Das Leobschützer Rechtsbuch, bearb. und eingel. v. Roth, Gunhild, hg. v. Irgang, Winfried (= Quellen zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas 5). Verlag Herder-Institut, Marburg 2006. XIV, 552 S.

 

Die vorliegende Edition ist in einem wörtlichen und einem übertragenen Sinne gewichtig. Zum einen bringt der großformatige Band von rund 550 Seiten einiges Gewicht auf die Waage, zum anderen liegt mit dieser Ausgabe die erstmalige Edition eines interessanten schlesischen Rechtsdenkmals in einem Werkstück editorischer Arbeit vor, das man nur als vorbildlich bezeichnen kann.

 

Beim „Leobschützer Rechtsbuch“ handelt es sich nicht um eine mehr oder minder geschlossene „Privatarbeit“ – so die zwar problematische, aber eingebürgerte Definition eines Rechtsbuches (vgl. D. Munzel, in: HRG 4, 1989, Sp. 277ff.) –;vielmehr wird darunter eine Sammelhandschrift verstanden, die unterschiedliche Rechtstexte miteinander verbindet. Diese Bezeichnung freilich geht nicht auf die Herausgeber zurück, sondern ist so schon von der älteren Forschung geprägt worden. Die reich ausgestattete Handschrift, die erst vor wenigen Jahren in Privatbesitz wieder entdeckt wurde, enthält neben einer Reihe von Urkunden und Schöffensprüchen, zum Teil Magdeburger Herkunft, einen Text des Meißner Rechtsbuches („Rechtsbuch nach Distinktionen“), der im einleitenden Passus ausdrücklich zur subsidiären Rechtsquelle erhoben wird (S. 207: „waz man sust yn demselbin [scil. dem Leobschützer] wylkorrecht nicht finden kann, daz sal man suchen yn den nochgeschrebin meydburgischen rechten“). Dieser Nutzungshinweis verleiht dem Rechtsbuch seine besondere Bedeutung, wenn auch Zweifel gegenüber einer allzu großen rechtspraktischen Bedeutung angebracht bleiben (S. 8f.). Denn ähnliche Fälle sind selten. Größere Prominenz hat ansonsten nur eine entsprechende Lüneburger Ratssatzung des Jahres 1401 erlangt (E. Thurich, Die Geschichte des Lüneburger Stadtrechts im Mittelalter, 1960, S. 59ff.). Ferner handelt es sich beim hier erstmals gedruckten Text um ein Zeugnis einer bislang wenig beachteten schlesischen Überlieferungsgruppe des Meißner Rechtsbuches (vgl. S. 18-20, S. 68-70 und S. 89-114).

 

Der Text der gesamten Handschrift ist in einer gründlich bearbeiteten, kritischen Edition wiedergegeben; derjenige des Meißner Rechtsbuches unter Vergleichung der vorliegenden Drucke, der wichtigen Wolfenbütteler Handschrift Cod. Guelf. 47. 2. Aug 2o und einer kleinen Anzahl verwandter Rechtsbücher (Eisenacher Rechtsbuch, Goslarisches Stadtrecht und die sog. Pölmann’schen Distinktionen). Damit liegen wertvolle Vorarbeiten für die noch immer als dringendes Desiderat ausstehende Neuedition dieses wichtigen Rechtsbuches vor, die hoffentlich bald Früchte tragen werden.

 

Beigegeben sind ferner Farbreproduktionen sämtlicher Illuminationen der Handschrift, als deren Schöpfer Johannes von Zittau identifiziert wird. Bemerkenswert ist dabei die Entstehungsgeschichte dieser Edition: Denn als das Projekt begonnen wurde, galt die Handschrift selbst noch als verschollen, sodass die Arbeiten zunächst an einem Mikrofilm aufgenommen wurden. Im Zusammenhang mit diesen frühen Editionsarbeiten hat der Danziger Fotograf Krzysztof Izdebski ein Computerverfahren zur Rekolorierung der Schwarzweißaufnahmen entwickelt (S. 74-84). Damit ist diese Ausgabe nicht nur im Hinblick auf die eingehende Diskussion der Editionsgrundsätze (S. 107-114), die sich ausführlich und überlegt mit älteren Ansätzen auseinandersetzt, sondern auch mit Blick auf neue technische Verfahren der Handschriftenedition von allgemeinem Interesse, das sich nicht auf den engeren Kreis der Rechtsbücherforschung beschränken dürfte.

 

An einigen Details mag man Kritik üben: Unglücklich ist die Bezeichnung Leobschütz’ als „Oberhof“, nicht minder das neu eingeführte Behelfswort „Rechtsvorort“ (S. 1), und ganz sicher die Bezeichnung „Oberinstanz“ (S. 9). Der sächsischen Gerichtsverfassung sind all diese Bezeichnungen fremd (vgl. G. Buchda, in: ZRG GA 71, 1954, S. 489), der Instanzenzug an sich ein neuzeitliches Phänomen. Missverständlich klingt ferner das Urteil über die Edition von Ilpo Tapani Piirainen und Winfried Waßer (S. 3) an: Zwar mag der Titel („Der Sachsenspiegel aus Oppeln und Krakau“, 1996) ungenau gewählt sein, jedoch geben die Herausgeber (ebd., S. 13) ja durchaus an, dass es sich beim zweiten der abgedruckten Texte nicht um einen Landrechtstext des Sachsenspiegels, sondern einen Zeugen des Meißner Rechtsbuches handelt. Dass man sich eingehendere Untersuchung der Texte selbst gewünscht hätte, bleibt außer Frage. Schließlich bleiben zwei Ergänzungen: Der engen Verbindung von Troppau und Leobschütz wegen hätte man sich einen zumindest knappen Hinweis auf das so genannte „Troppauer Rechtsbuch“ (vgl. U.-D. Oppitz, in: Verfasserlexikon, 2. Aufl., 9, 1995, Sp. 1073f.) gewünscht; bei der Erwähnung des Halle-Neumarkter Schöffenbrief des Jahres 1235 (S. 16f.) einen Hinweis auf die überzeugende Zurückweisung einer Sachsenspiegel-Rezeption in diesem Weistum durch Stefan Dusil und Bernd Kannowski (ZRG GA 120, 2003, S. 61-90).

 

Von diesen marginalen Bemerkungen abgesehen, hat Gunhild Roth hier ein Musterstück moderner Editionsarbeit auf dem Gebiet der Rechtsbücherforschung vorgelegt, das hoffentlich Nachahmer finden wird.

 

Bochum                                                                                                         Hiram Kümper