Die Stiftskirche in Südwestdeutschland. Aufgaben und
Perspektiven. Erste wissenschaftliche Fachtagung zum Stiftskirchenprojekt des
Instituts für geschichtliche Landeskunde und historische Hilfswissenschaften
der Universität Tübingen (17.-19. März 2000, Weingarten), hg. v. Lorenz,
Sönke/Auge, Oliver in Verbindung mit Bauer, Dieter, R. und der
Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Redaktion Albus, Stefanie (=
Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 35). DRW-Verlag,
Leinfelden-Echterdingen 2003. VIII, 264 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Das vom Institut für geschichtliche Landeskunde und historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen entwickelte Projekt wurde bereits im Jahr 2000 auf einer Fachtagung in Weingarten der Fachöffentlichkeit vorgestellt. Mit einem gewissen zeitlichen Abstand sind 2003 die Referate dieser Tagung in Buchform erschienen. Leider konnte Ulrich Andermann seine rasche Rezensionszusage bisher nicht einhalten, so dass der Herausgeber über den Inhalt des mit einer Abbildung des Chorfensters Nord II der Tübinger Stiftskirche geschmückten Bandes berichten muss.
Bereits im Vorwort weisen die Herausgeber darauf hin, dass kaum eine kirchliche Einrichtung so nachhaltig prägend auf das Erscheinungsbild Südwestdeutschlands gewirkt habe wie die Stiftskirche. Der großen geschichtlichen Bedeutung stehe allerdings ein kaum befriedigender Forschungsstand gegenüber. Bestimmte Fragestellungen und bestimmte Zeiträume stellten sich gewissermaßen als weiße Flecke der Wissenschaft dar, die durch eine vollständige Übersicht katalogartigen Zuschnitts über die weit mehr als einhundert ermittelten Stifte mit Inhalten versehen werden sollen.
In der Einleitung stellt Sönke Lorenz das Tübinger Stiftskirchenprojekt ausführlich dar. Dabei fragt er als erstes danach, was eine Stiftskirche sei, und erklärt als Stift im engeren Sinn ein Kollegium von Weltgeistlichen aller Weihegrade an einer Domkirche oder einer Kollegiatkirche sowie eine Frauenkommunität (Damenstift, Frauenstift), wobei als Wesensmerkmal gelte, dass solche Kollegien nicht nach einer Mönchsregel, sondern ohne Gelübde nach eigenen Ordnungen und aus dem Stiftungsvermögen ihrer Kirche lebten. Das konkrete Erscheinungsbild erweist sich freilich als durchaus vielfältig.
Die Einordnung insbesondere in der Anfangszeit sei auch schwierig, doch sei wohl schon die von Egino von Verona 799 errichtete Peterskirche auf der Reichenau ebenso eine Stiftskirche wie die um 800 entstandene Zelle Schienen im Hegau. Prägende Hauptkräfte seien jeweils Klöster, Bischöfe und Hochadel gewesen. Vielfach seien dabei Monasterien der ersten großen Klostergründungswelle in Stifte umgewandelt und danach Stiftskirchen in der Zeit des Investiturstreits, Prämonstratenserkonvente und Augustinerchorherrenkonvente von Beuron bis Steinheim am Albuch im 12. Jahrhundert und weitere Stifte auch in späterer Zeit (bis etwa 1600) gegründet worden.
Im Anschluss hieran skizziert Peter Moraw die Stiftskirchen im deutschen Sprachraum insgesamt. Dabei geht er von der Forschungsgeschichte aus und bezieht auch Italien, England, Frankreich, Belgien/Niederlande, Polen und Skandinavien ein, so dass das Kollegiatstift als europäisches Phänomen sichtbar wird. Am Ende seiner beeindruckenden Übersicht zählt er seine (acht) offenen Fragen und Wünsche auf.
Guy P. Marchal behandelt die Welt der Kanoniker unter historisch-anthropologischer Sicht. Josef Semmler untersucht Stift und Seelsorge im südwestdeutschen Raum zwischen dem 6. und 9. Jahrhundert. Stefan Weinfurter schließt hieran die Kanoniker in der Kirchenreform des 11. und 12. Jahrhunderts unter den Stichworten Funktionalisierung und Gemeinschaftsmodell an.
Weitere Beiträge widmen sich etwa besonders den Prämonstratensern (Helmut Flachenecker), den Augustinerchorherren (Ulrich Köpf), der Pfründe (Andreas Meyer) oder dem herrschaftlichen Kontext (Oliver Auge). Fragen und Veränderungen an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit nehmen Wilfried Schöntag, Hermann Ehmer und Wolfgang Zimmermann in den Blick. Ein Orts- und Personenindex erschließt den das Projekt in der Förderungslandschaft verankernden aufschlussreichen und vielversprechenden Band.
Innsbruck Gerhard Köbler