Fischer-Langosch, Petra, Die
Entstehungsgeschichte des Familiengesetzbuches der DDR von 1965 (=
Rechtshistorische Reihe 347). Lang, Frankfurt am Main 2007. 208 S. Besprochen
von Arne Duncker.
Fischer-Langosch unternimmt in ihrer in Kiel
angenommenen Dissertation eine im Wesentlichen chronologisch gegliederte
Darstellung der familienrechtlichen Gesetzgebung in SBZ und DDR von 1945 bis
1965. Sie stützt sich dabei über weite Strecken auf Archivmaterialien aus
ehemaligen DDR-Beständen, in erster Linie solche des Ministeriums der Justiz.
Nach einer einleitenden Kurzübersicht
über die DDR-Familienrechtsgeschichte unter Betonung der ideologischen
Verknüpfungen des Familienrechts (S. 17-21) folgt als erster Hauptabschnitt der
Arbeit die Untersuchung der sowjetzonalen Rechtsentwicklung von 1945 bis zum 7.
10. 1949 (S. 23-42). Behandelt werden das - gesamtdeutsche - Ehegesetz des
alliierten Kontrollrats von 1946, Gesetzgebungsakte
der Länder vorwiegend im Adoptionsrecht und Landesverfassungsrecht sowie
schwerpunktmäßig (S. 28-41) die ersten Ausarbeitungen für ein Änderungsgesetz
zum Bütrgerlichen Gesetzbuch. Diese erfolgten durch
den 1947 gegründeten Demokratischen Frauenbaund Deutschlands
(DFD) unter Leitung dessen zentral gebildeter Rechtskommission, ferner durch
die Deutsche Zentralverwaltung für Justiz. Bereits zu diesem Zeitpunkt gehörte
die spätere DDR-Justizministerin Hilde Benjamin zu den Schlüsselfiguren
der Familienrechtsreform (unter diesem Gesichtspunkt wäre eine kurze
Einbeziehung neuerer biographischer Literatur zu Benjamin - der jeweils 1997
erschienenen Biographien von Brentzel und Feth - wünschenswert gewesen). Inhalte der
Reformentwürfe waren insbesondere die Verankerung der Gleichberechtigung im
BGB-Familienrecht sowie ein Abbau der Diskriminierung nichtehelicher Mütter und
Kinder. Aufschlussreich ist namentlich der Reformvorschlag zum ehelichen
Güterrecht: der DFD empfahl hier bereits 1948 die „Zugewinnstgemeinschaft“,
welche im späteren Verlauf mit einiger Verzögerung 1957 in der BR Deutschland
als gesetzliches Güterrecht des BGB eingeführt wurde. Fischer-Langosch
(S. 35, Anm. 53) verweist hier zutreffend auf die Diskussion dieses Modells in
der Weimarer Republik. Die vertiefende Literatur, welche ältere Wurzeln der Zugewinnstgemeinschaft u. a. in der deutschen und Schweizer
Frauenbewegung offenlegt - vgl. im übrigen auch die skandinavischen
Eherechtsreformen -, stand der Bearbeiterin noch nicht zur Verfügung (Lehmann,
Die Ehefrau und ihr Vermögen, erst 2006 erschienen), so dass die Auffassung,
die Zugewinngemeinschaft stamme (erst) aus der Weimarer Zeit, nach dem älteren
Stand der Literatur noch akzeptabel erscheint.
Im zweiten Abschnitt der Arbeit (S.
43-102) wird die Entwicklung von der DDR-Verfassung 1949 bis zum Entwurf eines
Familiengesetzbuchs von 1954 erörtert. Im Einzelnen werden hier die Verfassung
der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. 10. 1949, die richterrechtliche
Weiterentwicklung des Familienrechts, das Gesetz über die Herabsetzung des
Volljährigkeitsalters vom 17. 5. 1950, das Gesetz über den Mutter- und
Kinderschutz und die Rechte der Frau vom 27. 9. 1950 (MKSchG),
der Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Familienrechts von 1950 und der FamGB-Entwurf von 1954 behandelt. Zu weitreichenden
Änderungen im Familienrecht kam es bereits 1949: Art. 144 der Verfassung
erklärte die Bestimmungen der Verfassung zu unmittelbar geltendem Recht, und
Art. 7 und 33 legten fest, dass die Gesetze und Bestimmungen, welche der
Gleichberechtigung der Geschlechter entgegenstehen oder mit der außerehelichen
Geburt Nachteile für Eltern oder Kinder verknüpfen, aufgehoben seien.
