Höchstgerichte in Europa. Bausteine frühneuzeitlicher Rechtsordnungen, hg. v. Auer, Leopold/Ogris, Werner/Ortlieb, Eva (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im alten Reich 53). Böhlau, Köln 2007. VIII, 242 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Seit der Entwicklung des Rechts durch den Menschen hat sich als Einrichtung für die Entscheidung über einen umstrittenen Inhalt des Rechts das Gericht herausgebildet. Dementsprechend gehört in Rom der praetor zu den höchsten Magistraten und ist nach Eike von Repgows Sachsenspiegel der König der allgemeine Richter überall. Folglich darf die Höchstgerichtsbarkeit nicht nur im Europa der Gegenwart mit besonderer Aufmerksamkeit rechnen, sondern verdienen auch die vergangenen einzelnen Höchstgerichte allgemeines Interesse.

 

Nach der an den Beginn des kurzen Vorworts der Herausgeber gestellten Erkenntnis gehört die vergleichende Analyse der europäischen Höchstgerichtsbarkeit überhaupt zu den großen Desiderata der rechtsgeschichtlichen Forschung, die in den letzten Jahren an Aktualität gewonnen haben. Als jüngstes Beispiel hierfür dient ihnen der deutsche Rechtshistorikertag in Halle an der Saale von 2006, in dessen von Peter Oestmann geleiteter Sektion höchste Gerichtsbarkeit in Europa Ulrike Müßig über die französische und englische Höchstgerichtsbarkeit, Alain Wijffels über die höchste Gerichtsbarkeit in den südlichen Niederlanden, Matthias Schnettger über die kaiserliche Gerichtsbarkeit in Italien und Friedrich Battenberg über die königliche Kammergerichtsbarkeit vorgetragen haben. Um neue Einsichten und Ergebnisse zu gewinnen, komme es unter anderem darauf an, Forschende verschiedener Disziplinen aus unterschiedlichen Ländern miteinander ins Gespräch zu bringen.

 

Ausgangspunkt des in diesen größeren Zusammenhang gestellten Sammelbandes sind die Bemühungen um die Erforschung des Reichshofrats und die Erschließung seines Archivs, zu deren Förderung sich die Akademie der Wissenschaften in Göttingen (Wolfgang Sellert), die österreichische Akademie der Wissenschaften (Werner Ogris) und das österreichische Staatsarchiv (Leopold Auer) vor einigen Jahren zusammengeschlossen haben. In diesem Rahmen ist ein Forschungsprojekt zur Formierungsphase des Reichshofrats unter den Kaisern Karl V. und Ferdinand I. begonnen worden, das der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanziell trägt. Dessen Darstellung und Rechtfertigung diente eine in Wien vom 6. bis zum 8. April 2006 von der Kommission für Rechtsgeschichte Österreichs der österreichischen Akademie der Wissenschaften und vom Haus-, Hof- und Staatsarchiv veranstaltete wissenschaftliche Tagung, deren Referate der Sammelband der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt.

 

Anders als für den thematisch verwandten, 1996 von Bernhard Diestelkamp herausgegebenen Sammelband über oberste Gerichtsbarkeit und zentrale Gewalt im Europa der frühen Neuzeit wurden die Vortragenden der jetzigen Tagung nicht auf eine einheitliche Gestaltung verpflichtet. Vielmehr wurden sie eingeladen, aus ihren jeweiligen Forschungen über Höchstgerichte in Europa zu berichten. Dementsprechend vielgestaltig ist das Ergebnis.

 

Hans-Jürgen Becker stellt in diesem losen Rahmen die Sacra Rota Romana vor. Ulrike Müssig legt ihre Erkenntnisse über Höchstgerichte im frühneuzeitlichen Frankreich und Europa dar. Dariusz Makiłła aus Warschau fragt, ob die Gründung des obersten Gerichtshofs des polnischen Königreichs im Jahre 1578 ein Verlust oder eine Rationalisierung einer königlichen Prärogative war, und entscheidet sich dabei für eine bloße Verschiebung der Funktionen des Königs im politischen System des Gemeinwesens mit Rationalisierung des Gerichtswesens.

 

Mit der Rechtsanwendung durch den frühmodernen Juristen in den livländischen Gerichten der schwedischen Zeit (ca. 1630-1710) befasst sich Heikki Pihlajamäki aus Helsinki. Nils Jörn aus Wismar widmet sich dem Wismarer Tribunal in einen Beziehungen zu Reichskammergericht und Reichshofrat. Wolfgang Sellert erkundet die pax Europae durch Recht und Verfahren.

 

Die meisten übrigen Beiträge beschäftigen sich in erster Linie mit dem Reichshofrat. So überlegt Sigrid Westphal (Osnabrück), ob der Reichshofrat kaiserliches Machtinstrument oder Mediator war, verfolgt Karl Härter frühneuzeitliche Asylkonflikte vor dem Reichshofrat und anderen europäischen Höchstgerichten, prüft Bernhard Diestelkamp die ausschließliche Zuständigkeit des Reichshofrats für die Kassation kaiserlicher Privilegien, behandelt Eva Ortlieb (Wien) Gnadensachen vor dem Reichshofrat (1519-1564) und skizziert Elmar Wadle Druckprivilegien vor dem Reichshofrat. Gabriele Haug-Moritz aus Graz zeigt am Ende des durch ein Verzeichnis der 14 als Sachkenner ausgewiesenen Autoren, Abkürzungen und Siglen sowie ein Personenregister abgeschlossenen schlanken Bandes die kaiserliche Gerichtsbarkeit in der Deutung der Protestanten der Reformationszeit insgesamt.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler