Duchhardt, Heinz, Stein. Eine Biographie. Aschendorff, Münster 2007. VIII, 530 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Was veranlasst, so beginnt der Verfasser seine Einleitung, einen Historiker, sich angesichts eines Schrifttums, das eine ganze Bibliothek füllen würde, erneut biographisch mit einer historischen Gestalt zu beschäftigen, die, vor (fast) 250 Jahren geboren, von unserer Gegenwart doch recht weit entfernt scheint? Nicht nur die Aufgabe jeder Generation, mit ihren spezifischen Erfahrungen und neuen Fragestellungen die Geschichte neu zu schreiben, sondern zunächst die seit der letzten großen Stein-Biographie Gerhard Ritters aus dem Jahre 1931 erheblich vergrößerte Quellengrundlage und dann die seit dieser Zeit durchgeführte Forschung, die geradezu danach rufe, in einer wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden modernen Biographie neu bilanziert und gewichtet zu werden. Daneben sei es eine große Herausforderung, Mythen und Mythisierungen aufzudecken und verschobene Geschichtsbilder zurechtzurücken.

 

Dabei stelle sich dem Biographen die Frage, ob eine Biographie zwingend einer Generalthese bedürfe. Ritter habe dies bejaht und Stein zum nationalen Heros erklärt. Das sei in der Gegenwart nicht mehr gut begründbar, weil Stein wie die meisten Menschen ein Pragmatiker sei, der gelernt habe, sich angepasst habe und Kompromisse geschlossen habe.

 

Der Biograph dürfe auch nicht der biographischen Illusion erliegen und einer Vita ein Übermaß an Kohärenz verleihen. Deswegen werde Stein mit allen seinen Widersprüchen gezeigt. Dazu gehöre auch die immer zu kurz gekommene private Seite Steins, der insgesamt viel differenzierter sei, als er meist wahrgenommen worden sei.

 

Insgesamt gehe es im Hinblick auf diesen besonderen deutschen Großen vor allem um die Herausbildung einer Persönlichkeit, teils durch Prägungen, teils durch Erfahrungen. Ziel sei der Versuch, einen Kleinadligen, der sich vom Anspruch her auf dem Niveau des Hochadels bewegt habe, in all seinen von der Gegenwart weit entfernten Bindungen und Denkmustern verstehbar zu machen. Herausgearbeitet werden sollen die Grundannahmen, auf denen Steins Handeln aufruhte, das längst nicht immer intentional begründet worden sei, obgleich Stein viel mehr als die meisten seiner Zeitgenossen sich und anderen schriftlich Rechenschaft über sein Tun abgelegt habe.

 

Hinsichtlich des Aufbaus der Biographie, die außen Stein (1804) in der Blüte seiner Jahre farbig und innen gewissermaßen privat und schwarzweiß gegen Ende seiner Tage zeigt, hat sich der Verfasser für die Chronologie entschieden. Er beginnt deshalb mit dem Weg von der Lahntal-Idylle nach Göttingen in Kindheit, Jugend und Ausbildung, zeigt Steins geistig-politisches Koordinatensystem auf, beschreibt den preußischen Beamten in Wetter, Kleve, Hamm, Minden und Münster, schildert die Herausforderung des Lebens in Berlin, erfasst die Nassauer Denkschrift, untersucht das Reformministeriat, folgt dem Flüchtling nach Brünn, Troppau und Prag sowie nach Russland, wo Stein im Dienst des Zaren um die neue Ordnung kämpft, nimmt Teil am Wiener Kongress und begleitet den Patriarchen von Cappenberg abseits der großen Politik bis zum Tode und sogar noch darüber hinaus.

 

Insgesamt ein neues bedeutendes Buch, das leider die Anmerkungen in den Anhang verbannt. Da es nicht zuletzt für weitere Kreise verfasst sein dürfte, wird dies von den meisten Lesern verschmerzt werden können. Möge dem Verfasser die große Mühe langer Forschung und vielfacher Formulierung reichlich gelohnt werden.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler