Ihonor, Daniel, Herbert Ruscheweyh. Verantwortung in schwierigen Zeiten. Nomos, Baden-Baden 2006. 315 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Gewissermaßen den Untertitel verkörpernd blickt Herbert Ruscheweyh im Lichtbild zu Beginn der von Jörg Berkemann, Richter am Bundesverwaltungsgericht Deutschlands außer Dienst, betreuten Hamburger Dissertation geradeaus in die weite Ferne. Der Blick des Verfassers auf seinen Gegenstand ist ebenso klar in drei Teile gegliedert. Er beginnt mit dem Werdegang bis zur Zulassung zur Anwaltschaft in Hamburg, wendet sich dann der Tätigkeit als Anwalt bis 1945 zu und endet mit der Reorganisation des rechtsstaatlichen Justizwesens in Hamburg.
In der kurzen Einleitung legt der Verfasser klar, dass der langjährige Präsident des Oberlandesgerichts Hamburg bisher, obwohl er zu den profiliertesten Gestalten des öffentlichen Lebens Hamburgs im 20. Jahrhundert zählte, trotz verschiedener Würdigungen noch nicht zum Gegenstand einer vertieften biographischen Betrachtung gemacht worden sei. Diesen Mangel zu beseitigen, ist die Zielsetzung der eigenen Arbeit. Sie will das Leben Herbert Ruscheweyhs systematisch und möglichst umfassend darstellen, obwohl Ruscheweyh seine privaten Akten vor seinem Tod bis auf ganz unbedeutende Reste vernichtet hat und nähere Verwandte nicht befragt werden konnten.
Geboren wurde Herbert August Ruscheweyh in Hamburg am 13. November 1892 als Sohn eines Haus- und Hypothekenmaklers, dessen Familie sich in Schlesien bis zum beginnenden 18. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Auf die Herkunft aus dem kaufmännischen Bereich führt der Verfasser mit der langjährigen Sekretärin Ruscheweyhs dessen vertrackte Mischung von Geiz und Großzügigkeit zurück. Ihr ist vermutlich auch der wirtschaftliche Erfolg der frühen Berufstätigkeit zumindest teilweise zu verdanken.
Am 25. Februar 1911 bestand Ruscheweyh am Matthias-Claudius-Gymnasium in Wandsbek bei Hamburg das humanistische Abitur mit überwiegend gutem Erfolg. Danach studierte er Rechtswissenschaft in Neuenburg in der Schweiz, München und Kiel, ohne dass der Verfasser sichere Gründe für die jeweilige durchaus nicht ganz gewöhnliche Wahl ermitteln konnte. Seine Notprüfung als Kriegsfreiwilliger (6. August 1914) am 10. August 1914 bestand er mit der Note ausreichend.
Gegen Ende des ersten Weltkriegs wurde er mit einer von Liepmann betreuten Dissertation über die Entwicklung des deutschen Jugendgerichts in Kiel am 13. September 1918 promoviert. Im Oktober 1918 trat er der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bei. Der Verfasser führt dies mit einleuchtenden Überlegungen auf die Beschäftigung mit dem Dissertationsthema zurück.
Am 23. März 1919 wurde der gerade in den Vorbereitungsdienst eingetretene Ruschweyh in den Arbeiterrat Groß-Hamburg gewählt. Dort schied er zu einem unbekannten Zeitpunkt etwa zeitgleich mit der Ablegung der zweiten juristischen Staatsprüfung („bestanden“) in verkürzter Form am 17. Juni 1921 aus. Bereits am nächsten Tag beantragte er erfolgreich die Zulassung als Rechtsanwalt.
In gleicher sorgfältiger detaillierter Weise schildert der Verfasser im zweiten Teil das Wirken Ruscheweyhs als Rechtsanwalt und Politiker in Hamburg, in dessen Verlauf Ruscheweyh am 4. November 1931 zum Präsidenten der Bürgerschaft gewählt wurde, der 1933 den ersten mehrheitlich aus Nationalsozialisten zusammengesetzten Senat Hamburgs zu vereidigen hatte. In der Folge entschied sich Ruscheweyh nach seinem Rücktritt dafür, dem neuen Regime so geringe Zugeständnisse wie möglich zu machen, aber sich doch auch in dem Maße anzupassen, wie es ihm für die Bewahrung von Leib und Leben notwendig erschien. Er vertrat insbesondere Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden anwaltschaftlich, musste aber 1936 unter politischem Druck seine 1921 begonnene Sozietät mit seinem jüdischen Kollegen Eichholz beenden.
Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 wird er in eine vierwöchige Schutzhaft genommen, wird aber wohl wegen seines hohen gesellschaftlichen Ansehens, seiner persönlichen Integrität, seines anwaltlichen Geschicks und seiner guten Beziehungen vor Schlimmerem bewahrt. Nach 1945 kann er so bereits am 30. Oktober 1945 Präsident der hanseatischen Rechtsanwaltskammer, am 2. Oktober1946 Präsident des Oberlandesgerichts Hamburg und 1952 Präsident des Hamburger Verfassungsgerichts werden. In allen diesen Aufgabenbereichen vermag er sich auf Grund seiner Humanität und Charakterfestigkeit vorzüglich zu bewähren.
Im Anhang bietet der Verfasser eine Zeittafel der wichtigsten Lebensereignisse, den Abdruck siebener kurzer Dokumente und ein Literaturverzeichnis. Das Personenregister weist schätzungsweise 250 einzelne Personen nach. Insgesamt ein überzeugendes Porträt eines wichtigen Hamburger Juristen in verschiedensten Zeiten deutscher Rechtsgeschichte der jüngeren Vergangenheit.
Innsbruck Gerhard Köbler