Europa und seine Regionen. 2000 Jahre europäische Rechtsgeschichte, hg. von Bauer, Andreas/Welker, Karl H. L. Böhlau, Köln 2007, 764 S.
Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2003. Die soziale Dimension des Zivilrechts. Zivilrecht zwischen Liberalismus und sozialer Verantwortung. Salzburger Tagung 10. bis 13. September 2003, hg. v. Peer, Gundula Maria/Faber, Wolfgang/Auer, Martin u. a. Boorberg, Stuttgart 2004, 334 S.
1. Der Band „Europa und seine Regionen“ enthält, wenn auch nicht ausschließlich, die Beiträge, die auf der Tagung des „Europäischen Forums Junger Rechtshistorikerinnen und Rechtshistoriker“ 2002 in Osnabrück vorgestellt wurden. Dem Generalthema entsprechend strebten die Veranstalter eine internationale Beteiligung und eine methodische Vielfalt an, die auch unterschiedliche Denkstile zuließ. Hierzu trug vor allem die Beteiligung auch von Historikern bei. Im Mittelpunkt des Beitrags von R. Wiegels „Imperiale Herrschaft und provinziales Leben – Integration und Regionalismus im römischen Reich des 2. Jahrhunderts n. Chr.“ steht die Lobrede des aus Kleinasien stammenden Griechen Aelius Aristides von 143 n. Chr., gehalten auf die Hauptstadt des römischen Imperiums. – E. Kowalczyk befasst sich mit der Fürsorge für Waisen im frühen Christentum und im nachklassischen römischen/byzantinischen Recht. Nach den Untersuchungen von M. Herrero de Jáuregui hatte die weltliche Gesetzgebung des 4.-6. Jahrhunderts n. Chr. keine Wirkung auf das ägyptische Mönchtum (S. 49ff.). Die Beiträge K. Maksimovičs und K. Škrubejs befassen sich mit frühslawischen Rechtsquellen (Methodius als Gesetzgeber; Rechtssprache und Institutionen der Alpenslawen). Während G. Grebner dem Laienpatronat in Bologna in der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts nachgeht unter dem Untertitel „Regular canons, notaries, and the Decretum“ (S. 107ff.), widmen sich die Beiträge G. Milanis und M. Valleranis der Einflussnahme Bologneser Juristen auf die Geschicke der Stadt Bologna als Gutachter und Berater (in politischen Prozessen). N. Wandruzka weist in seinem Beitrag über die „soziale Herkunft Bologneser Juristen (12. bis 14. Jh.). Zur Bedeutung des Adels für die Anfänge der Universität“, nach, dass im Laufe des 13. und 13. Jahrhunderts Familien Zugang zum Juristenberuf bekommen hätten, die man als städtische Aufsteiger bezeichnen könne und deren Aufstieg insbesondere durch die Zugehörigkeit zur Zunft der Notare motiviert gewesen sei (S. 178ff. Listen der Legisten des 12. und der Doctores legum/decretorum des 13. Jahrhunderts).
Interessante Einzelheiten vermittelt G. Naegle über die städtischen Prozesse, die zwischen 1418 und 1436 entschieden wurden vom Parlement von Poitiers, das zu dieser Zeit mit dem anglo-burgundischen Pariser Parlement konkurrierte. Naegle berichtet im Einzelnen über die Prozessparteien, die Streitgegenstände und über die rechtlichen Argumentationen, eine Thematik, die auch L. Warner in seinem Beitrag über die Rechtsanwaltsplädoyers vor dem Parlement von Paris behandelt. Einen guten Überblick über den „juristischen Humanismus“ an der Rechtsschule von Bourges im 16. Jahrhundert gibt I. Deflers (S. 221ff.). Mit Fragen des Alten Reichs befassen sich die Beiträge M. G. Fischers: „Reichsreform im Eigeninteresse? Die Diskussion über eine Reorganisation der Reichsjustiz und die Gründung des Reichskammergerichts im Spannungsfeld kaiserlicher und reichsständischer Interessenpolitik“ (S. 263 ff.) und B. Marquards: „122 Hexenprozesse, die oberste Reichsgerichtsbarkeit und eine Grafenabsetzung: Die reichsunmittelbare Grafschaft Vaduz wegen Missbrauchs der Herrschaftsgewalt vor dem Reichshofrat (1678-1712)“ (S. 369ff.) sowie S. Westphals: „Eigentums- und Besitzrechtsstreitigkeiten von Frauen an den höchsten Gerichten des Alten Reichs im Vergleich zur englischen Rechtsprechung (1648-1806)“ (S. 425ff.), eine Thematik, die Teil eines größeren Forschungsprojekts an der Universität Jena ist („Besitz- und Eigentumsrechte der Frauen in der Rechtspraxis des Alten Reichs [1648-1806]). Westphal kann schon jetzt nachweisen, dass Frauen (eine Gruppe mit eingeschränktem Rechtsstatus, der man bisher kaum Aufmerksamkeit gewidmet habe) die höchste Gerichtsbarkeit in „nennenswerter Zahl“ in Anspruch genommen hätten. Über die demgegenüber erheblich eingeschränktere Rechtsstellung der verheirateten Frau in England zwischen 1500 und 1700 berichtet T. Stretton in dem Beitrag: „The legal identity of married women in England and Europe 1500-1700“ (S. 309ff.). – W. Forster stellt die Bedeutung des konkursrechtlichen Werkes des kastilischen Richters Salgado de Somoza von 1651 für das deutsche Konkursrecht heraus (S. 323ff.), dessen Geschichte noch immer keine zusammenfassende Darstellung erfahren hat. K. Lerch weist in seinem Beitrag „Vom Kerbholz zur Konzernbilanz? Wege und Holzwege zu einem autonomen Recht der global economy“(so schon Lerch, in: Rechtsgeschichte 5 [2004], S. 107ff.) nach, dass die lex mercatoria nach den mittelalterlichen Quellen kein System materieller Rechtsregeln gewesen sei, sondern sich auf das schnelle und billige Verfahren vor den Kaufmannsgerichten bezogen habe. – Der Beitrag A. Bauers stellt die friesischen Pandektenfliesen von Sybrant Feytema aus Harlingen vor. Von den auf wohl 432 Einzelstücken entsprechend der Anzahl der Digestentitel ausgelegten Serie sind lediglich elf Fliesen (wiedergegeben zwischen S. 352 u. 353) sowie zahlreiche Entwurfsfassungen und Werksschablonen erhalten geblieben. Bauer bringt eine präzise Beschreibung der abgebildeten Fliesen (z. B. der Fliese, die den Digestentitel 16.1 [Ad senatos consultum Velleianum] visualisiert).
Fragen aus der Aufklärungszeit behandeln die Beiträge F. Jungs: „Die Staatsverfassung von Toskana unter der Regierung Peter Leopold des Zweiten, andern Staatsverfassungen zum Muster vorgestellt. Der toskanische Getreidefreihandel und die Konstruktion eines ,Modellstaates’ in der deutschen Aufklärung“ und P. Canciks: „Aufklärung und Rechtsdurchsetzung. Der Diskurs über die Kommunikation der Gesetze“. Die kodifikationsgeschichtlichen Beiträge v. Bónés: „Die Kodifikation und Gerichtsverfassung in den Niederlanden in der Französischen Periode“ (S. 523ff.) und W. Scharlemanns: „Privatrechtsentwicklung im Baltikum zwischen nationaler Souveränität, regionaler Kooperation und europäischer Integration“ gehen leider kaum auf die inhaltlichen Details der behandelten Gesetzbücher näher ein. Ebenfalls zu wenig detailliert erscheint der Aufsatz A. Tarnowskas: „Rechtsbesonderheiten der Verwaltung in den ehemaligen preußischen Provinzen Posen und Westpreußen 1918-1939“ (S. 649ff.). Dagegen unterrichtet die umfangreiche Abhandlung von J. Busch und A. Besenböck ausführlich über die Verbreitung des ABGB in Mittel- und Osteuropa unter präziser Herausarbeitung der Einführungsdaten und gegebenenfalls des Zeitpunkts des jeweiligen Außerkrafttretens (z. B. galt das ABGB in Ungarn von 1853-1861, S. 570ff.). In seinem Beitrag: „Die öffentlichen Arbeitsstrafen – Vorformen der Zuchthausstrafe in Europa?“ kommt Th. Krause entgegen einer noch vorherrschenden Meinung zu dem Ergebnis, dass in den zeitlich den meisten Zuchthäusern vorausgehenden „opera publica die ersten Anfänge der modernen Freiheitsstrafe“ zu sehen seien (S. 495). Der erste internationale Gefängniskongress von 1846 in Frankfurt am Main, über den L. H. Riemer berichtet, stand im Zeichen der Beschlussfassung über das ideale Haftsystem (System der Einzelhaft). Mit diesem Beitrag erinnert Riemer zugleich an die umfangreiche, bisher von der Rechtsgeschichte wenig beachtete Kongresskultur des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, die, soweit sie juristische Fragen betrafen, meist rechtspolitisch ausgerichtet war. A. Prettenthaler-Ziegerhofer setzt in ihrem Beitrag: „Aristide Briand und Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi. Zwei Europa-Protagonisten und ihre [im Anhang des Beitrags wiedergegebenen] Entwürfe für ein vereintes Europa aus dem Jahre 1930“ möglichen Kontinuitäten zur heutigen Europäischen Union nach. Nach dem Beitrag G. Deppenkämpers: „Die Rezeption des Römischen Rechts am Beispiel des Aufwendungsersatzanspruchs in § 683 BGB“ hat der BGB-Gesetzgeber mit der subjektiven Ausrichtung der genannten Norm eine Mindermeinung des römischen Rechts kodifiziert, die dem damaligen liberalen Privatrechtsmodell entgegengekommen sei. Nicht näher untersucht hat Deppenkämper die Frage, inwieweit die Judikatur zu § 683 BGB diesem Modell gefolgt ist. In einem Ausblick zeigt er auf, dass sich gesamteuropäisch wohl die objektive Sicht des Aufwendungsersatzanspruchs durchsetzen werde (S. 645ff.). - Bei dem hervorragend ausgestatteten Werk, das die Themen- und Methodenvielfalt, die für die heutige Rechtsgeschichte kennzeichnend ist, in voller Breite dokumentiert, fehlt leider ein Verzeichnis der Autoren bzw. der Herausgeber.
2. Das „Jahrbuch der Gesellschaft Junger Zivilrechtswissenschaftler
e. V.“ gibt die auf der 14. Tagung dieser Gesellschaft in Salzburg 2003 gehaltenen
Vorträge wieder, von denen zwei rechtsgeschichtlichen Inhalts sind. M.-R.
McGuire geht in ihrem Beitrag über die Entstehung des § 139 der
deutschen ZPO und der §§ 182f. der österreichischen ZPO, deren weiterer
Entstehungsgeschichte sowie deren Handhabung nach. – J. Thiessen liefert
in seinem Beitrag: „Das unsoziale BGB – vertraute Bilder und neue Zweifel“
einen detaillierten Beitrag über die Stellung des BGB und seiner Redaktoren zu
den sozialpolitischen Anforderungen, die seit den 80er Jahren des 19.
Jahrhunderts zunehmend an das Zivilrecht gestellt wurden. Thiessen weist
nach, dass die BGB-Verfasser dieses Postulat insbesondere in den 90er Jahren
keineswegs ignoriert hätten und ihnen auch, soweit dies der allgemeine, auf
Dauer angelegte Charakter des Bürgerlichen Gesetzbuchs zuließ, teilweise
entgegengekommen seien (S. 43ff.; vgl. hierzu auch W. Schubert, in: Das
Bürgerliche Recht – Von der Vielfalt zur Einheit, hg. v. E. Wyluda, Flensburg
2000, S. 61ff.). Der Beitrag Thiessens verdeutlicht, dass die
rechtshistorische Einordnung des BGB in seiner ursprünglichen Fassung noch
immer nicht abgeschlossen ist und bis heute von dem negativen Urteil erschwert
wird, welches das BGB von Anfang an begleitet hat.
Kiel |
Werner Schubert |