Gärtner, Florian, Joachim Georg Darjes und die preußische Gesetzesreform. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des ALR (= Schriften zur Rechtsgeschichte 131). Duncker & Humblot, Berlin 2007. 245 S. Besprochen von Gunter Wesener.

 

Vor einigen Jahren hat Martin Pennitz in einer feinsinnigen Studie „die Rolle von Joachim Georg Darjes in den preußischen Kodifikationsbestrebungen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts“[1] untersucht, insbesondere das Verhältnis von Naturrecht und positivem Recht bei Darjes. Florian Gärtner, ein Schüler Peter Krauses, hat nun seine Trierer Dissertation Darjes und der Entstehungsgeschichte des ALR gewidmet.

 

In der Einführung (S. 11-21) zeigt der Verfasser (S. 12ff.), dass Darjes, „einer der bedeutendsten philosophischen Rechtsgelehrten“ seiner Epoche, jedenfalls lange Zeit mit Johann Heinrich Casimir von Carmer und Carl Gottlieb Svarez in Verbindung stand. Umstritten bleibt die Frage, ob Svarez als Schüler von Darjes angesehen werden kann[2].

 

Abschnitt A (S. 22-65) behandelt das Allgemeine Landrecht und die Rechtswissenschaft seiner Zeit. Bei den Arbeiten am Landrecht wurden zwar in hohem Maße Werke des Usus modernus pandectarum herangezogen, so Schriften von Schilter, Struve, Stryck, Vinnius und Voet (Verfasser S. 27ff.). Das ALR wurde aber von Wilhelm Dilthey „als Kodifikation aus dem Geist eines preußischen Naturrechts“ (S. 39) verstanden. Das spezifisch Preußische liege in der Erweiterung des Staatszweckes auf das allgemeine Wohl (Einleitung zum ALR § 73 u. § 83). Diese Erweiterung des Staatszweckes ist allerdings im Zuge der Reform auf Widerspruch gestoßen, insbesondere bei Geheimrat Johann Georg Schlosser (1739-1799), dem Schwager J. W. von Goethes, Direktor des Hofgerichts Karlsruhe (zur Kontroverse zwischen Schlosser und Ernst Ferdinand Klein eingehend S. 42ff.).

 

Im Abschnitt B („Kontext der Gesetzesreform“, S. 66-72) wird auf die Geschichte der preußischen Gesetzgebung eingegangen. Mit Kabinettsorder vom 1. März 1738 wurde Samuel von Cocceji zum Chef de Justice bestellt und beauftragt, „ein beständiges und ewiges Landrecht“ zu schaffen[3]. Dieser Plan kam nicht zur Ausführung. 1746 wurde Cocceji dann von König Friedrich II. beauftragt, „ein deutsches allgemeines Landrecht, welches sich bloß auf die Vernunft und Landes-Verfassungen gründet, zu verfertigen ...“. Zustande kam ein Teilentwurf, das „Project des Corporis Juris Fridericiani“ (I. Teil 1749: Personen- und Familienrecht, II. Teil 1751: Sachen- und Erbrecht)[4]. Entwicklungsgeschichtlich stehen das Corpus Juris Fridericianum, der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756 und der österreichische Codex Theresianus (juris civilis, ausgearbeitet 1753 bis 1766) auf derselben Stufe[5]. Mit dem Tode Coccejis im Jahre 1755 kamen aber die Reformbestrebungen zunächst zum Erliegen und wurden erst mit der Ernennung Carmers zum Großkanzler 1780 wieder aufgenommen. Für jede Provinz sollte ein eigenes Gesetzbuch und zusätzlich ein allgemeines „subsidiarisches Gesetzbuch“ abgefasst werden (Kabinettsordern vom 6. und 14. April 1780). Das geltende Recht sollte kodifiziert werden; eine weitreichende Neuschöpfung hatte Friedrich II. nicht beabsichtigt (Verfasser S. 69f.).

 

Abschnitt C (S. 73-83) enthält eine Biographie von Darjes[6]. Untersucht wird insbesondere der Einfluss Christian Wolffs auf Darjes (S. 76ff.). Darjes’ Naturrechtslehre ist zweifellos durch Wolff geprägt; in manchen Punkten weicht Darjes aber von Wolff ab (S. 77). Unrichtig ist die Feststellung des Verfassers (S. 77), dass Darjes „den Eigentumsbegriff auf alle res corporales“ ausgedehnt habe. Darjes hat vielmehr den umfassenden Eigentumsbegriff Wolffs auf res corporales eingeschränkt[7].

 

Abschnitt D (S. 84-111) betrifft die von Darjes eingebrachten monita zur Einleitung des Entwurfs des AGB/ALR, zum Familienrecht und zum Sachenrecht, zum Abschoßrecht sowie Abhandlungen zum Unterschiede des billigen und strengen Rechts (S. 84ff.) und zur Kriminalordnung (S. 95ff.).

 

Die Unterscheidung des ALR (I 2 §§ 122ff.) zwischen persönlichen und dinglichen Rechten („Rechte auf die Sache“) und die Bezeichnung eines persönlichen Rechtes, welches „das Geben, oder die Gewährung einer bestimmten Sache , zum Gegenstande hat“, als „ein Recht zur Sache“ (I 2 § 124) entspricht vollauf der Lehre des Darjes (Verf. S. 94)[8].

 

Einen unmittelbaren Einfluss Darjes’ auf das AGB/ALR sieht der Verfasser (Abschnitt E „Bewertung“, S. 112-113) bei der Einteilung der Rechte sowie im Sachenrecht.

 

Auf die Bibliographie (Abschnitt F, S. 114-118) folgt die Edition der Materialien (S. 119-239), der monita, der Abhandlungen Darjes’ und der Korrespondenz zwischen Carmer und Darjes (S. 220ff.), welche eine wertvolle Quelle für die Entstehungsgeschichte des ALR darstellt.

 

Literaturverzeichnis (S. 240-243) und Personenregister (S.244-245) vervollständigen die verdienstvolle Untersuchung, welche die Bedeutung von Darjes für die preußische Gesetzesreform veranschaulicht.

 

Graz                                                                                                   Gunter Wesener



[1] In: Vestigia Iuris Romani. FS für G. Wesener zum 60. Geburtstag (Graz 1992) 331ff.

[2] Dazu Pennitz, Die Rolle von J. G. Darjes (oben Anm. 1) 331ff.; Verfasser 80f.

[3] O. Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen II (Braunschweig 1864; Nachdruck Aalen 1965) 448.

[4] Dazu A. Trendelenburg, Friedrich der Große und sein Großkanzler Samuel Cocceji. Beitrag zur Geschichte der ersten Justizreform und des Naturrechts, in: Kleine Schriften I (Leipzig 1871) 197ff.; G. Wesener, Die Rolle des Usus modernus pandectarum im Entwurf des Codex Theresianus. Zur Wirkungsgeschichte des älteren gemeinen Rechts, in: Wirkungen europäischer Rechtskultur. FS für K. Kroeschell zum 70. Geburtstag (München 1997) 1363ff., 1387.

[5] Wesener, Die Rolle des Usus modernus pandectarum (oben Anm. 4) 1363.

[6] Vgl. nun auch P. Sánchez-Ostiz, in: R. Domingo (ed.), Juristas universales II (Madrid 2004) 622ff.

[7] So B. Huwiler, Der Begriff der Zession in der Gesetzgebung seit dem Vernunftrecht, zugleich ein Beitrag zur Entwicklung der vermögenrechtlichen Lehren (Zürich 1975) 72 u. 74; vgl. G. Wesener, Zur naturrechtlichen Lehre vom Eigentumserwerb, in: FS N. Grass zum 70. Geburtstag (Innsbruck 1986) 442. Richtig Verfasser 106.

[8] Vgl. G. Wesener, Dingliche und persönliche Sachenrechte – iura in re und iura ad rem. Zur Herkunft und Ausbildung dieser Unterscheidung, in: FS für H. Niederländer zum 70. Geburtstag (Heidelberg 1991) 207f., 210.