Die Universität
Heidelberg im Nationalsozialismus, hg. v. Eckart, Wolfgang U./Sellin,
Volker/Wolgast, Eike. Springer Medizin, Heidelberg 2006. XVII, 1277 S., 44
Ill. Besprochen von Adolf Laufs.
Auf der
Gedenktafel im Foyer der Alten Universität beginnt die lange Reihe der „unter
der nationalsozialistischen Diktatur entrechteten und vertriebenen
Hochschullehrer“ der Ruperto Carola mit Namen aus der Juristischen Fakultät:
Gerhard Anschütz, Friedrich Darmstaedter, Karl Geiler, Max Gutzwiller, Walter
Jellinek, Ernst Levy, Leopold Perels, Gustav Radbruch. Schon diese Namen deuten
auf das eklatante Versagen der Universität als Korporation im
Nationalsozialismus, auf Anpassung vieler Gelehrter unter Verleugnung
bisheriger Wertmaßstäbe, auf beschämendes Fehlen von Solidarität mit bedrohten,
entrechteten und verjagten Kollegen, auf ausbleibende Verwahrung gegen
rassistisch-nationalistische Wissenschaftspostulate und mörderischen
Antisemitismus. Als Rektor suchte der Historiker Willy Andreas die Ein- und
Übergriffe der neuen Machthaber zu mäßigen, ohne ihnen freilich eine
grundsätzliche Kritik entgegenzuhalten. Bei der ersten feierlichen
Immatrikulation im Sommersemester 1933 erklärte er bezeichnenderweise: „Im
Unterschied zu anderen Revolutionen ist es die besondere Eigenart dieser
Volksbewegung unserer Tage geworden, dass sie dem Deutschen, wenn er als
solcher fühlt, keine andere Entscheidung mehr lässt, als mit ihr zu gehen.
Angesichts ihrer unwiderstehlichen Gewalt und ihrer Auswirkung, angesichts der
Zwangsläufigkeit ihrer Entwicklung ist man gleichsam vor keine andere Wahl
gestellt. In einem Wort: Der Nationalsozialismus ist Deutschlands Schicksal
geworden! Er muss seine Sendung erfüllen“ (S. 14).
In dem
umfassenden, je ins Einzelne gehende Gemeinschaftswerk bleiben Zeugen der
Zivilcourage wie der Philosophieprofessor Ernst Hoffmann die Ausnahme (S. 333).
Statt dessen begegnen Gleichgültigkeit und Opportunismus, anfangs Verdrängung
und dann schuldhafte Hilflosigkeit gegen die Macht des Bösen“ (Marianne Weber
an Karl Jaspers, S. 340), Karrierestreben und Überzeugungstäterschaft, auch das
„Mitmachen, um Schlimmeres zu verhüten“. Der Leser stößt auf beschämende
Ereignisse der Heidelberger Universitätsgeschichte wie den Freitod Violetta von
Waldbergs kurz vor ihrer Deportation nach Theresienstadt (S. 361) und auf das
verbrecherische Kapitel aus der Geschichte der Psychiatrisch-Neurologischen
Universitätskliniken: „Carl Schneider und die <Euthanasie> an
psychiatrischen Anstaltspatienten“ (S. 927ff.).
Das gewichtige,
mit vierundvierzig Abbildungen ausgestattete Buch enthält wissenschaftliche
Beiträge von nicht weniger als sechsunddreißig Autorinnen und Autoren. Die
Herausgeber haben es nach Fakultäten – der theologischen, der juristischen, der
philosophischen, der medizinischen und der naturwissenschaftlich-mathematischen
– und innerhalb dieser nach Fächern, Fachgruppen sowie Instituten und Kliniken
gegliedert. Am Anfang stehen die Aufsätze zur Universität als Gesamtheit. Die
Beiträge sind aus den Quellen, vielfach aus Personalakten, gearbeitet und
enthalten auch jeweils Bibliographien. Das Werk führt über das Kriegsende
hinaus, ohne dabei immer Ruhmesblätter aufschlagen zu können.
Eindrucksvoll
führt das Buch dem Leser vor Augen, wie die nationalsozialistische Staatsgewalt
mit der Hilfe willfähriger und alsbald auch parteiischer Rektoren energisch in
die Universitätsverfassung, in das Beamtenrecht und in die Freiheit von
Forschung und Lehre eingriff. „Die wirksamsten Mittel zur ideologischen
Gleichschaltung der Universität waren die rassische und politische Säuberung
des Lehrkörpers und die Aufhebung der Autonomie“ (Volker Sellin, S. 5). Das
Führerprinzip öffnete der Willkür das Tor. Rektor Wilhelm Groh, ein Jurist,
äußerte, er sei durchaus in der Lage, „Anordnungen zu treffen, die der
ängstliche Jurist als Kompetenzüberschreitung oder gar Verfassungsbruch
bezeichnen würde“ (S. 18). Der Heidelberger Dozentenführer und Mediziner
Hermann Schlüter, Parteigenosse seit 1931, schrieb um die Jahreswende 1936/37:
„Wir wehren uns dagegen, dass die Wissenschaft unsere Weltanschauung zerteilt,
dass die wissenschaftliche Haltung die weltanschauliche bestimmt und
ausrichtet. Der Nationalsozialismus kann nur in toto übernommen oder abgelehnt
werden … Unsere blutsgebundene Weltanschauung steht über der Wissenschaft.
Diese wird von jener bestimmt, nicht umgekehrt“ (S. 35).
Ein abstoßendes
Bild bietet die Studentenschaft unter ihrem schon früh von Rechtsradikalen
dominierten AStA und dem Studentenführer Gustav Adolf Scheel, einem
Medizinstudenten und nach 1933 einem der mächtigsten neuen Herren der
Universität: mit dem Terror gegen Andersdenkende, dem Boykott von Lehrveranstaltungen
jüdischer oder sonst missliebiger Dozenten, mit der öffentlichen
Bücherverbrennung und mit dem Betreiben der Exmatrikulation nicht-völkischer
Studierender. Jüdische und politisch missliebige Studierende sahen sich schon
im Sommersemester 1933 von allen Vergünstigungen und Stipendien ausgeschlossen.
In ihrem
detaillierten und wohlbelegten Bericht über die Juristische Fakultät weist die
eher zurückhaltend urteilende Autorin Dorothee Mussgnug auf die „sehr großen
Illusionen“ hin, die zu Beginn des Jahres 1933 über die Tragweite der
nationalsozialistischen Machtergreifung herrschten. In ihren anlässlich der Entnazifizierungsverfahren
verfassten „Anmerkungen zum Lebenslauf“ hätten einige der Rechtsprofessoren
bekannt, sie seien keine Helden gewesen. Ein Heidelberger formulierte: „Nach
Überlieferung und Schulung war mir absolute Opposition gegen die legale
Regierung etwas Fremdes“. Die Judenverfolgungen seien für ihn eine „seelische
Last“ gewesen (S. 313). Zur Opposition fand die Fakultät nicht. Freilich gab es
individuelle Hilfen, so für die Witwe des Rechtsgelehrten Eberhard Freiherr von
Künßberg, die als bedrohte Jüdin den Krieg in Heidelberg überlebte.
Wolfgang U.
Eckart schließt seinen Bericht über die einflussreiche Medizinische Fakultät
mit den folgenden durchaus veranlassten, bestürzenden Sätzen (S. 649):
„Selbstverständlich war und verstand sich die Medizinische Fakultät als
Garantin einer rassisch-biologistischen Staatstheorie, wie sie dem
Nationalsozialismus zugrundelag. Ihren Mitgliedern war es gestattet, entweder
raunend über sie zu <philosophieren> wie Viktor von Weizäcker in seiner
Sommervorlesung des Jahres 1933, propagandistisch zu agitieren wie die Dekane
Runge, Rodenwaldt und Achelis oder ärztlich-praktisch und forschend-begleitend
ihre <ausmerzenden> Instrumente zu bedienen, gynäkologisch und
chirurgisch zu sterilisieren wie in Runges Klinik oder <ausgeforschte>
kleine Psychiatriepatienten ermorden zu lassen, um ihrer Hirne habhaft zu
werden, wie unter der Ägide des Dekans und Psychiatrieprofessors Carl
Schneider“.
Der Rezensent,
der in langen Jahren viel über den Nationalsozialismus, auch in der
Heidelberger Universitätsgeschichte, gelesen und manches selbst dazu
geschrieben hat, gesteht: das von den Heidelberger Professoren Eckart, Sellin
und Wolgast begründete und herausgegebene Buch mit seiner ein immenses Material
durchdringenden und schlechthin erhellenden Qualität hat ihn erschüttert –
nicht nur als altes Mitglied und ehemaligen Rektor der Ruperto Carola, sondern
auch als Rechtshistoriker und Staatsbürger. Wie dünn und brüchig muss der
kulturelle Humus mit seinen bewährten akademischen Traditionen und seiner
sittlichen wie rechtlichen Substanz in Deutschland sein, wenn ihn geistige
Verwahrlosungen wie diejenige im Zeichen des Hakenkreuzes in kurzer Zeit
zerwühlen und fast widerstandslos überwuchern können?
Heidelberg Adolf
Laufs