Beachtliche Teile des BGB-Familienrechts verloren damit ihre Gültigkeit. Die
Lücke wurde in der Zeit bis zum Inkrafttreten des Familiengesetzbuchs durch
Richterrecht und Verordnungen und Gesetze (wie das MKSchG
v. 1950) für einige Teilbereiche
geschlossen. Im gesetzlichen Güterrecht hatte dies - ähnlich wie in der
Bundesrepublik Deutschland 1953-1957 - zunächst die Gütertrennung zur Folge (S.
49f.). Auf S. 56f. wird bei der
Besprechung eines Gesetzentwurfs von 1950 sehr schön darauf verwiesen, tragend
für diesen Gesetzentwurf - wie, so kann hinzugefügt werden, sicherlich auch für
andere Abschnitte der Familienrechtsreform - sei der Grundgedanke von Bebel
und Engels gewesen, wonach die Gleichberechtigung der Frau im Wesentlichen
ihre Einbeziehung in den Arbeitsprozess voraussetze. Leider wird dieser an sich
sehr beachtliche Gedanke hier nicht näher belegt oder ausgeführt. Hier hätte
sich angeboten, unter genauem Rückbezug auf Belegstellen der Werke Bebels und
Engels’ und gezielter Auswertung der DDR-Archivalien hinsichtlich möglicher
Übereinstimmungen oder Abweichungen von den Vorgaben der älteren
Arbeiterbewegung die ideologischen Grundgedanken des DDR-Frauen- und Familienrechts
herauszuarbeiten. Des weiteren wird (S. 58-61) zutreffend darauf verwiesen, dass
mit dem MKSchG von 1950 nicht nur eine Normierung
ehemaligen BGB-Familienrechts verbunden war, sondern auch eine Regelung der
staatlichen Unterstützung von Müttern, der Einrichtung von Kinderkrippen und
Kindertagesstätten, nicht zuletzt auch die beabsichtigte staatliche
Einflussnahme auf Ehe und Familie (Familie als „Grundpfeiler der demokratischen
Gesellschaft“). Diese gesellschaftliche Indienststellung der Familie wird im FamGB-Entwurf von 1954 in gesteigerter Form fortgesetzt,
wie Fischer-Langosch an späterer Stelle (S. 89-92)
gut in Gegenüberstellung mit der Kritik der Kirchen herausarbeitet: nach § 1
des Entwurfs verfolgt das Recht hier das Ziel der „Entwicklung und Festigung
der Familie und der Erziehung der Kinder im Geiste der Demokratie, des
Sozialismus, des Patriotismus und der Völkerfreundschaft“. In einem
„Zwischenergebnis“ (S. 100-102) wird festgehalten, das Reformtempo wie auch der
inhaltliche Umfang der Reformen seien im Vergleich zur westdeutschen
Rechtsentwicklung wesentlich intensiver gewesen. Ein spezieller Inhalt der
DDR-Reformen sei weiterhin die Erziehung der Bevölkerung „zu einer neuen, der
sozialistischen Moral“ (S. 101).
Der dritte Abschnitt der Arbeit (S.
103-129) behandelt die Entwicklungen von 1955 bis 1961: zunächst die
Verordnungen über Eheschließung und Eheauflösung v.
24. 11. 1955, über die Annahme an Kindes Statt vom 29. 11. 1956,
schwerpunktmäßig aber den Fortgang der Arbeiten am Familiengesetzbuch (S.
108-127). Besonders betont wird dabei die politische und ideologische
Einflussnahme auf das Familienrecht (Beschlüsse des V. Parteitags der SED von
1958, Auswertung des XXII. Parteitags der KPdSU von 1961, interne
Einflussmechanismen innerhalb der zum Familiengesetzbuch gebildeten
Kommissionen). Die Verknüpfung des Familienrechts mit Elementen der
Staatsraison wird beispielhaft deutlich bei den Regelungen zum Unterhaltsanspruch
nach Republikflucht (S. 125).
Im vierten Teil werden die
abschließenden Arbeiten bis zum Inkrafttreten des Familiengesetzbuchs erörtert
(1963-1966; S. 131-175, angefügt ist auf S. 177-181 eine kurze Zusammenfassung
der wichtigsten familienrechtlichen Regelungen). Grundlage dieses gut
gelungenen Abschnitts, der einen inhaltlichen Schwerpunkt der Arbeit bildet,
ist eine genaue und recht umfassende Auswertung unveröffentlichter Archivalien
zum Gesetzgebungsverlauf. In den letzten Jahren der
Vorarbeiten zum Gesetz tritt die Einwirkung politischer Kreise, der SED, ihres
Politbüros und ihrer Gliederungen, des DFD und FDGB noch einmal deutlich
hervor. In der formal mit der Gesetzgebung befassten parlamentarischen
Körperschaft, der Volkskammer, finden am Ende keine wesentlichen Änderungen des
inhaltlich eher durch Ministerium und Staatspartei vorbereiteten Entwurfs mehr
statt. Inhaltlich bemerkenswert ist namentlich, dass bei der öffentlichen
Diskussion des Scheidungsrechts sich viele Stimmen in der Bevölkerung für eine
Rückkehr zum Verschuldensprinzip ausgesprochen hatten, der Gesetzgeber diesen
„Rückschritt“ jedoch ablehnte (vgl. S. 168).
Zwei kurze Abschnitte am Ende der
Arbeit enthalten die Entstehungsgeschichte des Familienprozessechts
(S. 183-187) sowie eine zusammenfassende „Kritik und Würdigung“ (S. 189-192).
Demnach sei es Ziel des DDR-Familienrechts gewesen, nicht etwa die traditionell
gewachsenen und damals in der Bevölkerung noch verankerten Wertvorstellungen zu
„berücksichtigen“, anders als im westdeutschen Familienrecht. Vielmehr habe das
Gesetz eine erzieherische Funktion gehabt (Erziehung der Bevölkerung zu
sozialistischen Persönlichkeiten) und den Adressaten neue Moralvorstellungen
vermitteln wollen. Im Hinblick auf die Beseitigung patriarchalen
Rechts, die Durchsetzung der Gleichberechtigung und den Abbau rechtlicher
Diskriminierung nichtehelicher Mütter und Kinder könne das DDR-Recht im
Vergleich zum westdeutschen Recht als „fortschrittlich“ betrachtet werden (S.
189f.). Die frühe Abkehr vom Verschuldensprinzip im Scheidungsrecht sei
hingegen nicht „fortschrittlich“ gewesen, denn es sei nicht durch das
Zerrüttungsprinzip, sondern durch einen unbestimmten Rechtsbegriff (Sinnverlust
der Ehe) ersetzt worden, der lediglich die Machtstellung der Richter erweitert
habe. Weiterhin habe die Gleichberechtigung der Frau in der DDR nicht eine
Freiheit zur Wahl zwischen hausfraulicher und beruflicher Tätigkeit bezweckt,
sondern die verpflichtende Einbeziehung von Frauen in den Arbeitsprozess. In
der gesellschaftlichen Realität habe dies oft zu einer Doppelbelastung von
Frauen geführt, aber auch zu ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Das
unterschiedliche Reformtempo in Ost und West wird darauf zurückgeführt, im
Westen habe man nach den Erfahrungen der NS-Zeit Ehe und Familie als
staatsfreien Rückzugsraum erhalten wollen und durch Reformen eine
Destabilisierung der Ehe befürchtet, im Osten hingegen die Möglichkeiten zur
staatlichen und gesellschaftlichen Einflussnahme erweitert und Ehe und Familie
als staatliche Institution betrachtet (S. 191f.). Dem ist meines Erachtens
hinsichtlich der westdeutschen Reformen freilich entgegenzuhalten, dass die
Reste patriarchaler Vorrechte im sog.
Gleichberechtigungsgesetz von 1957 (später teils vom Bundesverfassungsgericht
als verfassungswidrig erklärt) oder die lange Zeit von zwei Jahrzehnten bis zur
grundlegenden Reform des Nichtehelichenrechts alles andere als eine
Privatisierung und Individualisierung von Ehe und Familie zum Inhalt hatten.
