Juristen im Ostseeraum. Dritter Rechtshistorikertag im Ostseeraum 20.-22. Mai 2004, hg. v. Eckert, Jörn/Letto-Vanamo, Pia/Modéer, Kjell Å. (= Rechtshistorische Reihe 342). Lang, Frankfurt am Main 2007. 238 S. Besprochen von Peter Oestmann.
Der hier anzuzeigende Tagungsband bietet Anlass, über die übliche Inhaltsangabe hinaus die Frage nach Chancen und Grenzen institutionalisierter regionaler Rechtsgeschichte zu erörtern. Es ist bekannt, dass mehrere rechtshistorische Lehrstühle eine regionale Titulatur führen. Bonn (Deutsche und Rheinische Rechtsgeschichte), Halle (Europäische, Deutsche und Sächsische Rechtsgeschichte), München (Deutsche und Bayerische Rechtsgeschichte), Hamburg (Deutsche und Nordische Rechtsgeschichte) erwarten, dass dort zu spezifischen Themen gearbeitet wird, die einen engeren geographischen Bezug zum Hochschulstandort aufweisen. Dies in der Forschungspraxis durchzuhalten, ist nicht immer einfach. Jedenfalls gibt es genügend Rechtshistoriker, die ohne regionalhistorische Einbettung ihre Themen wählen und bearbeiten. Andere haben zwar Vorlieben für bestimmte Regionen entwickelt, ohne dort freilich tätig zu sein. Die Rechtshistoriker im Ostseeraum versuchen, beide Kriterien miteinander zu verbinden. Seit März 2000 existiert ein Arbeitskreis, der sich seinem eigenen Anspruch nach mit den „gemeinsamen rechtlichen Wurzeln (...) im Recht des Ostseeraums“ beschäftigt[1]. Sowohl die Personen sollen also regional verwurzelt sein als auch ihre Forschungsthemen. Das Problem liegt auf der Hand: Je spezifischer das Tagungsthema, umso mehr Kollegen schließt man aus. Je mehr Kollegen man einbezieht, umso dehnbarer wird das Thema sein müssen.
Der dritte Tagungsband „Juristen im Ostseeraum“ versammelt neben einem warmherzig-persönlichen Nachruf auf Jörn Eckert zwölf Beiträge zu so unterschiedlichen Themen wie dem Gründungszeremoniell des Wismarer Tribunals (Hans Hattenhauer), juristischen Zeitschriften im Baltikum (Marju Luts), Richterleitbildern im 20. Jahrhundert (Kjell Modéer) und dem Briefwechsel des schwedischen Juristen Nils Herlitz (Marco Pohlman-Linke). Die Bandbreite ist groß. Zwei Befunde fallen sofort ins Auge. Zum einen fehlt die ältere Rechtsgeschichte. Der Beitrag zum Wismarer Tribunal, gegründet 1653, greift zugleich am weitesten zurück. Das 19. und 20. Jahrhundert stehen im Mittelpunkt der meisten Abhandlungen. Zum anderen sind mehrere Beiträge in einem betont essayistischen Plauderstil gehalten und gleichzeitig sehr kurz. Es gibt eine vierseitige Skizze über Matthias Calonius (Lars Björne), neunseitige Gedanken über „Laien als Richter – warum und wozu“ (Pia Letto-Vanamo), elf Seiten „Reflexionen über Frauen als Rechtswissenschaftler“ (Inger Dübeck). Ob das ernsthafte Forschung sein soll mit dem Anspruch, unser rechtshistorisches Wissen zu erweitern, bleibt teilweise unklar. Demgegenüber fallen die quellengestützten Untersuchungen sehr positiv auf. Mats Kumlien analysiert, wie der schwedische Rechtsgelehrte David Nehrman im 18. Jahrhundert die römischrechtliche locatio conductio auf die schwedischen Verhältnisse anwandte und hierbei bereits zwischen Sachen und Diensten unterschied. Marju Luts beschäftigt sich mit vier baltischen juristischen Zeitschriften des 19. Jahrhunderts, allesamt in deutscher Sprache, und arbeitet insbesondere heraus, inwieweit Professoren und Praktiker als Autoren vertreten waren. Präzise quantifizierende Erhebungen und Informationen über die Berufe der jeweiligen Praktiker runden den wertvollen Aufsatz ab. Materialreich ist auch die Studie Werner Schuberts, der die Ausführungsverordnungen zu den Reichsjustizgesetzen zum Anlass nimmt, sich mit dem späten Übergang der Mecklenburger Justiz vom Ancien Régime zum modernen Rechtsstaat zu beschäftigen. Detaillierte Mitteilungen zu Gerichtsverfassung, Prozessrecht, Juristenausbildung, Anwälten und Notaren sind auch für den nicht partikularrechtlich interessierten Leser aufschlussreich. Forschungsorientiert ist ebenfalls der Beitrag Marco Pohlman-Linkes über den Briefwechsel des schwedischen Juristen, Historikers und Politikers Nils Herlitz. Es handelt sich um die Vorstudie einer im Entstehen begriffenen Dissertation. Exemplarisch beleuchtet der Autor die Korrespondenz von Herlitz mit dem nationalsozialistisch geprägten Rostocker Öffentlichrechtler Edgar Tatarin-Tarnheyden. Die schmale Gratwanderung zwischen persönlichem Respekt und völlig verschiedenen politischen Grundhaltungen verdeutlicht den hohen Wert von Briefen als Quellenmaterial auch der Rechtsgeschichte.
Mit dem nunmehr dritten Tagungsband zeigen die Beteiligten, dass ihnen an einem langfristigen Zusammenschluss der Rechtshistoriker im Ostseeraum ernsthaft gelegen ist. Das ist für die Wissenschaftslandschaft erfreulich. Aus deutscher Perspektive ist zu hoffen, dass man zukünftig auch die ältere Rechtsgeschichte verstärkt einbeziehen wird. Ob die Themen der Tagungen wirklich immer prägnanter werden (so Letto-Vanamo in ihrem Vorwort), erscheint nachrangig. Wichtiger dürfte es sein, zumindest den Veröffentlichungen eine deutlichere Forschungsorientierung zu geben. Dann dürften die Bände überregionaler Beachtung gewiss sein.
Münster
[1] Jörn Eckert/Kjell Å. Modéer (Hg.), Geschichte und Perspektiven des Rechts im Ostseeraum. Erster Rechtshistorikertag im Ostseeraum (Rechtshistorische Reihe 251), 2002, S. 5.