Der Gestaltungsanspruch der Wissenschaft. Aufbruch und Ernüchterung in den Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften auf dem Weg von den 1960er zu den 1980er Jahren, hg. v. Acham, Karl/Nörr, Knut Wolfgang/Schefold, Bertram. Steiner, Tübingen 2006. 747 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Wiederum unterstützt von der Fritz Thyssen Stiftung fanden in Graz vom 22. bis 25. Mai und in Frankfurt am Main vom 10. bis 13. Juni 2004 Tagungen zur Geschichte der Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft und Sozialwissenschaft des deutschen Sprachraums im 20. Jahrhundert statt, in denen die für die Anfangsjahrzehnte und die Mitte des 20. Jahrhunderts bereits gewonnenen und veröffentlichten Ergebnisse für die anschließende Zeit fortgeführt werden sollten. Alle drei Wissenschaftsdisziplinen wurzelten zunächst tief in der Denkweise der deutschen geisteswissenschaftlichen Tradition des Historismus und der Hermeneutik, erfuhren aber allmählich in Problemstellungen und Methoden einen deutlichen Wandel. Insbesondere Einflüsse im Sinne einer empirisch-analytischen Denkweise wirkten nach frühen Anfängen allmählich immer stärker ein.

 

Der vorliegende Band versucht einen gewissen Abschluss. Er setzt bei den geistigen Umbrüchen nach dem zweiten Weltkrieg ein und befasst sich auch mit den die studentische Kulturrevolution der sechziger Jahre und siebziger Jahre beeinflussenden geistigen Orientierungen. Auf eine Einbeziehung der deutschen Einheit und der internationalen Globalisierung am Jahrhundertende muss er noch verzichten.

 

Gegliedert ist der Band in fünf Teile. Den Beginn machen Zeitgeist und Wissenschaft. Unter dieser Überschrift behandelt Michael Bock den Einfluss der Soziologie auf das Menschenbild in den Kriminalwissenschaften. Während Richard Hauser die sozialpolitische Entwicklung untersucht, erörtert Knut Wolfgang Nörr Begriffe, die eine Botschaft überbringen (soziale Marktwirtschaft, Wirtschaftsverfassung, Wirtschaftsrecht).

 

Unter Gegenstand und Methode geht es im zweiten Teil außer um Soziologie als Schlüsselwissenschaft und Wachstums- und Entwicklungstheorien auch um die Renaissance der Rechtstheorie, die Eric Hilgendorf vorstellt. Unter Selbstbesinnung der Disziplinen werden die Soziologie in der Schweiz, der Gegensatz der Globalsteuerung der Nachfrage und der Verbesserung der Angebotsbedingungen sowie die Bildungsexpansion mit dem Übergang von der Grundrechtsinterpretation zur Verfassungstheorie (Dian Schefold) verbunden. Als Herausforderungen einer neuen Zeit werden Wandlungen im gesellschaftspolitischen Zielkatalog, Umweltökonomie sowie Grundrechtsverständnis und Verfassungswandel (Richard Novak) angesprochen.

 

Unter Menschenbild und Ethik kommen nochmals alle drei beteiligten Wissenschaften in Referaten und Kommentaren zu Wort. Für die Sozialwissenschaft wird dabei die Wendung ins Subjekt untersucht (Clemens Albrecht), für die Wirtschaftswissenschaft die neue politische Ökonomie (Hermann Sautter) und für die Rechtswissenschaft mit neuem Mut für alte Fragen das Sozialstaatsprinzip (Joachim Rückert). Möge sich der Wunsch der Herausgeber erfüllen, dass die vielseitigen interdisziplinären Fragen und Antworten des wiederum durch ein Personenverzeichnis abgerundeten Bandes auch diejenigen lesen werden, die den Stoff für das nächste Kapitel der insgesamt durch alle aus den Arbeitskreisen Methoden der Geisteswissenschaften der Fritz Thyssen Stiftung erwachsenen drei Bände in vielfachen Hinsichten geförderten Wissenschaftsgeschichte abzugeben sich anschicken.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler