Göhlert, Torsten, Der Erwerb unterschlagener bzw. gestohlener Sachen vom Nichtberechtigten. Untersuchungen zum römischen Recht, den Volksrechten der Westgoten, Franken und Bayern sowie der Entstehungsgeschichte von § 935 BGB (= Schriften zur Rechtsgeschichte 134). Duncker & Humblot, Berlin 2007. 289 S. Besprochen von Gunter Wesener.
Der Verfasser, ein Schüler Dietmar Schanbachers, hat seine Dissertation (TU Dresden) der historischen Betrachtung der dem § 935 BGB zu Grunde liegenden Problematik (S. 21) gewidmet. Vor mehr als fünfzig Jahren hat Ulrich von Lübtow dieses Thema in einem grundlegenden Beitrag[1] behandelt. Göhlert verwertet die inzwischen gewonnenen Erkenntnisse und bietet ebenfalls eine rechtshistorisch-rechtsvergleichende Darstellung, wobei er als Vergleichsobjekte zum deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch das antike römische Recht und die Volksrechte der Westgoten, Franken und Bayern auswählt.
Das BGB (§§ 932ff.) unterscheidet beim Erwerb vom Nichtberechtigten nach der Art des Besitzverlustes. Nur in den Fällen freiwilliger Besitzesaufgabe seitens des Eigentümers wird der gutgläubige Erwerber geschützt. Deutschrechtliche Grundsätze wie das „Hand wahre Hand“ Prinzip fanden sich bereits im ADHGB von 1861, Art. 306 und 307 (vgl. dazu Verfasser S. 252ff.).
Das römische Recht kennt keinen gutgläubigen Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten: nemo plus iuris ad alium transferre potest quam ipse habet. Es gilt das Vindikationsprinzip: ubi rem meam invenio, ibi eam vindico. Dem Erfordernis der Verkehrssicherheit wurde aber im römischen Recht durch die Möglichkeit der Ersitzung in relativ kurzer Zeit Rechnung getragen.
Das zweite Kapitel (S. 23-103) befasst sich daher eingehend mit der Sachverfolgung und der Ersitzung im altrömischen Recht. Der Verfasser setzt sich mit den Thesen Max Kasers und Theo Mayer-Malys zu diesen Problemen auseinander. Mayer-Maly folgend (S. 45ff.) vertritt er die prozessuale Betrachtungsweise und sieht in dem usus auctoritas-Satz eine bloße Gewährschaftsbefristung. Schon nach XII-Tafel-Recht galt diese Befristung nicht für gestohlene Sachen (Gai. Inst. II 45; 49; dazu Verfasser 57f.). Der Verfasser (S. 58ff.) deutet das Verhältnis des XII-Tafel-Satzes zur Lex Atinia (zwischen 240 und 149 v.Chr.) in der Weise, dass das XII-Tafel-Recht an die Person des Diebes anknüpfte und eine auctoritas aeterna, eine „ewige Gewährschaftspflicht“, desselben vorsah, während die Lex Atinia von einer Furtivität der Sache ausging; der Makel der Furtivität blieb an der Sache haften (S. 64f., vgl. S. 117). Untersucht werden ferner Inhalt und Ausdehnung des altrömischen furtum-Begriffes (S. 74ff.). Dieser umfasste nur die heimliche Wegnahme und die Fundunterschlagung, nicht auch Fälle der Unterschlagung anvertrauter Sachen und des Raubes (vgl. S. 95).
Der Verfasser zieht schließlich einen Vergleich zwischen der Regelung des altrömischen Rechts und dem modernen Recht (§ 935 BGB). Während dieses zwischen freiwilliger Besitzaufgabe und Abhandenkommen unterscheidet, kommt es nach römischem Recht darauf an, ob der Veräußerer ein furtum begangen hat oder nicht (S. 102).
Gegenstand des dritten Kapitels (S. 104-177) ist das vorklassische und klassische römische Recht. Die Ersitzung (usucapio) ist zu einem Institut des materiellen Rechts geworden. Sie verlangt nun neben Besitz (possessio civilis) und Zeitablauf die bona fides des Erwerbers sowie eine iusta causa. Res furtivae sind von der Ersitzung grundsätzlich ausgeschlossen (Verfasser S. 108ff.). Eingehend erörtert wird der klassische Tatbestand des furtum (S. 119ff.), insbesondere die Ausdehnung des furtum auf die Unterschlagung anvertrauter Sachen (S. 125ff.). Zufolge des weiten furtum-Begriffs war die Ersitzungsfähigkeit für bewegliche Sachen höchst eingeschränkt (Gai. Inst. II 50). Besprochen werden Ausnahmen vom generellen Ersitzungsverbot für furtive Sachen (S. 135ff.). Felix Wubbe[2] folgend betrachtet der Verfasser (S. 144; S. 155ff.) die usucapio in erster Linie als ein Mittel für den Erwerber, seinen Eigentumserwerb nachzuweisen. Es genügt, wenn der Erwerber zeigen kann, dass er die Sache in gutem Glauben ex iusta causa erworben und ein Jahr lang besessen hat. Dadurch erspart er sich in einem Eigentumsprozess die sogenannte probatio diabolica. Eine weitere eigenständige Funktion der usucapio bestand im klassischen Recht darin, dem formlosen Erwerber einer res mancipi, also einem bonitarischen Eigentümer, das zivile Eigentum zu verschaffen (S. 153f.).
Ein kurzer Abschnitt (IV. Kap. S. 178-183) ist den Entwicklungen in der Spät- und Nachklassik gewidmet. Unter Justinian kam es zu einer Wiederbelebung der klassischen Ersitzungsvoraussetzungen (S. 182f.).
Das fünfte Kapitel (S. 184-251) hat den Erwerb vom Nichtberechtigten nach germanischen Volksrechten (leges barbarorum) zum Gegenstand. Untersucht werden das westgotische , das fränkische und das bayrische Recht. Schon Erik Anners hat in seiner grundlegenden Untersuchung zur Fahrnisverfolgung in germanischen Rechten[3] gezeigt, dass die „Hand wahre Hand“ Regel kein urgermanisches und gemeingermanisches Prinzip darstellte[4].
Zunächst befasst sich Göhlert mit Theorien zur germanischen Sachverfolgung, insbesondere mit Erklärungstheorien zum „Hand wahre Hand“ Prinzip (S. 187ff.). Er analysiert dann (S. 194ff.) die einschlägigen Quellen des westgotischen, fränkischen und bayrischen Rechts (CE 289; L. Vis. V, 4, 8; L. Rib. 33; 72, 1 und 5; L. Bai. XVI, 1 und 4, 11 und 12) und kommt zum Ergebnis (S. 232), dass die Zweifel an der Geltung des „Hand wahre Hand“ Prinzips in den Volksrechten zu Recht bestehen. Die behandelten Rechte lassen auch die Verfolgung unberechtigt verkaufter Sachen zu. Das Verfahren sei dasselbe wie bei der Inanspruchnahme einer gestohlenen Sache, der Anefang. Das Anefangverfahren ging gleichzeitig auf Restitution und Buße, hatte also zivil- und strafrechtliche Elemente (S. 233).
Das sechste Kapitel (S. 252-270) behandelt die Entstehungsgeschichte des § 935 BGB. Von Bedeutung war der Art. 306 des ADHGB von 1861. Erörtert werden die Motive für die Entscheidung zugunsten des „Hand wahre Hand“ Prinzips für dieses Gesetzbuch (S. 254ff.). Das Prinzip findet sich in verschiedenen mittelalterlichen Stadt- und Landrechten, wohl erstmals formuliert im Sachsenspiegel (II 60 § 1). Maßgeblich ist die Art des Besitzverlustes (S. 257). Die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten nach BGB dient dem Schutz des Güterverkehrs. Eine Ausnahmeregelung gilt für gestohlene, verloren gegangene oder sonst abhanden gekommene Sachen (§ 935 BGB).
Anliegen des Verfassers ist es, die grundsätzlichen Unterschiede zwischen dem Recht des BGB und dem römischen Recht bzw. germanischen Volksrechten herauszustreichen (S. 271f.).
Die eingehenden Darstellungen des altrömischen und klassischen römischen Rechts sowie die Analyse der Quellen germanischer Volksrechte sind verdienstvoll und haben ihren eigenständigen Wert. Es stellt sich allerdings die Frage, ob und inwieweit ein Vergleich modernen Rechts mit frühen Rechten, wie dem altrömischen Recht bzw. germanischen Volksrechten, sinnvoll erscheint. Der Wert solcher Vergleiche liegt wohl darin, dass mit dem Aufzeigen von Übereinstimmungen bzw. Divergenzen die verschiedenen Grundgedanken, Denkformen und Typen in Rechtsordnungen sichtbar gemacht werden. So war es Paul Koschakers Bestreben, mit rechtshistorisch-rechtsvergleichender Forschung die Grundlagen einer Rechtstypologie zu schaffen[5].
Graz Gunter Wesener
[1] Hand wahre Hand. Historische Entwicklung, Kritik und Reformvorschläge, in: FS der juristischen Fakultät der Freien Universität Berlin zum 41. Deutschen Juristentag in Berlin 1955 (1955), 119ff. Vgl. ferner G. Kofferath, Stand der Forschung über die geschichtlichen Grundlagen des Gutglaubensschutzes (§§ 932 ff BGB, Diss. Bonn (Bonn 1962); A. Völkl, Das Lösungsrecht von Lübeck und München. Ein Beitrag zur Geschichte der Fahrnisverfolgung (1991).
[2] Der gutgläubige Besitzer, Mensch oder Begriff?, in: ZRG Rom. Abt. 80 (1963), 175ff., insbes. 192f.
[3] Hand wahre Hand. Studien zur Geschichte der germanischen Fahrnisverfolgung (Lund 1952) passim, insbes. 179ff.
[4] Vgl. Völkl, Lösungsrecht (oben Anm. 1) 23f.; Verf. 193f.
[5] Vgl. P. Koschaker, L’histoire du
droit e le droit comparé, surtout en Allemagne, in: Introduction à l’étude du
droit comparé. Recueil d’études en l’honneur d’Edouard
Lambert I (Paris 1938) 274ff.; Koschaker, P., Europa und das römische
Recht, 4. unv. Aufl. (München 1966) 344f. Vgl. A. Steinwenter, Paul
Koschaker zum 70. Geburtstag, in: Anzeiger für die Altertumswissenschaft 2
(1949) 68; G. Pfeifer, Keilschriftrechte
und historische Rechtsvergleichung – methodengeschichtliche Bemerkungen am
Beispiel der Eviktionsgarantie in Bürgschaftsform, in: Sachsen im Spiegel des
Rechts. Ius Commune Propriumque, hg. v. A.
Schmidt-Recla, E. Schumann, F. Theisen (2001) 11 ff.