Dölemeyer, Barbara, Die Hugenotten (= Urban-Taschenbuch 615). Kohlhammer 2006. 231 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Diese Buch möchte, so schreibt die durch zahlreiche Arbeiten für die Neuzeit im Allgemeinen und Aspekte zur Rechtsgeschichte des deutschen Refuge im Besonderen vielfach als vorzügliche Sachkennerin ausgewiesene Verfasserin in ihrer klaren Einleitung, den knappen Überblick mit einigen neuen Aspekten und Fragen der Hugenottenforschung verbinden. Dabei wendet sie sich eingehend dem Begriff der Hugenotten zu, dessen frühester Nachweis in einem französischen Manuskript von 1551 zu finden ist. Leider kann sie den wissenschaftlichen Streit zwischen den beiden Hauptmeinungen, von denen die eine das Wort mit einem Schreckgespenst in Tours und dem Roi Hugo verbindet und die Hugenotten als lichtscheues Gesindel begreift und die andere ihn von einer verballhornten Form von eidgenossen (aignos, inguenots) herleitet, nicht entscheiden, sondern nur die Ableitung von Hugo als eher akzeptiert erklären.

 

Eindeutig ist demgegenüber der heutige Inhalt. Als Hugenotten werden reformierte Christen bezeichnet, die nach der von dem Nordfranzosen Jean Calvin (Johannes Calvinus 1509-1564) entwickelten Lehre leben und aus dem französischen Sprachraum stammen. Sie werden von außen her als Hugenotten bezeichnet, obwohl sie sich selbst als réformés benennen und sich nicht wirklich scharf von anderen französischsprachigen reformierten Glaubensflüchtlingen wie Waldensern und Wallonen abgrenzen.

 

Gegliedert ist das eingängig geschriebene Werk in sechs chronologisch geordnete Teile. Es beginnt mit der Geschichte der Hugenotten in Frankreich, wo der Protestantismus zunächst geduldet, nach Widerruf des das Recht der freien Religionsausübung zusichernden Toleranzedikts von Nantes (13. April 1598) von 1685 bis 1789 aber verfolgt wird. Wo es einen König und ein Gesetz gibt, ist auch nur ein Glaube rechtmäßig.

 

In der Verfolgung wird die Schweiz zur großen Flüchtlingsherberge. Frankfurt am Main, mit dem die Verfasserin seit langem eng verbunden ist, entwickelt sich zu einer bedeutsamen Drehscheibe. In besonderen Privilegien werden die Bedingungen der Aufnahme und Ansiedlung dieser Glaubensflüchtlinge festgehalten.

 

Bald finden die Hugenotten auch in anderen europäischen Staaten Zuflucht, wobei die Verfasserin die Verhältnisse in den Niederlanden, in England und Irland, Einzelschicksale in Dänemark, Schweden und Russland und sogar die Hoffnung in Südafrika und Nordamerika besonders herausgreift. In bestimmten Ländern und Städten des heiligen römischen Reichs wie Brandenburg-Preußen, Hessen, den Hansestädten und vielen anderen von Baden bis Mecklenburg wird die verfolgte Minderheit zur gesellschaftlichen Elite. Mythos und Erbe mit Karlshafen als Zentrum der deutschen Hugenottennachkommen sowie weltweiten Kontakten beschließen das verdienstvolle Werk.

 

Leider sind die Anmerkungen getrennt vom Text untergebracht. Interessant wäre vielleicht auch ein Register der bedeutendsten hugenottischen Namen gewesen. Dessenungeachtet bietet die den Rahmen der europäischen Politik des 17. und 18. Jahrhunderts berücksichtigende, die Migration in Europa einbeziehende und Binnenkonflikte aufspürende Untersuchung die derzeit aktuellste Bestandsaufnahme über eine bedeutsame europäische Personengruppe.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler