Günther, Gerhard, Römisches Recht in
Thüringen. Seine Anwendung im Rechtsleben bis 1350. Selbstverlag des
Verfassers, Bad Langensalza 2006. 164 S.
Das Werk ist die 1956 erstellte, in der
ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik nicht und nunmehr vom Verfasser
auf eigene Kosten gedruckte, dem Gedenken an Gertrud Schubert-Fikentscher,
Gerhard Buchda, Hanz Patze, Joseph Klapper, Hermann Stöbe und Hans Thieme
gewidmete Jenenser Dissertation des in Greiz geborenen Verfassers (Die Anfänge
der Rezeption des mittelalterlichen römischen Zivilrechts in Thüringen bis zur
Mitte des vierzehnten Jahrhunderts). Sie beginnt mit einer Einführung Hans
Thiemes vom 10. August 1988, der darauf hinweist, dass die vom Mühlhäuser
Stadtarchivdirektor Dr. iur. Dr. phil. Günther geschaffene Arbeit von Gerhard
Buchda als Betreuer in Band 78 (1961) der germanistischen Abteilung der
Zeitschrift für Rechtsgeschichte in ansprechender Weise vorgestellt worden ist.
Der dort ins Auge gefasste Druck im Böhlau-Verlag in Weimar ist nicht zur
Vollendung gelangt.
Die Dissertation ist die erste Arbeit zur
Geschichte der Rezeption im mittelalterlichen Thüringen. Ihr gehen nur Hinweise
auf römischrechtliche Verzichtsformeln im Urkundenbuch der Stadt Erfurt durch
Wilhelm Schum in der romanistischen Abteilung der Zeitschrift für
Rechtsgeschichte von 1890 voraus. Neue Forschungen sind bisher nicht
erschienen, wenngleich der Verfasser Thüringen betreffende Untersuchungen Ludger
Meiers (1958), Norbert Brieskorns (1980), Christine Mundhenks (1997), Georg
Mays (2004) und Harold J. Bermans (1983, übersetzt 1995) nennt, dabei aber die
an entlegener Stelle veröffentlichte Untersuchung Robert Gramsch über Erfurter
Juristen im Spätmittelalter nicht berücksichtigt.
Die Arbeit greift einen Plan Theodor Muthers
auf, der bereits 1869 die Bedeutung der geistlichen Gerichte für die deutschen
Rechtszustände darlegen wollte. Deswegen betrachtet der Verfasser die Rolle der
Kirche bei der Übernahme von Sätzen und Instituten des mittelalterlichen
römischen Rechts in die weltliche Rechtspraxis. Zeitlich ist die Untersuchung
auf das zwölfte, dreizehnte und die erste Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts beschränkt,
örtlich auf die zur Erzdiözese Mainz gehörige frühere Landgrafschaft Thüringen
ohne Osterland und Vogtland.
Gegliedert ist die Arbeit in zwei Kapitel.
Das erste Kapitel behandelt die geistliche Gerichtsbarkeit und die Juristen als
Träger des römischen Rechts. Das zweite Kapitel betrifft die Anwendung des
fremden Rechts in den Urkunden des Rechtslebens, wobei der Verfasser
überzeugend bloße Regesten als nur bedingt brauchbar bezeichnet.
Das erste Kapitel beginnt mit der sachlichen
Zuständigkeit der geistlichen Gerichte, deren einzelne Bereiche der Verfasser
sorgfältig ausleuchtet. Danach schildert er die Organe der geistlichen
Gerichtsbarkeit (Papst, Bischof, Archidiakon). Im Anschluss hieran wendet er
sich den Juristen zu, von denen er Heinrich von Kirchberg, Konrad von Kirchberg,
Ernst Margarete von Mühlhausen, Dietrich Brunonis, Rudolph von Nordhausen,
weitere Rechtsgelehrte sowie frater
Heinrich von Merseburg und Johannes von Erfurt näher untersucht.
Das zweite Kapitel betrifft die Anwendung des
fremden Rechts in den Urkunden des Rechtslebens, wobei der Verfasser den
Verzicht (auf die Anwendung fremden Rechts) in der Form der renuntiatio iuris an die Spitze stellt.
Danach handelt er nach dem Pandektensystem nacheinander allgemeinen Teil und
Personenrecht, Sachenrecht und Obligationenrecht sowie Familienrecht und
Erbrecht ab. Auf knappem Raum fasst er seine Ergebnisse zusammen.
Danach standen der Kirche seit dem 13.
Jahrhundert sowohl für die streitige Gerichtsbarkeit wie auch für die freiwillige
Gerichtsbarkeit und die Verwaltung des Kirchengutes genügend geschulte Juristen
aus den Reihen des Klerus zur Verfügung. Als Folge der innerkirchlichen
Veränderungen wurde in Thüringen (besonders) seit dem (letzten Jahrzehnt) des 13.
Jahrhundert(s) römisches Recht im Rechtsleben angewandt, obwohl beispielsweise
das Eigentum viel häufiger urkundlich proprietas
heißt als dominium. Bei den Anfängen
der Rezeption im 13. und 14. Jahrhundert seien Obligationenrecht und
Sachenrecht in besonderem Maße dem Einfluss des fremden Rechts ausgesetzt
gewesen, während sich die Romanisierung im Familienrecht und im Erbrecht im
Wesentlichen auf die Übernahme der Terminologie und einzelner Rechtssätze
beschränkt habe.
Der Verfasser schließt mit dem Vorschlag,
nach seiner Untersuchung der formalen Seite der beginnenden Rezeption auch die
Frage der Ursachen der Rezeption zu verfolgen. Im Anhang bietet er eine Auswahl
von (knapp hundert) Magistern und Doktoren in Thüringen zwischen 1158 bzw. 1241
und 1355, ein Verzeichnis 81 Thüringer Studierender in Bologna zwischen 1289
und 1550 (Schmutz, Jürg, Juristen für das Reich. Die deutschen Rechtsstudenten
an der Universität Bologna 1265-1425 [2000] fehlt im Literaturverzeichnis) und
ein Verzeichnis zweihundertzwölfer thüringischer Urkunden aus den Jahren 1282
bis 1354, in denen auf den Gebrauch des römischen und kanonischen Rechtes
verzichtet wird. Ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Orts- und
Personenregister runden die verdienstvolle, leider verspätet veröffentlichte
Untersuchung angemessen ab.
Innsbruck Gerhard
Köbler