Das Privileg im europäischen Vergleich, Band 1, hg. v. Dölemeyer, Barbara/Mohnhaupt, Heinz (= Ius commune Sonderhefte, Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 93). Klostermann, Frankfurt am Main 1997. VIII, 477 S.

Das Privileg im europäischen Vergleich, Band 2, hg. v. Dölemeyer, Barbara/Mohnhaupt, Heinz (= Ius commune Sonderhefte, Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 125). Klostermann, Frankfurt am Main 1999. VIII, 362 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Nach dem kurzen Vorwort der Herausgeber erhob Ulrich Stutz 1918 in der kanonistischen Abteilung der Zeitschrift für Rechtsgeschichte die Forderung nach Untersuchung der Frage, wie in der mittelalterlichen und nachmittelalterlichen Entwicklung das Ausnahmerecht das Regelrecht völlig überwucherte und in den Hintergrund drängte, so dass fast alles Recht sich in das Gewand von Privilegien kleidete, bis die französische Revolution von 1789 dem Ausnahmerecht ein Ende machte und das Regelrecht zum Siege führte. Diese Forderung ist im Grunde bis zur Gegenwart noch nicht wirklich erfüllt. Deshalb widmeten die Herausgeber diesem interessanten Forschungsfeld ein europäisches Symposion zum Thema Das Privileg im europäischen Vergleich, das vom 12. bis 15, November 1995 im Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main abgehalten und durch ein zweites internationales Symposion vom 3. bis zum 5. März 1998 an gleicher Stelle fortgesetzt wurde.

 

Die Referate beider Tagungen wurden von den Herausgebern vor vielen Jahren veröffentlicht. Es hat sich auch rasch mit Herbert Kalb ein interessierter Rezensent gewinnen lassen. Leider konnte die Zusage trotz vieler Erinnerungen bisher nicht erfüllt werden, so dass hilfsweise der Herausgeber auf die Beiträge beider Bände hinweisen muss.

 

Der erste Band konzentriert sich aus der großen Weite und Fülle rechtlicher und sozialgeschichtlicher Fragestellungen der Privilegienforschung auf vier Punkte. Dementsprechend werden Grundlagen des Privilegs in der gemeinrechtlichen Lehre bis zur Theorie des aufgeklärten Naturrechts, die privilegierende ständische Struktur in europäischen Staaten und Gesellschaften bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert, Privilegien als Grundlage staatlicher Emanzipationsbewegungen und Privilegien als Gestaltungsinstrumente im Wirtschaftsbereich (Urheberrecht, Gewerberecht usw.) untersucht. Dafür konnten die Veranstalter zunächst Referenten aus sieben europäischen Ländern (Deutschland, Österreich, Belgien, Italien, Niederlande, Frankreich und Dänemark) gewinnen.

 

Die insgesamt 19 Referate des leider eines Registers entbehrenden Sammelbandes hatten folgende Gegenstände: Mohnhaupt, Heinz, Die Unendlichkeit des Privilegienbegriffs; Potz, Richard, Zur kanonistischen Privilegientheorie; Burgmann, Ludwig, Chrysobull gleich Privileg?; Mohnhaupt, Heinz, Erteilung und Widerruf von Privilegien nach der gemeinrechtlichen Lehre vom 16. bis 19. Jahrhundert; Cauchies, Jean-Marie, Le privilège ou la keure, Ersatz de la loi dans les Pays-Bas au bas moyen âge?; Battenberg, J. Friedrich; Die Privilegierung von Juden und der Judenschaft im Bereich des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation; Weitzel, Jürgen, Funktion und Gestalt der Gerichtsprivilegien; Benedictis, Angela de, Da consuetudo a lex: l’irrevocabilità di un privilegio cittadino. Bologna e lo Stato della Chiesa nei secoli XVI-XVIII; Blom, Hans W., The great Privilege (1477) as „Code of Dutch Freedom; The Political Role of Privileges in the Dutch Revolt and after; Friedeburg, Robert von, „… such ample and large priviledges …“ Privilegien zwischen königlichem Gnadenakt und Rechtsanspruch bei der Errichtung der englischen Kolonien in Nordamerika, 1606-1684; Blanc, François-Paul, Les privilèges de la noblesse en France a`l’époque moderne; Boulet-Sautel, Marguerite, Aperçu sur le privilège en France à la fin de l’Ancien Régime: le cas d’Uzès en Bazadais; Dölemeyer, Barbara: Die Aufnahmeprivilegien für Hugenotten im europäischen Refuge; Klippel, Diethelm, Das Privileg im deutschen Naturrecht des 18. und 19. Jahrhunderts; Koppitz, Hans-Joachim, Zur Form der Anträge auf Bewilligung kaiserlicher Druckprivilegien durch den Reichshofrat und zu den Gründen ihrer Ablehnung; Wadle, Elmar, Der langsame Abschied vom Privileg: Das Beispiel des Urheberrechts; Beneduce, Pasquale, Privilegi e diritti dell’autore nel pensiero economico-giuridico della prima metà dell’Ottocento in Italia; Walz, Robert, Privilegien zum württembergischen Gewerberecht im 18. Jahrhundert; Dübeck, Inger, Die dänischen Fabrikprivilegien.

 

Obgleich damit in erster Linie punktuell neue Ergebnisse gewonnen werden konnten, planten die Herausgeber bereits bei Drucklegung dieses Bandes, bestärkt durch die Teilnehmer des ersten Symposions, eine Fortsetzung, bei der theoretische Grundlegung des Rechtinstituts „Privilegium“, Praxis der Privilegienerteilung, richterliche Behandlung der Privilegien sowie Inhalt und Funktion der Privilegien in der Vielfalt der durch sie repräsentierten Regelungsmaterien zwischen Gesetzgebung und Einzelakt im „ius privatum“ und „ius publicum“ die Gegenstände bildeten. In diesem Zusammenhang wurden insgesamt folgende siebzehn Referate gehalten und veröffentlicht: Gouron, André, La notion de privilège dans la doctrine juridique du douzième siècle; Buschmann, Arno, Privilegien in der Verfassung des Heiligen Römischen Reiches im Hochmittelalter; Mohnhaupt, Heinz, Confirmatio Privilegiorum; Diestelkamp, Bernhard, Privilegien in Prozessen vor dem Reichskammergericht; Battenberg, Friedrich J., Die „privilegia contra Iudaeos“. Zur Privilegienpraxis der römisch-deutschen Kaiser in der frühen Neuzeit; Romano, Andrea, Consuetudini, statuti e privilegi cittadini nella realtà giuridico-istituzionale del Regno di Sicilia; Schmidt, Roderich, Päpstliche und kaiserliche Universitätsprivilegien im späten Mittelalter; Novarese, Daniela, I privilegi delle Università di fondazione regia fra medioevo et età moderna; Verger, J., Les privilèges personnels des maîtres et des étudiants dans les universitès européennes du Moyen Age et de l’Ancien Régime; Irsigler, Franz, Markt- und Messeprivilegien auf Reichsgebiet und Mittelalter; Opsommer, Rik, Gibt es Privilegien im flämischen Lehnrecht des 14. und 15. Jahrhunderts?; Schepper, Hugo de, Privileg und Gratia in den burgundisch-habsburgischen Niederlanden, 1400-1621. Eine historisch-theoretische Betrachtung; Uruszczak, Waclaw, Das Privileg im alten Königreich Polen (10. bis 18. Jahrhundert); Tamm, Ditlev, Dänischer Absolutismus und die Privilegien der Grafen und Freiherren; Klippel, Diethelm, Das Privileg in der deutschen Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts; Dölemeyer, Barbara, Erfinderprivilegien und Patentgesetzgebung am Beispiel der Habsburgermonarchie; Wadle, Elmar, Privilegienpraxis in Preußen: Privilegien zum Schutz gegen den Nachdruck 1815-1837. Zwei wichtige Themenbereiche (Privilegium und ius singulare im römischen Recht; Die landesherrlichen und kaiserlichen Städteprivilegien in Mittelalter und früher Neuzeit) konnten zum großen Bedauern der Herausgeber infolge kurzfristiger Absagen nicht abgedeckt werden.

 

Nach einer Mitteilung der Herausgeber im Vorwort des zweiten Bandes haben sie sich angesichts dieser empfindlichen Lücke trotz ermunternder Fragen aus dem Kreis der Autoren und Diskutanten nicht dazu entschließen können, ein weiteres Symposion in Angriff zu nehmen, obwohl nach ihrer Einschätzung das Thema eigentlich unendlich ist. Dennoch wird man ihnen darin beipflichten können, dass sie mit den Ergebnissen der beiden Tagungsbände und den vorliegenden begleitenden Einzeluntersuchungen der Forschung einen neuen Anstoß und notwendigen Fortgang gegeben haben. Wer immer eines Tages die von Ulrich Stutz zur Diskussion gestellte Aufgabe umfassend in Angriff nehmen wird, wird auf den bedeutsamen Beiträgen der beiden Bände, die unbestreitbar eine vertiefte Auseinandersetzung und Bewertung durch einen Sachkenner verdient hätten, auf allen berührten Einzelfeldern aufbauen können.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler