Die Lebenszeugnisse Oswalds von Wolkenstein. Edition und
Kommentar, hg. v. Schwob, Anton unter Mitarbeit v. Kranich-Hofbauer,
Karin/Schwob, Ute Monika/Spreitzer, Brigitte, Band 1 1382-1419, Nr. 1-92,
Band 2 1420-1428, Nr. 93-177, Band 3 1428-1437, Nr. 178-276. Böhlau, Wien 1999,
2001, 2004. XIX, 423, XXV, 379, XXVIII, 405 S. Besprochen von Ruth
Schmidt-Wiegand.
Das Geschlecht der Wolkensteiner, einer Nebenlinie der Edlen von Villanders, gen. von Trostburg, aus altem Tiroler Landadel, nannte sich seit 1320 nach seiner Stammburg im Grödental. Ursprünglich Ministeriale des Hochstifts Brixen, wurden die Wolkensteiner 1476 in den Reichsfreiherren- und 1663 in den Reichsgrafenstand erhoben. 1382 vermachte Eckhard von Trostberg seiner Tochter Katharina, verheiratet mit Friedrich von Wolkenstein die Feste Trostperg mit Zubehör1: Hier wuchs Oswald von Wolkenstein mit seinen Brüdern Michael und Leonhard und vier jüngeren Schwestern auf. Dieser private wie öffentliche Aufstieg des Geschlechts erklärt das außergewöhnliche Verhältnis von Autobiographie, Dichtung und Lebenszeugnissen in der Form von Urkunden und Akten, um das es in den hier anzuzeigenden Bänden geht. Durch seine Verstrickung in Rechtshändel und Fehden, in die Landes- und Reichspolitik hat Oswald von Wolkenstein (geb. um 1376, gest. 2. 9. 1445)2 außer rund 120 Gedichten und Liedern zahlreiche Akten und Urkunden hinterlassen, die von den Erben an das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg gegeben worden sind. Die Sammlung von insgesamt 263 Exponaten galt schon immer als ein höchst aufschlussreiches Quellenmaterial für die Verschriftlichung des Rechts- und Geschäftsverkehrs im 15. Jahrhundert. Der Dichter hat diesen Prozess in der Rede Mich fragt ein ritter (Klein Nr. 112 v. 1-410)3 wiederholt höchst anschaulich charakterisiert: Allein bei weisen reten d. h. bei studierten Juristen , glaubt er die Pflege des Rechts im Sinne der Leges, d. h. des gelehrten römischen Rechts, in guten Händen. Man hat von hier aus das längste Gedicht, das Oswald 1438 im Alter von 61 Jahren verfasste, nicht nur als sein literarisches Testament, sondern auch als das „älteste Zeugnis für eine dichterische Popularisierung des römischen Rechts“ in den deutschsprachigen Gebieten bezeichnet.4
Es war von vornherein klar, dass die Nürnberger Sammlung nur einen Bruchteil von allem enthalten würde, was bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Oeuvre des Dichters in Archiven und Bibliotheken benutzt worden ist. Aus der Sicht des Diplomatikers handelt es sich größtenteils um original ausgefertigte Urkunden und Akten auf Pergament oder Papier, ferner um Zweitausfertigungen, Register und Kapitaleintragungen, Konzepte und Abschriften, Protokolle u. a. m. Anton Schwob, als der beste Kenner der Biographie Oswalds von Wolkensteins5, hat sich der schwierigen Aufgabe unterzogen, dieses heterogene Material mit einem gut eingearbeiteten Team aus seinem Wirkungskreis an der Universität Graz ermitteln und sichten zu lassen. Für die Drucklegung sah er sich gezwungen, sich auf Zeugnisse zu beschränken, die sich auf den Dichter, die wichtigsten Stationen seines Lebens oder die Personen, die sein Wirken bestimmt haben, beziehen. Als Germanist und Historiker, der über Sprachmischung und Sprachausgleich in den deutschen Sprachinseln Südosteuropas (Banat) gearbeitet hat, sah er sich als Editor vor die Herausforderung gestellt, eine diplomatische Ausgabe nach dem Muster der ,Deutschen Texte des Mittelalters’ vorzulegen, die zugleich den Anforderungen an eine historisch-kritische Edition in den ,Monumenta Germaniae Historica’ entsprach. Mit seinen Mitarbeitern entwickelte er das Konzept einer historisch-diplomatischen Edition mit dem Ziel, die Authenzität des Textes bei gleichzeitiger Anpassung an die klassischen Prinzipien der Monumenta Germaiae Historica zu bewahren. Die Umsetzung ist der Forschergruppe durch die Voranstellung eines Kopfregests wie die Beigabe eines doppelten Apparates gelungen, der sich einerseits auf den diplomatischen Abdruck, andererseits auf die sachlichen Erläuterungen bezieht.
Außer den üblichen Verzeichnissen der geprüften Archive, Bibliotheken und Museen, Personen- und Ortsregister sind die Stammtafeln der Familien Vilanders und Wolkenstein zu erwähnen, die jedem Band beigegeben sind, und den historischen Hintergrund der Handschriften mit ihren Aufbewahrungsorten verdeutlichen. Sieht man von einigen unwesentlichen, durchaus gängigen Versehen ab, so handelt es sich auf das Ganze gesehen um eine sorgfältig gestaltete und wohldurchdachte Edition, die indessen an den paläographischen ungeübten und sprachgeographisch ungeschulten Benutzer einige Anforderungen stellt. Das liegt an den spitzen, runden und eckigen Klammern, deren Funktion in der germanistischen Handschriftenpraxis genau festgelegt ist. Sie enthalten die zum Verständnis notwendigen Ergänzungen wie vo(n), die aber auch fortfallen können wie bei dz; das Festhalten an historischen Schreibungen wie bei den verschiedenen Umlautbezeichnungen oder Unterscheidungen von lang-s und rund-s, ,kurzem’ r und ,rundem’ r, ,kurzem’ und ,geschwänztem’ z erschweren die Lektüre, obwohl sie in der Einleitung ausführlich erläutert werden (Bd. 1, S. XXXVII), zumal sie für die sprachhistorische Auswertung der Texte unverzichtbar sind. Ein „zitierfähiger“ Text als Mittelweg zwischen diplomatisch-genauer und normalisierter Wiedergabe des Textes, wie bei der Wolfenbütteler und der Oldenburger Bilderhandschrift des Sachsenspiegels versucht, ist hier nicht angestrebt worden. Dem Rechtshistoriker bleibt es so überlassen, in welche allgemeinverständliche Form er die Vorlage umsetzen möchte.
Die von Schwob und seinem Team erarbeitete Ausgabe nimmt unter den „Urkundenbüchern“ des Spätmittelalters eine höchst beachtenswerte Sonderstellung ein, gilt sie doch einer Persönlichkeit, die weder dem Fürstenstand noch dem Hochadel angehörte. Aussteller, Adressaten und beteiligte Personen kommen aus allen sozialen Schichten. Die Schriftstücke bieten je nach dem Ort ihrer Niederschrift die süd(ost)deutschen Dialekte des Mittelhochdeutschen; sie sind im Kanzleistil der Zeit verfasst, aber enthalten auch Spuren gesprochener Sprache: Rechtswörter, Redewendungen und Sprichwörter, die Schwob in umfangreichen Studien ausgewertet und mit Ute Schwob gemeinsam in einen größeren kulturgeschichtlichen Zusammenhang gebracht hat.6 Von seiner Kenntnis des gesamten erhobenen Materials aus (insgesamt 670 Mappen), stellt Schwob bereits im ersten Band S. XXVII resignierend fest, dass es ihm nur „fragmentarisch“ gelungen sei, aus den Akten und Urkunden zuverlässige Zeugnisse für Oswalds Reisetätigkeit aufzutreiben. Damit ist eine Kernfrage der Forschung berührt: Die Frage nach dem authentischen Wert der sog. Reiselieder, die man aufgrund fehlender urkundlicher Belege als reine „Erfindung“, d. h. als fiktive Literatur des Dichters, angesehen hat. Von der Lebenswelt eines Jungen im späten Mittelalter aus, der wie Oswald von Wolkenstein bereits im Alter von zehn Jahren das Elternhaus verließ, um im Gefolge eines Ritters das „Handwerk“ seines Standes zu erlernen, wird er viel herumgekommen sein, und könnte z. B. an einer Preußenfahrt des Deutschen Ordens teilgenommen haben, während die anderen in Lied 18, 17ff. aufgezählten Reisen in ferne, fremde Länder mehr einen utopischen Charakter haben. Aber sind bei Reisen, zumal wenn sie in diplomatischer Funktion gemacht werden, schriftliche Notierungen überhaupt zu erwarten? Wurden nicht vielmehr zum Schutz der eigenen Person Wege, Routen, Anlaufplätze auf der Fahrt nur von Mund zu Mund weitergegeben? Man vergleiche etwa das Schreiben Oswalds von Wolkenstein an Kurfürst Ludwig III., Pfalzgraf bei Rhein vom 9. September 1426 (Nr. 163). Obwohl möglicherweise nur ein Briefkonzept, so wird daran (wie der ausführliche Kommentar zeigt) doch deutlich, was z. B. zur Vorbereitung einer Pilgerfahrt ins Heilige Land gehörte. Pilgerwege und Handelsstraßen, die man benutzen wollte, prüfte der Fürst mit einer Art von Blitz-Exkursion höchstselbst in ihrem Verlauf, vor allem aber die Lage eines geeigneten Hafens für die Überfahrt. Der Dichter, der seinem Gönner brieflich Ratschläge für sein praktisches Verhalten in der fremden Umgebung gibt, stellt die Notwendigkeit des persönlichen Schutzes des Fürsten wie seiner Begleiter an die oberste Stelle.
Marburg Ruth Schmidt-Wiegand
Anmerkungen
1 Bd. 1, Nr. 1 vom 9. April 1382, S. 3-8.
2 HRG1, III, 1984, Sp. 1372-77; Burghart Wachinger, Deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon Bd. 7, 1989, Sp. 134-169, Wiederabdruck 2001, Sp. 644-679 (Studienausgabe).
3 Die Lieder Oswalds von Wolkenstein, hg. von Karl Kurt Klein u. a. (Altdeutsche Textbibliothek 55), 21975.
4 Gudrun Lamberg, Die Rechtsdichtung Oswalds von Wolkenstein, Zs. f. dt. Phil. 93, 1974, S. 75-87; Peter Lamberg, Die Popularisierung des römischen Rechts durch Oswald von Wolkenstein, ZRG GA 100 (1983), S. 213-237.
5 Anton Schwob, Oswald von Wolkenstein. Eine Biographie, 1Bozen 1977, 31979 und zahlreiche Einzelstudien wie: Der Dichter und der König. Zum Verhältnis zwischen Oswald von Wolkenstein und Sigmund von Luxemburg, 1994.
6 Anton und Ute Schwob, Das heiße Eisen tragen, in: Leitmotive. Kulturgeschichtliche Studien zur Traditionsbildung, 1999, S. 121-328.