Eichler, Frank, Das Hamburger Ordeelbook in der Erstfassung von 1270. Rechtshistorische und sprachliche Rekonstruktion aus den vorhandenen Quellen. Mauke, Hamburg 2007. 113 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das älteste Hamburger Stadtrecht, das Ordeelbook, im Original aufzufinden, wäre der Wunsch, so schreibt der Verfasser im Vorwort des mit dem ältesten Stadtsiegel der Stadt Hamburg von 1306 auf der Vordderseite (!) geschmückten schmalen Bandes, der Hamburger Rechtshistoriker gewesen, doch leider, die Überlieferungslage ist nicht so, und wir sind auf sehr viel jüngere Abschriften angewiesen, bei deren Anfertigung naturgemäß die praktischen Interessen der jeweiligen Epoche im Vordergrund standen, so dass nicht nur aktualisierte Inhalte, sondern auch sprachliche Anpassungen an die jeweilige Gegenwart das Original und im späteren Verlauf die Vorlagen der Schreiber mehr und mehr Veränderungen erfuhren (!). Frühere Pläne (z. B. Reinckes), die Erstfassung des Ordeelbooks inhaltlich und sprachlich zu rekonstruieren, seien nie realisiert worden. Deswegen erschien es ihm eine lohnende Mühe zu sein, das Ur-Ordeelbook zu erarbeiten, das sicher nicht dasselbe wie das Original sei, aber doch das Zweitbeste, ein praktikabler Ersatz.

 

Ausgewiesen ist der Verfasser bereits durch Das Hamburger Ordeelbook von 1270 samt Schiffrecht nach der Handschrift von Fredericus Varendorp von 1493 (Kopenhagener Codex). Textausgabe und Übersetzung ins Hochdeutsche mit rechtsgeschichtlichem Kommentar v. Eichler, Frank. Mauke, Hamburg 2005. 511 S., das in dieser Zeitschrift in Band 123 (2006) angezeigt wurde. Mit Lappenberg geht der Verfasser von der von diesem edierten Handschrift A aus. Mit Reincke greift er für den ursprünglichen Text auf die Klasse B Y D zurück, bietet aber als Rekonstruktion doch eine von jüngerem Recht befreite Fassung der Handschrift A, wobei außer den inhaltlichen auch schriftliche Merkmale des 15. Jahrhunderts auf Formen des 13. Jahrhunderts zurückgeführt wurden, wo es möglich und angezeigt schien, so dass Wortwahl, Orthographie und grammatische Formen die Hamburgs im 13. Jahrhundert sind, obwohl der Verfasser letztlich nur von den verschiedenen Schreibweisen der verfügbaren Codices jeweils diejenige für die Rekonstruktion wählte, die sich mit den philologischen Untersuchungsergebnissen Gustav Korléns am besten deckten, und dennoch meint, dass ein Hamburger Schreiber im Jahre 1270 seinen Text so geschrieben haben dürfte.

 

Die inhaltlichen Ergebnisse (!) sind nach eigener Aussage des Verfassers in der Hauptsache nicht neu. Sie beziehen sich vor allem auf das eheliche Güterrecht, für das der Ehemann im Ur-Ordeelbook nicht befugt war, über das mitgebrachte Erbe seiner Ehefrau ohne deren Zustimmung zu verfügen (I, 20), und der Witwer das Erbe seiner Frau mit seinen Kindern hälftig teilte, auch wenn es sich nur um ein einziges Kind handelte (VI, 7). Im Übrigen lehnt der Verfasser gegen Reincke ein lateinisches Vor-Ordeelbook vor 1270 ab.

 

Im Anschluss an diese wenigen Überlegungen stellt der Verfasser sein Verfahren bei der Rekonstruktion etwas ausführlicher dar. Danach hat er die Handschriften A (Druckausgabe Lappenberg), B (Wien), C (Druckausgabe Hach), D (Druckausgabe Anderson) und Y (Kopenhagen), das Stadtrecht Stades von 1279 und die Redaktion des Hamburger Stadtrechts für Riga von etwa 1295 herangezogen, in der Regel aber den Wortlaut der Handschrift A zu Grunde gelegt. Dabei hat er natürlich (!) die Artikel VI, 31-33, den Satz über das Erbvorrecht von Kindeskindern in Artikel III, 12, die Artikel XI,4 und XII, 13 sowie III, 12b ausgelassen, die sechsmal nur in A vorkommende Wendung na stat rechte aufgenommen und die alte Fassung des Art. I, 20 und die in A enthaltene Fassung des Art. III, 2 beibehalten sowie ein Register bejaht und eine Zwölfteilung des Textes zu Grunde gelegt.

 

Im Anschluss an die Übersicht über die sprachlich-orthographischen Rekonstruktionen und Hinweisen für die Druckwiedergabe folgt der rekonstruierte Text, dem abgesehen vom Register eine möglichst wortgetreue neuhochdeutsche Übertragung jedes Artikels beigefügt ist. Quellen- und Literaturverzeichnis und ein von Abschichtung bis Zweitehe reichender neuhochdeutscher Index runden das Werk ab. Es wird allen Freunden Hamburger Rechtsgeschichte trotz aller mit jeder Rekonstruktion verbundenen Unsicherheiten eine wertvolle Hilfe sein können.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler