical Review, erst 1889 erschien (vgl. R. Zimmermann, S. 590ff.).

 

Die Herausgeber stellen in ihrer Einleitung fest, dass die akademischen juristischen Fachzeitschriften mit hohem theoretischem Anspruch ein spezifisch deutsches Phänomen des 19. Jahrhunderts gewesen seien, dem Ende des 19. Jahrhunderts andere europäische Länder dauerhaft gefolgt sind, allerdings nicht ohne die rechtspraktische Seite (Urteilsrezensionen) zu vernachlässigen. Im Übrigen verdeutlichen die Autoren die jeweils eigene Entwicklung ihres Landes, wobei übergreifende Vergleiche nur beschränkt möglich sind, da einige Länder überhaupt nicht behandelt sind, wie Italien und die Schweiz, und einige Autoren nur einen Teil der Zeitschriftenkultur ihres Landes (u. a. für Polen, Argentinien und Spanien) erschließen. Zu begrüßen ist, dass die Autoren insbesondere aus Ost- und Südosteuropa und auch aus Spanien die von ihnen besprochenen Zeitschriften auch inhaltlich erschlossen haben. Mit dem neuen Band liegt zusammen mit dem Tagungsband von 1999 über die Entwicklung des europäischen juristischen Zeitschriftenwesens des 19. Jahrhunderts ein auch methodisch anregender Überblick vor, auf dem weitere Arbeiten über diese Thematik aufbauen können.

 

Kiel

Werner Schubert