Vielmehr wurde hier ein Zustand aufrechterhalten, der von der Unterordnung und
Unselbstständigkeit von Ehefrauen und nichtehelichen Müttern sowie der
Ungleichbehandlung nichtehelicher Kinder ausging und rechtliche Konsequenzen
für die davon betroffenen Familien hatte. Auch dies ist sehr wohl eine Form des
staatlichen Eingriffs in Ehe und Familie.
Abschließend (S. 192) wird
festgestellt, dass in der DDR das Familienrecht den tatsächlichen
Lebensverhältnissen voraus gewesen sei, während es im Westen der neuen
Wirklichkeit hinterhergehinkt habe. Doch könne die Frage, ob das Familienrecht
im Osten „fortschrittlicher“ als im Westen gewesen sei, nicht losgelöst vom
gesellschaftlichen Hintergrund beurteilt werden. In der DDR sei das Individuum
zugunsten der Gesellschaft aufgegeben worden. Aus Sicht einer Gesellschaft,
deren Verfassung die Freiheit und Individualität des Einzelnen schütze, könne
dies kaum als fortschrittlich bewertet werden. Dies lasse allerdings die
„Fortschrittlichkeit“ einzelner Regelungen losgelöst vom gesellschaftspolitischen
Hintergrund unberührt. Dies ist - soweit
es um die rechtspolitische Angemessenheit des DDR-Familienrechts geht -
sicherlich eine unter mehreren vertretbaren Wertungen und insoweit nicht zu
beanstanden. Freilich erscheint es im Rahmen einer übergreifenden Sicht
zulässiger rechtshistorischer Interpretationskriterien etwas unglücklich, eine
anscheinend eng mit dem moralisch Guten verknüpfte „Fortschrittlichkeit“ der
Norm als nahezu alleiniges Bewertungsmerkmal zu definieren. Der Fortschritt ist
kein Wert an sich, sondern zunächst eine neutrale Größe, bei der es auf die
konkrete Richtung des Voranschreitens ankommt. Es wäre hier möglicherweise
angebracht gewesen, anstelle der Fortschrittlichkeit solch altmodische Werte
wie Gleichheit, Gerechtigkeit, individuelle Selbstbestimmung oder
gesellschaftliche Angemessenheit als Bewertungsmerkmale zu nutzen.
Als Anhang beigefügt sind die
Gliederungsübersichten der Familiengesetzentwürfe von 1950 und 1954 sowie des
Familiengesetzbuchs von 1965 (S. 193-197). Hervorzuheben ist die umfangreiche Verwendung
von Archivalien - in Wesentlichen aus den 1950er und 1960er Jahren - zur
DDR-Familienrechtsentwicklung (vgl. Verzeichnis S. 199-202). Einen Schwerpunkt
bilden dabei die Archivbestände des Justizministeriums. Leider ist das Fehlen
eines Personen- und Sachregisters zu bemängeln.
Dem ersten Satz des Klappentextes
zufolge ist Gegenstand der Arbeit die „erstmalige umfassende Darstellung
der Entstehungsgeschichte des Familiengesetzbuches der DDR“. Auch in der
Einleitung wird an herausgehobener Stelle betont, eine umfassende Darstellung
unter Zugrundelegung der Originalquellen sei bisher nicht erfolgt (S. 17). Dies
ist unzutreffend. Eine solche Darstellung ist sehr wohl bereits erfolgt,
nämlich in der Arbeit Ute Schneiders (Hausväteridylle oder sozialistische Utopie? Die Familie im Recht der DDR, 2004),
einer hervorragenden, sehr ausführlichen und inhaltlich auf nahezu den gleichen
Untersuchungsgegenstand wie Fischer-Langosch
bezogenen Bearbeitung des Themas. Weder Schneider noch die gleichfalls die
Archivalien des DDR-Justizministeriums auswertende Monographie Großekathöfers („Es ist ja jetzt
Gleichberechtigung“. Die Stellung der Frau im nachehelichen Unterhaltsrecht der
DDR, 2003) sind in der vorliegenden 2006 abgeschlossenen Arbeit berücksichtigt
worden. In der Einleitung wird lediglich auf das Schrifttum der Jahre 1970-1996
verwiesen. Die besondere Betonung der Einmaligkeit und Erstmaligkeit der Arbeit
geht damit fehl, es wäre vorsichtiger und sinnvoller gewesen, statt dessen auf
die - zweifellos vorhandenen - sonstigen Vorzüge des Werkes hinzuweisen.
Hannover Arne
Duncker