Hollstein, Thorsten, Die
Verfassung als „Allgemeiner Teil“. Privatrechtsmethode und
Privatrechtskonzeption bei Hans Carl Nipperdey (1895-1978) (= Beiträge zur
Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 51). Mohr (Siebeck), Tübingen 2007. XV,
395 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Hans (Richard) Carl Nipperdey
wurde in Bad Berka in Thüringen am 21. Januar 1895 als ältester Sohn des Arztes
Ludwig Carl Eduard Nipperdey (1865-1926) und als Enkel des Jenaer klassischen
Philologen Carl Ludwig Nipperdey (1821-1875) geboren. Der Großvater
väterlicherseits hatte 1859 die jüdische Kaufmannstochter Fanny Georgine Anna
Steinthal (1834-1908) geheiratet, die sich 1850 evangelisch hatte taufen
lassen. Dennoch bedeutete diese Herkunft für den bekannten Juristen Hans Carl
Nipperdey, dessen Privatrechtsmethode und Privatrechtskonzeption die von
Joachim Rückert nach eigener Befassung mit dem Gelehrten angeregte und
betreute, im Wintersemester 2005/2006 nach dreijähriger Forschungsarbeit vom
Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Frankfurt am Main angenommene
Dissertation des Verfassers zum Gegenstand hat, im antisemitisch geprägten
deutschen Dritten Reich von 1933 bis 1945 eine sehr schwere Last.
Gegliedert ist die
eindrucksvolle Bearbeitung eines wichtigen und interessanten Gegenstandes in
drei Teile. Sie beginnt naheliegenderweise mit Hans Carl Nipperdeys Leben und
Werk. Von dort aus geht der Verfasser zu Methodendogmen und
Privatrechtskonzeption über.
Nach dem Besuch der
humanistischen Gymnasien in Jena und Weimar begann Nipperdey am 16. April 1913
das Studium der Rechtswissenschaft (und Volkswirtschaftslehre sowie Geschichte)
in Heidelberg, wechselte zum Wintersemester 1913/1914 nach Leipzig und zum
Sommersemester 1914 nach Jena, wo zu dieser Zeit in betont
national-konservativem Klima unter anderen die bedeutenden Professoren Justus
Wilhelm Hedemann, Heinrich Lehmann und Karl Rauch lehrten. Von August bis
Dezember 1914 unterbrach Nipperdey das Studium einige Monate für die
freiwillige Teilnahme am gerade entbrannten Krieg. 1916 bestand er die erste
juristische Staatsprüfung mit Auszeichnung und wurde noch im gleichen Jahr mit
der von August Köhler und Heinrich Lehmann betreuten strafrechtlichen, aber
auch wirtschaftsrechtlichen Schrift Grenzlinien der Erpressung durch Drohung
unter besonderer Berücksichtigung der modernen Arbeitskämpfe summa cum laude
promoviert.
Danach wurde er am 1. Juli
1916 mit gut 21 Jahren Abteilungsleiter in dem von Karl Rauch geführten
Ernährungsamt der thüringischen Staaten (bis 30. April 1919) und nahm
gleichzeitig am juristischen Vorbereitungsdienst teil, brach diesen jedoch (am
15. August?) 1919 ohne Abschluss durch die zweite juristische Staatsprüfung ab.
Stattdessen trat er als wissenschaftlicher Assistent in das gerade von Hedemann
und Lehmann gegründete, von der Carl-Zeiss-Stiftung geförderte Institut für
Wirtschaftsrecht der Universität Jena ein, wo er bereits zu Beginn des Jahres
1920 seine sehr viel Fallmaterial aus dem Wirtschaftsleben verarbeitende, von
Hedemann und Rauch begutachtete Habilitationsschrift Kontrahierungszwang und
diktierter Vertrag vorlegen konnte. Wegen eines am 6. April 1920 in der
Volkszeitung für Sachsen-Weimar-Eisenach erschienenen Artikels über „Frontgeist
Nipperdey macht in Karriere und in Hochverrat“ ruhte das Habilitationsverfahren
freilich bis zur Einstellung des diesbezüglichen
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen am 16. Juli 1920.
Ende Oktober 1920 erhielt
Nipperdey die Lehrbefugnis für bürgerliches Recht und Handelsrecht (1923 auf
deutsches Recht erweitert), blieb weiterhin Assistent und lehrte bürgerliches
Recht, Handelsrecht sowie die im Entstehen begriffenen Fächer Wirtschaftsrecht
und Arbeitsrecht (1922 Lehrauftrag). Mit Unterstützung Hedemanns wurde er im
Mai 1924 zum nichtplanmäßigen außerordentlichen Professor in Jena ernannt. Mit
Unterstützung Heinrich Lehmanns, der 1920 an die gerade gegründete Universität
Köln gegangen war, wurde er zum Sommer 1925 als Nachfolger Heinrich Mitteis’
für deutsches und bürgerliches Recht, deutsche Rechtsgeschichte und
Handelsrecht an die sich als eher liberal formierende Kölner
rechtswissenschaftliche Fakultät berufen, wo außer Lehmann Fritz Stier-Somlo,
Godehard J. Ebers, Franz S. Haymann, Hans Planitz, Gotthold Bohne und Albert
Coenders lehrten, wohin 1930 auch der 1905 vom Judentum zum Katholizismus
konvertierte Hans Kelsen aus Wien kam und wo Nipperdey bald Direktor der
Abteilung Arbeitsrecht des in Nachfolge des 1920 von Lehmann eingerichteten
Instituts für Handelsrecht und Industrierechtr zum 1. Januar 1930 gegründeten,
von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Industrie geförderten Instituts
für Arbeitsrecht, Wirtschaftsrecht (Lehmann) und Auslandsrecht (Planitz) wurde.
Bereits in Jena hatte
Nipperdey neben seiner Habilitationsschrift drei weitere selbständige
Veröffentlichungen vorgelegt. Zu ihnen kamen in Köln bis 1932 elf selbständige
Schriften, 24 unselbständige Schriften und 26 Zeitschriftenartikel und
Buchbesprechungen mit arbeitsrechtlichen, wirtschaftsrechtlichen und
allgemeinprivatrechtlichen Themen. Hierzu gehörten vor allem das 1928 gemeinsam
mit Alfred Hueck geschaffene Lehrbuch des Arbeitsrechts (2. A. 1929, 3./4./5.
A. 1931) und die über Vermittlung Lehmanns 1931 vorgelegte, wenig veränderte
13. Auflage des allgemeinen Teiles des von dem Marburger Professor und
Reichstagsabgeordneten Ludwig Enneccerus gemeinsam mit Lehmann 1898 begründeten
Lehrbuchs des bürgerlichen Rechts sowie der 1929/1930 von Nipperdey in drei
Bänden herausgegebene und hinsichtlich des Koalitionsrechts auch bearbeitete,
von 48 Mitwirkenden unterschiedlicher Ausrichtung getragene,
bürgerlich-konservative Kommentar über die Grundrechte und Grundpflichten der
Reichsverfassung.
1929 trat Nipperdey in die
bürgerlich-nationalliberale Deutsche Volkspartei ein, die ihn 1933 für den
Stadtrat Kölns vorschlug, aber bald aufgelöst wurde. Der Weimarer Republik
stand er bis in die Endphase grundsätzlich positiv gegenüber. Die Bedeutung der
Reichsverfassung für alle Rechtsbereiche schätzte er recht hoch ein.
1932 setzte er sich bei der
Nachfolge des verstorbenen Öffentlichrechtlers Stier-Somlo in einem
Separatvotum erfolgreich für die Berufung Carl Schmitts von Berlin nach Köln
ein, wobei der Neuankömmling allerdings im folgenden Jahr wieder nach Berlin
zurückkehrte. Am 6. April 1933 schlug Nipperdey in einem kleinen Zirkel vor,
den gegen das Hissen der Hakenkreuzfahne auf dem Universitätshauptgebäude
protestierenden und deswegen aus nationalsozialistischer Sicht nicht mehr
tragbaren rechtskonservativen Rektor Ebers zum Rücktritt zu veranlassen, worauf
dieser am 11. April 1933 zusammen mit allen Dekanen auch tatsächlich aus dem
Amt schied. Neuer Dekan der juristischen Fakultät wurde bei dieser ersten
Gleichschaltungsaktion einer deutschen Universität an Stelle Hans Kelsens
Nipperdey.
Unmittelbar danach wurde Hans
Kelsen am 13. April 1933 auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des
Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 beurlaubt. Ein von Nipperdey verfasstes
Gesuch an den Reichskommissar für das preußische Ministerium für Wissenschaft,
Kunst und Volksbildung blieb, wie von Carl Schmitt vorhergesagt, wirkungslos.
Am 11. September 1933 wurde Kelsen zum 1. Januar 1934 in den Ruhestand
versetzt.
Am 18. April 1933 gab
Nipperdey in einem auf Aufforderung des Universitätskuratoriums ausgefüllten,
an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung
weiterzuleitenden Fragebogen zur Feststellung der Auswirkungen des
Berufsbeamtengesetzes vom 7. April 1933 für die Hochschulen als
Rassezugehörigkeit der vier Großeltern arisch an. Auf einen Hinweis des
thüringischen Justizministeriums an das preußische Kultusministerium, dass
Nipperdey nicht arischer Abstammung sei, forderte das preußische
Kultusministerium das Universitätskuratorium auf, Nipperdey zur Einreichung
eines umfangreichen Fragebogens nach dem gesetzlich vorgeschriebenen Muster zu
veranlassen. In diesem Verfahren erklärte Nipperdey unmittelbar gegenüber dem
Reichsministerium, dass die Religionszugehörigkeit seiner Großmutter
väterlicherseits evangelisch sei und er nach seiner Überzeugung (auf Grund
einer eindeutigen Auskunft seines Vaters) arischer Abstammung sei.
Ein danach vom
Reichsministerium angefordertes Gutachten des Sachverständigen für
Rasseforschung bei dem Reichsministerium kam zu dem Ergebnis, dass Nipperdey
nichtarisch sei. Das Reichsministerium entschied gleichwohl, Nipperdey trotz
seiner nichtarischen Abstammung als Frontkämpfer im Amt zu belassen. Offiziell
wurde das Universitätskuratorium über dieses Ergebnis nicht unterrichtet und
auch spätere Ermittlungsvorgänge in den Jahren 1941 und 1943 führten letztlich
nicht zu bestimmten negativen Auswirkungen für Nipperdey.
Im Gegensatz hierzu wurde
Ebers am 30. September 1935 vorzeitig emeritiert. Am gleichen Tag wurde Franz
Haymann wegen nichtarischer Abstammung von seinen Verpflichtungen entbunden.
Ludwig Waldecker wurde wegen Fortfalls des Lehrstuhls entpflichtet.
In die Nationalsozialistische
Deutsche Arbeiterpartei trat Nipperdey (wie alle seine Fakultätskollegen) nach
eigenen Angaben trotz dringender Nahelegung nicht ein. Seit 1934 war er jedoch
Mitglied des NS-Rechtswahrerbunds und der Reichsdozentenschaft. Zumindest ab 1935
war er Mitglied der am 26. Juni 1933 gegründeten Akademie für deutsches Recht
und deren von Dersch geleiteten Arbeitsrechtsausschusses sowie des von Lehmann
geleiteten Ausschusses für das Recht des Handelsstandes und der
Handelsgeschäfte.
Im Oktober 1937 hielt er bei
dem Richtfest des Hauses der Akademie der Arbeit einen Vortrag über das System
des bürgerlichen Rechts. Darin bejahte er die Notwendigkeit der
Rechtserneuerung und sprach sich für eine von der nationalsozialistischen
Weltanschauung geprägte Kodifikation ohne Familienrecht aus. Das künftige
Privatrecht sollte nicht in vielen Einzelgesetzen zergliedert, sondern in
seinen Kernstücken in einem Privatrechtsgesetzbuch der neuen Zeit, an dem „wir
alle mitarbeiten sollen“ zusammenfassend geregelt sein.
Im Übrigen weist der
Verfasser nach, dass Nipperdeys literarische Produktivität in der rassistisch
akzentuierten Zeit zwischen 1933 und 1945 geringer war als vorher und nachher.
Als größeres Werk erarbeitete er zusammen mit seinem Schüler Rolf Dietz und mit
Alfred Hueck (1889-1975, 1925 Jena) seit 1934 einen Kommentar zum Gesetz zur
Ordnung der nationalen Arbeit vom Januar 1934 (1934, 2. A. 1937, 3. A. 1939, 4.
A. 1943). Hier und auch in anderen Schriften betonte er den
Gemeinschaftsgedanken mehr als früher.
Am 10. Oktober 1944 wurde die
Universität Köln stillgelegt. Im Dezember 1944 wurde Nipperdeys Haus zerstört.
Die Familie wechselte nach Jena, während Nipperdey selbst zumindest kurze Zeit
in Marburg war.
Im Frühjahr 1945 war
Nipperdey wieder in Köln, das amerikanische Truppen am 6. März 1945 einnahmen.
Nipperdey trat zu einem nicht mehr ermittelbaren Zeitpunkt in die neu gebildete
Sozialdemokratische Partei Deutschlands ein. Als Stadtverordneter beteiligte er
sich engagiert am Wiederaufbau.
In diesen Tagen wurde in Köln
Konrad Adenauer von der amerikanischen Besatzungsmacht wieder als
Oberbürgermeister eingesetzt. Er schlug Josef Kroll, der bereits in den letzten
Monaten der nationalsozialistischen Herrschaft stellvertretender Rektor der
Universität gewesen war, als Universitätspräsidenten vor (Rektor am 5. November
1945). Nipperdey wurde kommissarischer Prorektor und kommissarischer Dekan, am
5. November 1945 Dekan.
Bereits am 2. Januar 1946
füllte Nipperdey einen Fragebogen der neuen britischen Besatzungsmacht aus. In
ihm ließ er die nicht besonders erfragte Mitgliedschaft in der Akademie für
deutsches Recht unerwähnt. Dagegen schilderte er seine Lage unter der
nationalsozialistischen Herrschaft als wegen seiner nichtarischen Herkunft
bedroht.
Wenig später kam es zu
Differenzen zwischen Kroll und Nipperdey. Den Hauptgrund dafür, dass sich die
Universität nicht an der Lösung vordringlicher sozialer und politischer
Probleme beteiligte, sah Nipperdey im Juni 1946 in der Person des Rektors
Kroll. Bei der Rektorswahl 1946 unterlag jedoch Prorektor Nipperdey gegen
Rektor Kroll.
Wenig später wurde Nipperdey
mit einem Befehl der britischen Militärregierung vom 24. Oktober 1946 von
seinem Amt als ordentlicher Professor an der Universität Köln entlassen. Zur
Begründung wurde in erster Linie auf seine Schriften hingewiesen, besonders auf
den Aufsatz Das System des bürgerlichen Rechts des Jahres 1938. In ihm komme
zum Ausdruck, dass Nipperdey nationalsozialistische Philosophie und
Zielsetzungen unterstützt habe.
Gegen diese Entscheidung
legte Nipperdey Berufung ein und nutzte seine Parteikontakte zur Beeinflussung
der Berufungsentscheidung. Am 1. Mai 1947 wurde seinem Berufungsantrag
stattgegeben. Am 18. Juli 1947 wurde ein Entlastungszeugnis ausgestellt, woraufhin
Nipperdey wiedereinzustellen und sein Vermögen freizugeben war.
In der Folge fiel ihm in der
Fakultät auf Grund seiner Vitalität eine Führungsrolle zu, so dass er mehrfach
Dekan und 1950 Direktor des eigenen Instituts für Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht
wurde. Gleichzeitig erlangte er den Vorsitz des kurz vorher von ihm
mitbegründeten Deutschen Arbeitsgerichtsverbands e. V., wurde von
Gewerkschaften und Arbeitnehmerorganisationen für den Vorsitz des nicht
verwirklichten obersten Arbeitsgerichts der britischen Zone vorgeschlagen,
begründete eine arbeitsrechtliche Zeitschrift, eine arbeitsrechtliche
Entscheidungssammlung und eine arbeitsrechtliche Gesetzessammlung. 1952 wurde
er Mitglied des Verfassungsgerichtshofs Nordrhein-Westfalens.
Wie Heinrich Lehmann wurde er
ein gesuchter Gutachter. Im Zeitungsstreik vom 27. bis 29. Mai 1952 gutachtete
er dabei für die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände. Wie
Alfred Hueck und Ernst Forsthoff kam er zur Bejahung der Schadensersatzpflicht
der Gewerkschaften, weil er eine Lahmlegung von Betrieben zwecks Erreichung
politischer Ziele ablehnte.
1952 legte er 19 Jahre nach
der 13. Auflage den ersten Teilband der 14. Auflage des im Dritten Reich
verbotenen Lehrbuchs zum Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Gesetzbuchs von
Ludwig Enneccerus vor. Mit ihr wollte er das bürgerliche Recht stärker als
früher in den Strom der Gesamtentwicklung des Rechts stellen. Deswegen
arbeitete er nach eigenen Worten die Verbindung zum Naturrecht und zum
Verfassungsrecht stärker heraus und bezog das 1949 erlassene Grundgesetz
umfassend in das Privatrecht ein.
Am 22. Dezember 1953 wurde er
mehrheitlich zum Präsidenten des neu geschaffenen Bundesarbeitsgerichts
Deutschlands gewählt. Hauptproblem war dabei seine Forderung auf Fortführung
der Bezüge als ordentlicher Professor neben der Richtervergütung. Damit konnte
er sich allerdings nicht durchsetzen, erreichte aber die Wahrung einer
Kolleggeldgarantie in nicht genannter Höhe auch nach der Ernennung vom 12. April
1954.
