Groß, Joachim, Die deutsche Justiz unter französischer Besatzung 1945-1949. Der Einfluss der französischen Militärregierung auf die Einrichtung der deutschen Justiz in der französischen Besatzungszone (= Rheinische Schriften zur Rechtsgeschichte 4). Nomos, Baden-Baden 2007. 236 S. Besprochen von Werner Schubert.
Frankreich erhielt im Juli 1945 eine Besatzungszone, die im Wesentlichen die Gebiete des heutigen Rheinland-Pfalz, des Saarlandes und des heutigen Baden-Württembergs südlich der Autobahn Karlsruhe-Ulm (mit den Ländern Baden und Württemberg-Hohenzollern) umfasste. Nach dem Stillstand der Rechtspflege mit dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches galt es, möglichst schnell eine funktionierende Justiz wieder aufzubauen. Dies oblag der Generaldirektion der Justiz unter der zivilen französischen Militärregierung. Die Generaldirektion der Justiz unterstand zunächst Charles Furby; für die „Justice allemande“ war ab 1946 Charles Bourthoumieux speziell zuständig (über diese beiden Juristen vgl. S. 201ff.). Für die Etablierung und Beaufsichtigung der Justiz in den einzelnen Regionen waren die Regionaldirektionen für die Justiz unmittelbar verantwortlich. Groß vertritt und belegt im Verlauf der Arbeit die These, „dass das Handeln der französischen Besatzungsmacht ohne richtungweisenden Einfluss und nachhaltige Wirkung auf die aus heutiger Sicht erfolgreiche Entwicklung zu einer den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaates verpflichteten Justiz blieb. Sowohl die Schaffung der rechtlichen Strukturen als auch die deutsche Justizpraxis blieben in diesem Sinne unbeeinflusst“ (S. 16). Anders als Großbritannien und die USA hatte Frankreich keine detaillierten Pläne zur Reorganisation der deutschen Justiz entwickelt, so dass es zunächst auf die Gesetze und Verordnungen der Militärregierung Deutschland und des Alliierten Kontrollrats ankam (Übersicht S. 235). Groß behandelt nach den Planungen der westlichen Alliierten (S. 30ff.) und der französischen Besatzungsmacht (S. 34ff.) zunächst S. 46ff. die Anfänge der deutschen Gerichte und Justizverwaltungen in Rheinland-Pfalz, Baden und Württemberg-Hohenzollern. Alle drei Länder erhielten eigene Oberlandesgerichte in Koblenz, Freiburg und Tübingen, die bereits 1946 eröffnet wurden, nachdem die untergeordneten Gerichte schon 1945 ihre Arbeit wieder aufgenommen hatten. Am schnellsten vollzog sich die Reorganisation der Justiz in (Süd-)Baden mit Paul Zürcher als Chef der badischen Justizverwaltung (ab 1948 Präsident des Oberlandesgerichts Freiburg) und Karl Siegfried Bader als Generalstaatsanwalt. Das Oberlandesgericht Tübingen unterstand dem früheren RG-Rat Niethammer, über den Groß leider keine Kurzbiographie bringt. Am schwierigsten gestaltete sich der Wiederaufbau der Justiz in Rheinland-Pfalz, das preußische und hessische Landesteile umfasste, unter dem Justizminister Süsterhenn. Entgegen der französischen Praxis in der Verwaltung und Rechtssetzung ließ die zentralistisch organisierte französische Justizverwaltung eine länderübergreifende Zusammenarbeit zu (S. 68ff.).
