Ferk, Janko, Recht ist ein „Prozeß“: über Kafkas Rechtsphilosophie. Edition Atelier, Wien 2006. XII, 182 S. Besprochen von Heinz Müller-Dietz.

 

Die rechtsphilosophische Studie über Franz Kafkas berühmten Roman „Der Proceß“ ist erstmals 1999 im Verlag Manz, Wien, erschienen. Sie war inzwischen vergriffen; nunmehr ist sie in der ursprünglichen Fassung, mit einem neuen Vorwort versehen, zum hundertsten Jahrestag der juristischen Promotion des Dichters, wieder aufgelegt worden. Janko Ferk geht es darum, Kafkas Auseinandersetzung in seinem Roman mit Grundlagen und Grundbegriffen des Rechts, namentlich mit Gerechtigkeit, Recht und Unrecht, Rechtspflege, sowie ihrer Verortung in Staat und Gesellschaft herauszuarbeiten. Der Verfasser ist sich – angesichts der Mehr- oder Vieldeutigkeit des Werkes und einer fast nicht mehr überschaubaren Sekundärliteratur, die er selbst bis ca. 1997 großenteils referierend und kommentierend herangezogen hat – der hermeneutischen Schwierigkeiten einer solchen Aufgabe sehr wohl bewusst. Sie mag ihm dadurch erleichtert worden sein, dass er als Jurist und Schriftsteller gleichsam einen doppelten fachlichen Zugang zum Text hat. Das äußert sich zum einen in seiner an Kafka geschulten Sicht des Rechts als „Prozess“, in dem es durch Auslegung und Anwendung verwirklicht wird. Zum anderen kommt in Ferks Deutung des Romans der Sprache, auf der ja Recht und Literatur - wenngleich unter verschiedenen Prämissen und auf unterschiedliche Weise – fußen, zentrale Bedeutung zu. Gesetzestexte und Urteile – die ja ihrerseits Texte verkörpern – weisen genuin sprachliche Gestalt auf, sind denn auch nur sprachlich vermittelbar, können nur auf diesem Weg kommuniziert werden. Das macht die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen des Rechts deutlich.

 

Ferk legt dem Romanfragment „Der Proceß“ – in dem er das „rechtsphilosophische Hauptwerk“ Kafkas erblickt (S. 165) – gewiss zutreffender Weise  erkenntniskritischen, nicht erkenntnistheoretischen Charakter bei. Anderes wäre von einem Dichter wie dem Prager Autor auch schwerlich zu erwarten gewesen. Nicht zuletzt hält der Verfasser die philosophischen Einflüsse Schopenhauers und Nietzsches fest – ebenso wie er zu Recht etwa Kierkegaard, Wittgenstein und der jüdischen Mystik eine bedeutsame Rolle im Werk des Dichters zuschreibt. Die Sekundärliteratur schöpft er in einem Maße aus, die Respekt abnötigt. Eine Leerstelle in seiner Studie nimmt freilich die Psychoanalyse Freudscher Provenienz ein, die namentlich Elsbeth Schmidhäuser und Tenckhoff in ihren Arbeiten von 2000 (die Ferk nicht mehr hat berücksichtigen können) vor allem mit der Schuldproblematik Kafkas verknüpft haben. Jedoch vermag der Verfasser einleuchtend die grundsätzliche Bedeutung der Begriffe „Gerechtigkeit“ und „Gericht“, aber auch und gerade der „Schuld“, für das Gesamtwerk des Dichters - keineswegs nur am Roman selbst - zu verdeutlichen. Wie er überhaupt die Sprach- und Rechtswelt Kafkas in eine plausible Beziehung zueinander zu setzen vermag.

 

Das gilt auch für Ferks Darstellung des zeitgenössischen Hintergrundes, der Rechts- und Gerichtsverfassung der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie, deren Strafprozessordnung unverkennbar ihre Spuren im Roman hinterlassen hat. Das erscheint jedenfalls für eine Interpretation relevant, die der Rechts- und Prozesskritik des Textes nicht lediglich metaphorische Bedeutung entnimmt. In Detailanalysen geht der Verfasser auch der Frage nach, welche Rolle Kafka markanten Vertretern des Rechts – wie etwa dem Richter (S. 139ff., zum Richterbild des Dichters auch Ferk, NJW 2000, 2177) und dem Advokaten (S. 153 ff.) – in seinen apokryphen, unheimlich-bedrohlichen Gerichtsszenarien zugewiesen hat. Dass die Art und Weise, in und mit der Kafka „seine“ Welt schildert, an Grundfragen nicht nur des Rechtslebens, sondern der menschlichen Existenz schlechthin rührt, kann Erkenntnisprozesse auslösen, die eine rechtsphilosophische und literarische Betrachtung in einer philosophischen münden lassen. Man spürt der Studie Ferks auf Schritt und Tritt an, wie ein Werk vom (sprachlichen) Gehalt und der Aussagekraft des „Processes“ einen juristisch wie literarisch tätigen Autor zeitlebens nicht mehr loslassen kann.

 

Saarbrücken                                                                                    Heinz Müller-Dietz