Trotz seiner Doppelbelastung
und dem steten anstrengenden Pendeln zwischen Köln und Kassel verfasste er
unter Unterstützung durch Mitarbeiter zwischen 1954 und 1963 13 selbständige
Schriften. Dazu gehören die 6. und 7. Auflage des mit Alfred Hueck vorgelegten
Lehrbuchs des Arbeitsrechts von 1957/1959 und 1963, die erste und zweite
Auflage des ebenfalls mit Alfred Hueck geschaffenen Grundrisses des
Arbeitsrechts von 1960 und 1962 sowie der zweite Halbband der 14. Auflage des
Allgemeinen Teiles des Lehrbuches von Ludwig Enneccerus, dem 1959 und 1960 noch
die wesentlich erweiterte 15. Auflage beider Bände folgte. Gemeinsam mit dem
bald danach verunglückten Franz L. Neumann und Ulrich Scheuner gab er ab 1954
als Sammelwerk das mehrbändige Handbuch Die Grundrechte heraus.
Im Januar 1963 schied
Nipperdey als Präsident des Bundesarbeitsgerichts aus. An der Universität
Köln wurde er am 8. März 1963
emeritiert, vertrat aber seinen Lehrstuhl noch bis zum Dienstantritt des ihm
nachfolgenden Theo Mayer-Maly im Jahre 1965. Am 21. November 1968 verstarb er
an den Folgen eines Herzinfarkts.
Auf dieser breiten
biographischen Grundlage baut der zweite Teil über Methodendogmen für
Rechtsanwender auf. Hier geht der Verfasser einleuchtend von der 12. Auflage
des Lehrbuchs des Allgemeinen Teiles von Ludwig Enneccerus aus, stellt ihr
Nipperdeys Position in der Weimarer Republik auf dem Weg zur
Wertungsjurisprudenz gegenüber und verfolgt diese über den Nationalsozialismus
mit dem Primat der nationalsozialistischen Werte bis zu Nipperdeys Position in
der Bundesrepublik Deutschland, in der das Grundgesetz für den Allgemeinen Teil
bestimmend wird. Er zeigt, wie Nipperdey durch Kombination verschiedener
methodischer Ansätze ein eigenes Konzept von bemerkenswerter Flexibilität zwischen
Gesetzestreue und Juristenrecht erarbeitete, in dem die Weimarer
Reichsverfassung, die nationalsozialistischen Prinzipiennormen und das
Grundgesetz nacheinander die Steuerungsfunktion übernehmen konnten.
Danach wendet der Verfasser
sich der Privatrechtskonzeption zu. Er ermittelt, dass Nipperdey das
Privatrecht von Anfang an als Teil der Gesamtrechtsordnung und die Verfassung
als zentrales Steuerungselement betrachtete. Während er aber in der Weimarer
Republik und der nationalsozialistischen Zeit bei Nipperdey den
Gemeinschaftsgedanken unter dem Schlagwort der sozialen Korrektur dominieren
sieht, erkennt er in der Bundesrepublik die Freiheit des Einzelnen als
Mittelpunkt von Nipperdeys Gesamtrechtsordnung und Privatrechtskonzeption,
worin die Herstellung gleicher rechtlicher Freiheit des Einzelnen zum
eigentlichen Ziel wird.
Am Ende steht die Frage, was
bleibt von dieser arbeitsamen, belastbaren, zielstrebigen, aber auch
anpassungsfähigen, die eigenen Interessen intensiv verfolgenden, durch genealogische
Zufälligkeit politisch erkennbar beeinträchtigten Person? Als Antwort lässt
sich feststellen, dass der umtriebige und einfallsreiche Nipperdey sehr viele
eigenständige Anstöße gegeben hat, dass er sich aber in manchen grundlegenden
Fragebereichen wie der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte oder der
Vorgegebenheit eines Wirtschaftsmodells im Grundgesetz nicht entscheidend
durchsetzen konnte. Gleichwohl wirkte er über seine vom Verfasser im Anhang
zusammengestellten Lehrveranstaltungen, seine ebenfalls im Anhang übersichtlich
verzeichneten Schriften, über Gutachten und Entscheidungen und nicht zuletzt
über zahlreiche Schüler wie Klaus Adomeit, Gustav-Adolf Bulla, Rolf Dietz,
Wolfgang Hefermehl, Rudolf Reinhardt, Günther Wiese, Gerhard Schnorr, Franz
Jürgen Säcker, Hermann Stumpf, Eugen Stahlhacke, Ernst Tophoven, Fritz
Poelmann, Dirk Neumann oder Hein Mohnen in langen Jahren des 20. Jahrhunderts
als eine beeindruckende Persönlichkeit des deutschen Rechts, worauf die
überzeugende Arbeit des Verfassers mit gutem Grund nachdrücklich aufmerksam
macht.
Innsbruck Gerhard
Köbler