Im weiteren Hauptabschnitt „Administration indirecte“ (S. 77ff.) geht Groß zunächst auf die „Säuberung des Rechts“ ein, die teils auf den Gesetzen des Alliierten Kontrollrats, teils auf den Instruktionen der französischen Militärregierung und den Rechts- und Landesverordnungen der Länder beruhte. Auf die Arbeiten des Freiburger Strafrechtslehrers Adolf Schönke geht die Bereinigung des materiellen und formellen Strafrechts zurück. Die Schwur- und Schöffengerichte wurden 1947-1950 entsprechend dem Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung von 1924 wiederhergestellt. Lediglich in Rheinland-Pfalz hatte eine Debatte über die Einführung von klassischen Schwurgerichten stattgefunden. Die von der Militärregierung beabsichtigte Einführung des Instituts des Friedensrichters, der kein Volljurist sein sollte, scheiterte am Widerstand der deutschen Seite (S. 97ff.). Nur Württemberg-Baden ließ 1947 eine Friedensgerichtsbarkeit auf der Basis der 1919 geschaffenen (1934 beseitigten) Gemeindegerichte (S. 107) zu. Sehr breit behandelt Groß mit Recht die „Entnazifizierung“ der Justizbeamten (S. 115-147). In Baden und Hohenzollern entstanden eigenständige, mit führenden Persönlichkeiten der Justiz besetzte Säuberungskommissionen, die den jeweiligen Einzelfall detailliert würdigten. Das pauschale Urteil, „die Justiz in der französischen Zone sei zum Hort belasteter Juristen geworden, die in den übrigen Zonen abgelehnt worden seien“ (S. 145), lässt sich nach den Untersuchungen von Groß nicht halten. Die strikte Einzelfallbeurteilung wurde Anfang 1947 durch das auf amerikanisches Drängen durch den Kontrollrat angeordnete Spruchkammerverfahren ersetzt, so dass auch in der französischen Zone die als zu nachsichtig gescholtenen sog. „Mitläuferfabriken“ entstanden (S. 118). Insgesamt lag die Justiz zumindest bis Ende 1946 in der französischen Zone in den Händen von unbelasteten bzw. nur formal (mit der Parteimitgliedschaft) belasteten Juristen, wenn man einmal von den Fällen der unwahren Angaben in den Fragebogen absieht. In Baden hatte die Säuberungskommission (bis Ende 1946) für die hohen Justizbeamten Sanktionen in 51% der Fälle ausgesprochen. In Württemberg-Hohenzollern waren 1949 31% der höheren Justizbeamten nicht in der NSDAP gewesen. Die übrigen Richter und Staatsanwälte blieben zu 32% ohne jegliche Sanktion, 46% erhielten nur geringe Sanktionen und nur 4% mussten Gehaltskürzungen oder eine Versetzung in den Ruhestand hinnehmen (S. 145). Die Wiedereinstellung auch belasteter Justibeamter war hauptsächlich der Personalnot geschuldet (vgl. S. 65ff.). Die Untersuchungen werden abgeschlossen mit einem Abschnitt über die „Kontrolle der deutschen Justiz“ durch die französische Besatzungsmacht (S. 150ff.). Kontrollinstrumentarien waren nach dem Gesetz Nr. 2 der Militärregierung Deutschland das Recht, die Verwaltung der Gerichte zu beaufsichtigen, an sämtlichen Gerichtsverhandlungen teilzunehmen und alle Akten einzusehen, Verfahren an sich zu ziehen (Evokation), Entscheidungen deutscher Gerichte aufzuheben (Reformation) sowie das Recht, Richter zu suspendieren oder zu entlassen. Die französische Generaldirektion der Justiz machte von den Kontrollmöglichkeiten nur einen sehr zurückhaltenden Gebrauch. Für die Reformation konnte Groß nur fünf Fälle nachweisen; die Evokation kam ebenfalls nur in wenigen Prozessen zum Zuge (Verleumdungen, Wirtschaftsvergehen, Gefangenenentweichung). Anders als in der britischen und amerikanischen Zone entschieden über die Reformation und die Evokation nicht Verwaltungsstellen, sondern (unabhängige) französische Gerichte, z. T. mit beratender deutscher Beteiligung.
Insgesamt ist der Wiederaufbau der Justiz durch die
französische Besatzungsmacht sehr erfolgreich verlaufen. Für die Franzosen war
insbesondere die personelle Zusammensetzung des Justizapparats der
„entscheidende Faktor für das Gelingen des Wiederaufbaus eines demokratischen
und rechtsstaatlichen Justizwesens in Deutschland“ (S. 119). Insoweit verfügte die
Justiz für die Spitzenpositionen in allen drei Ländern über angesehene,
unbelastete Persönlichkeiten. Hinzu kommt, dass die Franzosen, allerdings
weitgehend in Übereinstimmung mit den beiden anderen westlichen
Besatzungsmächten, so gut wie keine konzeptionellen Neuansätze entwickelten, so
dass die Rechtseinheit unter der Bundesrepublik in den 50er Jahren
unkompliziert wiederhergestellt werden konnte. Die Arbeit von Groß beruht auf
der insoweit erstmaligen Auswertung der Bestände des Centre des Archives de
l’Occupation Française en Allemagne et en Autriche des Ministère des Affaires
Etrangères in Colmar und der Bestände der Staats- bzw. Landesarchive Koblenz,
Speyer, Freiburg, Sigmaringen und des Justizministeriums von Rheinland-Pfalz.
Nicht detailliert behandelt ist die Wiederherstellung der Verwaltungs- und Arbeitsgerichtsbarkeit.
Die Würdigung der am Wiederaufbau der Justiz beteiligten maßgebenden
Persönlichkeiten fällt im Hauptteil im Ganzen etwas knapp aus und wird nicht voll
durch das „Erläuternde Personenverzeichnis“ (S. 201ff.) ersetzt. Insgesamt
liegt mit dem Werk von Groß ein wichtiges Werk über die deutsche Justiz der
unmittelbaren Nachkriegszeit und über die von gegenseitigem Vertrauen getragene
kluge Justizpolitik der französischen Besatzungsmacht vor, auf dem
detailliertere Studien über die drei neu installierten Oberlandesgerichte und
deren Bezirke aufbauen können.
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Werner Schubert |