Der biblische Gesetzesbegriff. Auf den Spuren seiner Säkularisierung. 13. Symposion der Kommission Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart, hg. v. Behrends, Okko (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, philologisch-historische Klasse, dritte Folge 278). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006. 389 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Kommission Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart der Akademie der Wissenschaften in Göttingen hielt am 8. und 9. April 2005 in Göttingen ihr 13. Symposion ab. Das Thema bildete der biblische Gesetzesbegriff. Auf den Spuren seiner Säkularisierung wandeln insgesamt sieben ursprünglich halbstündige Beiträge, die in mehr oder weniger tief greifender Überarbeitung samt zugehörigen Diskussionen im 13. Band der Kommission von Okko Behrends herausgegeben wurden.

 

In seinem Vorwort weist der Herausgeber erläuternd darauf hin, dass die Reihenfolge der Beiträge sich dem Ziel unterordne, die Frage zu klären, in welchem Maß der spezifisch biblische Gesetzesbegriff in säkularisierenden Analogiebildungen auf den weltlichen, in der europäischen Geschichte im Ausgangspunkt römisch geprägten Gesetzesbegriff verändernd eingewirkt hat und in welchem Maß die den römischen Gesetzesbegriff tragende Vorstellung von Recht Widerstand geleistet hat. Dabei erscheint das unter biblischem Einfluss stehende Gesetz als das Geschöpf eines von einem souveränen Herrscher ausgehenden, unweigerlichen Gehorsam fordernden, Sinn und Gemeinschaft stiftenden, die Rechtsordnung konstituierenden Befehls. Demgegenüber ist das römische Gesetz das privilegierte Mittel, die als geistige Lebensform der Menschen immer schon vorhanden gedachte und als solche nicht so sehr Gehorsam als Respekt heischende Rechtsordnung unter Wahrung ihres Wesens im Wandel der Verhältnisse und Bedürfnisse zu klären und fortzubilden.

 

Unter dieser Gegenüberstellung beginnt Rudolf Smend mit dem „Gesetz“ im alten Testament, erörtert Reinhard G. Kratz den biblischen Monotheismus im Spannungsfeld von Religion und Politik und untersucht Gérard Guyon den Gesetzesbegriff der christlich gedeuteten römischen Monarchie unter besonderer Berücksichtigung der Wende Konstantins. Für das Mittelalter behandelt Notger Slenczka Thomas von Aquin und die Synthese zwischen dem biblischen und dem griechisch-römischen Gesetzesbegriff. Für die Neuzeit legt Hasso Hofmann den Begriff des Gesetzes in der politischen Theologie von Thomas Hobbes dar und ermittelt Robert Alexy Kants Begriff des praktischen Gesetzes, während Okko Behrends die im Vorwort geäußerte Vorstellung in seinem ausführlichen Beitrag Das staatliche Gesetz in biblischer und römischer Tradition vertieft und dabei Sinn- und Gemeinschaftsstiftung durch Gehorsam fordernden Befehl und positive Satzung einer immer schon bestehenden Rechtsordnung konfrontiert.

 

Wie die intensiven Diskussionen zeigen, hat die lehrreiche Tagung nicht zu einem einfachen, allgemein anerkannten Ergebnis geführt. Dennoch ist nach den Worten des Herausgebers gerade auch in den kontrovers diskutierten und offen gehaltenen Grundfragen auf sehr anregende Weise vieles klarer geworden. Im übrigen bestehen für künftige Sitzungen dieser wichtigen und erfolgreichen Kommission offensichtlich noch zahlreiche bisher noch nicht abschließend in Angriff genommene Aufgaben.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler