Begert, Alexander, Böhmen, die böhmische Kur und das Reich vom Hochmittelalter bis zum Ende des Alten Reiches. Studien zur Kurwürde und zur staatsrechtlichen Stellung Böhmens (= Historische Studien 475). Matthiesen, Husum 2003. 699 S. Besprochen von Armin Wolf.

 

Diese gewichtige Mainzer Dissertation aus dem Jahre 2002 bietet gegenüber der bisherigen Forschung zwei bedeutende Vorteile: Sie nimmt sowohl die deutsche als auch die tschechische Literatur zu dem Thema abwägend zur Kenntnis, und sie behandelt den gesamten Zeitraum vom Hochmittelalter bis 1806. Ihr Ziel ist es „sowohl die Frage der Kur als auch die hiermit untrennbar verbundene Frage nach der Stellung Böhmens im (respektive zum) Reich zu beleuchten“ (S. 18).

 

Nach einem einleitenden Kapitel I beginnt die Darstellung im Kapitel II mit dem „Zeitalter des Sachsenspiegels (1198-1289/90)“. In diesem Rechtsbuch werden bekanntlich drei geistliche (Mainz, Trier, Köln) und drei weltliche Fürsten (Pfalz, Sachsen, Brandenburg) als die jeweils drei êrsten an deme core aufgeführt, nach denen dann die anderen Fürsten wählen. Dem König von Böhmen wird die Kur abgesprochen (Ldr III 57,2).

 

Diese Stelle ist für das heftig umstrittene Problem der Entstehung des Kurkollegs fundamental. Konnten die sieben Kurfürsten ihr Wahlrecht aus ihren (Erz-)Ämtern herleiten (so eine verbreitete traditionelle Lehre, zuletzt Boshof, Erkens)? Blieb das Kurrecht bei ihnen aus Desinteresse der übrigen Fürsten hängen (Lintzel)? Wurde das ausschließliche Wahlrecht der Sieben in einem nicht überlieferten Beschluss einer nicht bezeugten Fürstenversammlung 1256/57 festgelegt (Zeumer, Giese, jetzt Begert)? Oder schon 1239 (Thomas)? Entstand das Kurkolleg vielmehr ohne einen förmlichen Beschluss „allmählich“ (Erkens)? Oder floss das Königswahlrecht der weltlichen Kurfürsten – ebenso wie das der ursprünglich viel zahlreicheren Königswähler – aus einem königlichen Erbrecht, das ihnen als Repräsentanten der habsburgischen, bzw. ursprünglich der ottonisch-salischen Tochterstämme zuwuchs, und wurde die (an der Kurie schon 1263 belegte) Siebenzahl der Wähler in Deutschland erst 1275 festgelegt und das bekannte Kurkollegium erst 1298 konstituiert (Wolf)? Für diese Fragen ist die Datierung der Sachsenspiegelstelle Ldr III 57,2 wegen ihrer erheblichen Konsequenzen ein Schlüssel. Sie wird von Begert daher zu Recht gleich zu Anfang ausführlich behandelt. Begert hält an der Echtheit dieser Stelle fest (Eike 1220/35) und lehnt die von Castorph und mir vertretene Interpolation im Umkreis der Wahl Rudolfs von Habsburg (1273) vehement und nahezu kompromisslos ab. Es belebt die Diskussion, dass Begert die Echtheit der Stelle nicht einfach als gegeben ansieht, sondern zu begründen versucht.

 

1. Marbacher Annalen. Einen „Beweis für die frühe Existenz des Sachsenspiegelparagraphen Ldr III 57 § 2“, möchte Begert in den Marbacher Annalen zur Wahl von 1237 sehen. Danach wurde Konrad IV. von Mainz, Trier, Böhmen und Pfalz gewählt. Dabei bemerkt Begert selbst, dass einer der Wähler in den Marbacher Annalen „der von Eike ausdrücklich ausgeschlossene Böhme war“ (S. 29 mit Anm. 25). Die Annalen folgen also gerade nicht dem Sachsenspiegel, sondern nennen vielmehr die zwei ersten geistlichen und die zwei ersten weltlichen Wähler von 1237. Begert erwähnt nämlich nicht, dass Konrad IV. laut Urkunde von den (Erz-)Bischöfen von Mainz, Trier, Salzburg, Bamberg, Regensburg, Freising, Passau, sowie von Pfalz/Baiern, Böhmen, Thüringen und Kärnten gewählt wurde. Diese urkundliche Liste von der tatsächlichen Wahl entspricht nun überhaupt nicht Ssp Ldr III 57,2!

 

2. Die „kurze Wählerliste“ von Matthew Paris. Als „bedeutendste Quelle“ für die angeblich frühe Entstehung der Sachsenspiegel-Stelle bezeichnet Begert eine Glosse von Matthew Paris (1245/53). Darin werden als Electores imperatorum von den Laien die Herzöge von Österreich, Baiern, Sachsen und Brabant/Löwen, sowie von den Prälaten die Erzbischöfe von Köln, Mainz und Salzburg genannt. Meine wohl unbestreitbare Beobachtung, dass diese Liste „erheblich von den späteren sieben Kurfürsten ab(weicht)“ bezeichnet Begert als „absolut unzutreffend“ (S. 30). Die Nennung von Salzburg statt Trier sei „tagespolitisch“, Österreich bedeute Böhmen (das aber doch im Sachsenspiegel keine Kur hat und nach Begert erst 1257 bekommen habe) und Brabant/Löwen ersetze Brandenburg. Mit solchen Umdeutungen macht Begert „die Liste also im Kern mit der des – im Hinblick auf den Böhmen nivellierten – Sachsenspiegels identisch“ (S. 31)! Diese Identität ist wohl eher „absolut unzutreffend“!

 

3. Der angebliche Beschluss von 1256/57 und die „lange Wählerliste“ von Matthew Paris. Nach Begert wurde „im Vorfeld der Wahl von 1257 das Wahlrecht allein auf die ‚Kurfürsten‘ reduziert“ (S. 81) und der Böhme „erst 1257 ... in den Kreis der Kurfürsten aufgenommen“ (S. 78). Begert führt jedoch nicht aus, wann, wo, von wem und aus welchem politischen oder rechtlichen Grunde das Siebener-Gremium in dieser Zusammensetzung konstituiert worden sein soll. Es gibt für einen solchen Beschluss auch kein Quellenzeugnis. Vielmehr zählt noch nach der Doppelwahl von 1257 Matthew Paris (1257/59) neben den drei rheinischen Erzbischöfen nicht weniger als 14 (!) weltliche Wahlberechtigte. Diese „lange Liste“ des gleichen Autors, auf dessen „kurze Wählerliste“ Begert so großen Wert legt, spricht gegen eine endgültige Reduzierung auf sieben Wahlberechtigte schon 1256/57. Die Bedeutung dieser „langen Liste“ wird von Begert heruntergespielt (S. 31 Anm. 38; S. 34 Anm. 52). Sie spricht gegen eine Autorschaft Eikes an Ldr III 57,2.

 

4. Desinteresse oder Interesse. Ich stimme Begert jedoch in der Ablehnung der These Lintzels zu, das Kurfürstenkolleg sei dadurch entstanden, dass die übrigen Fürsten „aus Desinteresse ihr Königswahlrecht verfallen ließen“ (S. 35 Anm. 56, S. 82, S. 109 Anm. 59). Überzeugend ist Begert in seinem Nachweis, dass die Böhmenkönige (und auch die Herzöge von Baiern) durchaus ein Interesse hatten, dem Wählergremium anzugehören (dies gilt im 14. Jahrhundert auch für die Herzöge von Sachsen-Lauenburg). Eine eigene Erklärung, warum bestimmte Fürsten zur Königswahl berechtigt waren, andere aber nicht, bietet Begert nicht.

 

5. Stader Annalen. Die Königswähler-Stelle in den in einer einzigen Handschrift aus dem 14. Jahrhundert erhaltenen Stader Annalen zu 1240 ist so eindeutig vom Sachsenspiegel abhängig, dass es ein Zirkelschluss wäre, sie für eine Datierung von Ldr III 57,2 vor 1240 oder vor dem Tode Alberts von Stade (1256/61) heranzuziehen. Falls die Stelle im Sachsenspiegel jünger ist, muss sie es auch in den Stader Annalen sein. Begert möchte die „Authentizität“ dieser Stelle und folglich Ssp Ldr III 57,2 als Bestandteil von Eikes Urtext (S. 29-30) damit begründen, dass Bartholomäus von Lucca (um 1300) „anders als Albert von Stade eine rein staatsrechtliche Begründung für das Wahlrecht (Ost-)Galliens und damit des Trierer Erzbischofs“ bringt (S. 47). Dieses Argument überzeugt nicht.

 

6. Glosse des Hostiensis zur Bulle ‚Venerabilem‘. Hostiensis (1262/71) liefert „die erste vollständige Liste der Kurfürsten, die auch den König von Böhmen als solchen akzeptiert“ (S. 65). Begert sieht darin „eine Weiterentwicklung gegenüber dem rigorosen Ausschluss des Sachsenspiegels“ (S. 32). Da die Liste des Bischofs von Ostia lediglich die Wähler der beiden damals vor der Kurie um ihre Anerkennung prozessierenden Könige Richard von Cornwall und Alfons von Kastilien nennt, ist kein Grund erkennbar, warum sie eine „Weiterentwicklung“ von Ldr III 57,2 sein soll. Die Liste kann wegen ihres Einschlusses des Böhmen eher darauf deuten, dass es die umstrittene Sachsenspiegel-Stelle mit dem Ausschluss des Böhmen noch gar nicht gegeben hat. Nach Begert sei „der“ Königswahlparagraph des Sachsenspiegels jedoch bereits bei der Doppelwahl 1257 nicht nur vorhanden, sondern sogar schon wieder „veraltet“ gewesen (S. 33). Da es vorher keine einzige Königswahl durch die darin genannten zweimal drei „Ersten an der Kur“ gab, spricht im Gegensatz zu Begert (S. 37) doch viel dafür, dass die Stelle zur Zeit Eikes anachronistisch war und erst um 1273 entstand, als die in Ldr III 57,2 Genannten tatsächlich die vornehmsten („ersten“) Wähler waren.

7. Deutschenspiegel. Dafür, dass Ssp LdR III 57,2 damals keineswegs „veraltet“ war, sondern geltendes Recht wiedergibt, spricht außerdem, dass der Deutschenspiegel (1274/75) die Stelle unverändert übersetzt. An anderer Stelle (bei der Zeugenschaft von sechs ersten in des reiches chure gegenüber dem Papst) weicht der Deutschenspiegel nämlich vom Text Eikes ab (Ssp Lehnr 4,2).

 

8. Sieben Statuen am alten Aachener Rathaus. Die Statuen des Königs mit zweimal drei (= sechs) „Ersten an der Kur“ am alten Aachener Rathaus will Begert vor 1273 datieren. Weil die einzige „Vorlage“ dafür „der Sachsenspiegelparagraph“ sei, sei auch die Aachener Figurengruppe ein „(indirekter) Beweis für die Datierung des Königswählerparagraphen auf die Zeit vor 1273“ (S. 27 Anm. 19). Das ist jedoch ein Zirkelschluss, weil das zu Beweisende – nämlich das Alter des (zweiten!) Königswahlparagraphen – bereits vorausgesetzt wird. Es müssen übrigens weder die Aachener Statuen von der Sachsenspiegelstelle abhängen noch umgekehrt; beide können eine Reflexion der Wahl von 1273 sein. Leider folgt Begert der Terminologie von Erkens, der nur vom Königswahlparagraphen spricht und nicht zwischen den zwei Königswahlparagraphen im Sachsenspiegel (dem echten III 52 und dem strittigen 57) unterscheidet. Begert konnte auch nur noch das Buch von Erkens über Kurfürsten und Königswahl (2002) und nicht mehr meine Kritik daran berücksichtigen (ZRG GA 120, 2003, 535-548).

 

9. Theorie und Praxis. Weil Begert auch den zweiten Königswahlparagraphen für authentisch aus der Zeit 1220/35 hält, muss er zugeben: „Der Autor des Sachsenspiegels gab mit dem Wahlgremium der sechs nur wieder, was formal Reichsrecht war, wenngleich die gemeinsame Teilnahme aller dieser sechs Fürsten an einer Wahl noch nicht in der Praxis realisiert worden war“ (S. 78). Das Gleiche gilt für die Liste der sechs Fürsten im Ssp Lehnr 4. Diese fehlt sowohl im lateinischen Ur-Sachsenspiegel, dem Auctor vetus, als auch in dessen mitteldeutscher Übersetzung, dem Görlitzer Rechtsbuch (um 1300). Da Begert im Streit, ob die Liste im deutschen Sachsenspiegel schon von Eike eingefügt wurde (und nicht erst um 1273), den ersten Standpunkt vertritt, muss er einräumen, dass dann „die Praxis den theoretischen Vorgaben nicht entsprach“ (S. 29). Es ist für eine Theorie immer schlecht, wenn die böse Praxis ihr nicht entspricht.

10. (Erz-)Ämtertheorie. Begert kann die Urheberschaft Eikes am zweiten Königswahlparagraphen auch nicht mit den dort genannten Ämtern an der königlichen Tafel (Schenke, Truchsess, Mundschenk, Kämmerer) begründen. Solche fürstlichen Ehrenämter sind zwar bereits seit 936 sporadisch belegt, aber stets in wechselnder Besetzung. Der Böhme ist 1114 als summus pincerna und auf Münzen 1109/1140 als Schenke bezeugt. 1198 verrichtete er allerdings nicht den Mundschenk-, sondern den Schwertträgerdienst. Begerts Vermutung, dass eine endgültige Ämterzuweisung an die nachmaligen vier weltlichen Kurfürsten schon 1208-11 oder 1218-38 „zwangsläufig“ erfolgt sein „muss“, wird durch kein Zeugnis belegt. Er sieht in der Tatsache, dass der Kölner Erzbischof in der „langen Liste“ von Matthew Paris (1257) den Titel eines sacri imperii prothocancellarius trug, ein „Indiz“ dafür, dass auch die anderen „Erzämter ... bereits im Interregnum eine Rolle zur Rechtfertigung des Wahlrechts spielten“ (S. 34). Dies erscheint als kühner Schluss. Wie Begert jedoch richtig ausführt, legt die Sächsische Weltchronik es nahe, „die Ämter seien von den weltlichen Kurfürsten mit Ausnahme des abwesenden Böhmen als Schenken bereits beim Krönungsmahl 1273 ausgeübt worden“ (S. 36). Dieses tatsächlich früheste Indiz harmoniert mit einer Datierung der (gerade wegen des fehlenden Böhmen) entsprechenden Sachsenspiegelstelle um 1273. Begert weist auch mit Recht auf die Aufnahme der Ämter in den Titeln der Königswähler „vor 1292“ hin (S. 35 Anm. 54), verschleiert aber, dass dies erst nach 1273 geschah (Brandenburg 1277, Sachsen 1281, Böhmen 1289, Pfalz 1342). Es bleibt dabei, dass die gleichzeitige Ausübung der weltlichen (Erz)Ämter durch alle diese vier Fürsten in persona erst 1298 bezeugt ist (MG H SS 17, 267). Die zeremoniellen Aufgaben der vier Ämter (Schüssel, Schwert, Wasser, Becher tragen) fehlen auch noch in den ältesten Handschriften des Schwabenspiegels 1287 und 1295 (La 1287, Kt 1295); sie finden sich erst in zwei anderen Handschriften kurz vor 1300 (Zü, Us).

12. „Kurfürstenspruch“. Die „Zuweisung der Erzämter an die vier nachmaligen weltlichen Kurfürsten“ im Kurfürstenspruch „beweist“ für Begert „die Authentizität des Sachsenspiegelparagraphen“. Einen solchen Beweis könnte der „in der Datierung ebenfalls umstrittene Kurfürstenspruch“ (1237, 1239, 1252, 1256/57, 1273, 1298, Zeit Karls IV.) aber doch nur liefern, wenn er seinerseits zwingend vor 1273 zu datieren wäre. Eine solche Frühdatierung wäre gegeben, wenn der Spruch, wovon Begert nach Roethe ausgeht, von Reinmar von Zweter stammte (S. 37). Die Zuschreibung an Reinmar, von dem kein Spruch später als 1248 zu datieren ist, ist jedoch höchst unsicher. Sie kann ohne Widerlegung meiner (bei den bisherigen Datierungen, auch von Begert, nicht berücksichtigten) Analyse der einzigen Handschrift aus dem 14. Jahrhundert nicht aufrechterhalten werden. Der „Kurfürstenspruch“ findet sich nämlich nicht in dem Handschrift-Teil D, in der sich die meisten Sprüche Reinmars befinden, sondern in dem Teil H, der mit Teil D erst 1558 zusammengebunden wurde. In H finden sich jedoch unter 119 Strophen – außer dem Kurfürstenspruch – lediglich vier, die Reinmar zugeschrieben werden. Dem Kurfürstenspruch voraus gehen vielmehr neun Sprüche von Frauenlob († 1318) und Pseudo-Frauenlob (ausführlich in: Festschrift für Hermann Jakobs, 1995, S. 417-421). Die von mir favorisierte Datierung des Kurfürstenspruchs auf 1298 (Buchner, Gent, Ulrich Müller) hat daher an Sicherheit gewonnen. Eine Frühdatierung ist keinesfalls zwingend und sogar unwahrscheinlich.

 

Begerts Argumente für die Autorschaft Eikes an Ldr III 57,2 können daher nicht überzeugen. Wie steht es mit Begerts Argumenten gegen die Interpolation dieser Stelle um 1273?

 

11. Handschriftenbefund. Begert wendet ein, dass dann „sämtliche früheren Handschriften wie auch die zeitgleichen“ keine Nachfolger mehr gefunden hätten. Dieser „Gesichtspunkt der Textüberlieferung“ (S. 28) muss jedoch von der Tatsache ausgehen, dass es gar keine früheren oder zeitgleichen Handschriften gibt (die Stelle ist erst in zwei Handschriften vom Ende des 13. Jahrhunderts überliefert; die große Zahl von Sachsenspiegel-Handschriften stammt aus dem 14. und 15. Jahrhundert). Auch die von Erkens behauptete „breite Rezeption“ des Sachsenspiegels schon seit 1250 ist höchst zweifelhaft, da überhaupt nur zwei Belege (1261 und 1270) für eine Verwendung des Rechtsbuches vor 1273 existieren; ein früher angenommener dritter (1235) wurde von Kannowski und Dusil widerlegt (ZRG GA 120, 2003, 88). Es muss daher ernsthaft geprüft werden, ob eine breitere Rezeption des Sachsenspiegels überhaupt erst mit dem Ende des Interregnums um 1273 begonnen hat. Die Übersetzung ins Oberdeutsche und der Deutschenspiegel (1274/75) wären Indizien dafür. Warum die „Weiterentwicklung“ bis zum Schwabenspiegel „nicht innerhalb der Jahre 1273-75 geschehen sein konnte“ (S. 34 Anm. 49), ist nicht einzusehen.

 

12. Urkunde vom Augsburger Hoftag 1275. Begert wirft mir vor, ich hätte die Fürsten, welche die Augsburger Urkunde von 1275 bezeugten, „einfach der Lüge bezichtigt“ (S. 26). Ich bestreite aber überhaupt nicht, dass Heinrich von Baiern an der Wahl 1273 teilgenommen hat, sage nur, dass die Stimme ratione ducatus (Baierns) nicht 1273, sondern laut Urkunde erst nachträglich 1275 als siebente gezählt wurde und dass es in Deutschland keinen früheren Beleg für die „Sieben“ als Zahl der Wahlstimmen gibt. Der Baier war 1273 nicht einer der zweimal drei (= sechs) „Ersten an der Kur“, d. h. der Ranghöchsten, die ihre Stimme vor den übrigen Fürsten (darunter dem Baiern als einem jüngerer Bruder des Pfalzgrafen) abgaben, genau wie es Ssp Ldr III 57,2 sagt. Die nachträgliche Interpretation (1275) historischer Fakten (1273) ist eine normale Erscheinung in der Geschichte. Wenn dies eine „Lüge“ wäre, hätte Begert selbst die Fürsten „einfach der Lüge bezichtigt“. Denn dieselbe Urkunde bestätigt, dass Heinrich von Baiern cum ceteris principibus coelectoribus schon 1257 seine Stimme für Richard abgegeben hatte. Nach Begert hätten damals aber „nur noch die sieben nachmaligen Kurfürsten“ gewählt (S. 32), nicht also der Baier. Es ist kein „Lavieren“ (S. 26 Anm. 15), sondern genaue Beobachtung, dass die Sieben der Urkunde von 1275 und im Schwabenspiegel von 1275/76 noch nicht das spätere Kurfürstenkolleg bildeten, sondern den Baiern anstelle des Böhmen umfassten. Immerhin ist Begert bereit, mir „in dieser Hinsicht zuzustimmen, dass das Kurkolleg bis dahin [1273] als solches noch nicht formal konstituiert war, dass es noch nicht durch (Gewohnheits-)Recht und Gesetz endgültig festgeschrieben war“ (S. 27).

13. Königswählerdynastien. Es ist Begert auch zuzustimmen, dass „der Böhme als Wahlfürst sowohl von der Kurie und den Fürsten (eindeutig von so herausragenden Geschlechtern wie den Babenbergern, Wittelsbachern und Ludowingern, mit denen er gemeinsam Friedrich II. wählte) als auch von den verschiedenen Königen, seien es Welfen oder Staufer, allgemein anerkannt war“ (S. 45). Zur Zeit Eikes lebten noch alle diese sechs Königswähler-Dynastien. In Ssp Ldr III 57,2 werden aber nur zwei der sechs (Wittelsbacher und Přemysliden) berücksichtigt, wobei dem Böhmen die Kur sogar abgesprochen wird. 1273 waren Babenberger, Ludowinger und Staufer schon ausgestorben und brauchten daher bei der Interpolation nicht mehr berücksichtigt zu werden.

 

14. Reformatio sacri status imperii. Begert kann kein gemeinsames ausschließliches Handeln der bekannten sieben Kurfürsten (mit Böhmen, ohne Baiern) früher als in der Frankfurter Wahlurkunde für Albrecht von Österreich 1298 mit den sieben Siegeln nachweisen. Begert widerspricht der Deutung der in dieser Urkunde genannten reformatio sacri status imperii als „Verfassungreform“ mit dem Hinweis, dass schon Barbarossa am 19. Februar 1152 ein colloquium de reformando et componendo regni statu abhielt (Reg.Imp. 4,1 nr. 61). Dieser interessante Beleg würde jedoch gut zu der Beobachtung passen, dass gerade im Umkreis der Wahl Barbarossas 1152 ein Abschluss der Königswählerdynastien stattfand (vgl. S. 43, wo Begert vom Wandel „von einer Stammes- zu einer Fürstenwahl“ spricht).

 

15. „Ethnische“ und „politische“ Nationalität. In einem anderen Abschnitt behandelt Begert die böhmische Nationalität, wobei er eine „ethnische“ und eine „politische“ Nationalität unterscheidet. Hier betritt Begert Neuland. Ssp Ldr III 57,2 begründet den Ausschluss des Böhmen von der Kur mit dem Umstand, dass dieser nicht deutsch sei (umme dat he nicht dudisch n‘is). Die bisherige Forschung verstand dies als Hinweis auf das Slawentum des Přemysliden. Im Gegensatz dazu sei es nach Begert für den Sachsenspiegel „letztlich irrelevant“ gewesen, ob der Böhmenkönig „Slawe, Romane oder Germane“ war. Nach Begert wollte der Autor des Sachsenspiegels „vielmehr staatsrechtlich argumentieren“ (S. 45, auch 81). In der Erhebung Herzog Ottokars I. zum König und die Böhmens zum Königreich 1198 sieht Begert „die Ursache für Eikes staatsrechtlichen Ausschluss Böhmens von der Königswahl“ (S. 51). Böhmen war seitdem „lehnsrechtlich definitiv nicht mehr Bestandteil des regnum Alemanniae, sondern nur mehr des imperium Romanum“. Weil der Böhmenkönig „damit nicht mehr zu den principes regni Alemanniae gehörte und somit eben nicht mehr deutsch war,“ war er „kein Königswähler“. (S. 60-61). Eike habe den „völligen Ausschluss des Böhmen von der Wahl mit der Begründung, er gehöre nicht mehr zum deutschen Reichsverband,“ im Sachsenspiegel aufgenommen (S. 78). Diese moderne Begründung ist diskutabel, aber in dem Rechtsbuch steht von einer solchen Begründung nichts. Sie könnte im Übrigen auch für 1273 gelten. Die Differenzierung zwischen regnum und imperium spielte nach Begert „seit dem 14. Jahrhundert zunehmend keine Rolle mehr“ (S. 585).

 

16. Königswahl und Kaiserwahl. Wenn der Böhmenkönig an den Königswahlen 1211, 1237 und 1257 teilnahm (eine Teilnahme 1198 und 1252 bestreitet Begert), so beruhte dies nach Begert darauf, dass bei diesen Wahlen „nicht nur der deutsche König erhoben wurde, sondern zugleich und vordringlich der (künftige) Kaiser (rex Romanorum in imperatorem promovendus). An einer Kaiserwahl konnte und wollte der Böhmenkönig teilnehmen, „ohne sein eigenes Königtum herabzusetzen“ (S. 67). Warum dann aber Eike gerade nach dem Satzanfang In des keyseres core den Böhmenkönig von der Kur ausgeschlossen haben sollte, bleibt unverständlich.

17. Slawentum des Böhmen. Wenn Ldr III 57,2 jedoch nicht von Eike stammte, sondern erst um 1273 entstand, wäre der Ausschluss leicht erklärlich; denn damals konnte man gut einen Vorwand („kein Deutscher“) gebrauchen, um Ottokar II. von Böhmen, der gegen die Wahl Rudolfs von Habsburg protestierte, die Kur abzusprechen. Auch nach Begert war damals das „Slawentum Bestandteil der Agitation gegen“ Ottokar (S. 76). Der Papst wehrte unwillig ab: „warum sollen wir einen Slaven zum Kaisertum erheben?“ (MGH SS 25, 707). Im Schwabenspiegel Ldr 130 folgt nach der Aufzählung der Fürsten von Pfalz, Sachsen, Brandenburg und Baiern (nicht: Böhmen) als Wahlberechtigten die Wendung: „vnd die svllen teutsche leut sein von vater und von muter die vier“. Auch nach Begert habe der Schwabenspiegel den Ausschluss des Böhmen „nur mehr rein ethnisch“ aufgefasst (S. 76). Die Ethnik habe aber 1291 erneut keine Rolle mehr gespielt. Bei der Wiederanerkennung des böhmischen Kurrechts und Schenkenamts 1290 für Wenzel II. und seine Erben (!) wurde eigens betont, dass beides bereits die Ururur-, Urur-, Ur- und Großväter Wenzels besessen hatten. Ausdrücklich wird also nur Wenzels Vater Ottokar, Rudolfs Gegner von 1273, ausgelassen, was wiederum gegen eine Autorschaft Eikes an der Leugnung der böhmischen Kur in Ssp Ldr III 57,2 spricht und eher für die Interpolation dieser Stelle um 1273.

 

Die weiteren Teile des Buches erscheinen mir wohlgelungen. Kapitel III (1289-1306) behandelt die Politik Wenzels II., die darauf zielte, „die herausragende Stellung Böhmens als einziges Königreich unter den Reichsfürstentümern sowie den Rang des böhmischen Königs unter den Reichs- und Kurfürsten zu demonstrieren und gleichzeitig den faktischen Austritt aus dem Reich unter Beibehaltung des Einflusses auf die Reichspolitik zu erreichen“ (S. 125). Wenzel II. leugnete zwar nicht die rechtliche Zugehörigkeit zum imperialen Lehnsverband, versuchte aber von der Hof- und Heerfahrt, von der Belehnung, Huldigung, Ausübung des Schenkenamts und der Anwesenheit bei der Wahl in persona befreit zu werden und sich vertreten lassen zu können, möglichst auch ohne hinreichenden Grund. Er konnte diese Wünsche jedoch nur zu einem kleinen Teil durchsetzen. Seine einzige Vergünstigung bestand in dem Privileg, den Schenkendienst nicht unter der Krone verrichten zu müssen.

 

Kapitel IV behandelt „das Zeitalter der Goldenen Bulle (1306-1419)“. Nach dem Aussterben des přemyslidischen Mannesstammes verzichtete zwar der böhmische König Heinrich (von Kärnten) 1308 auf die Teilnahme an der Wahl des römischen Königs, doch gab der von den böhmischen Ständen bereits Abgesetzte bei der Doppelwahl 1314 Friedrich von Österreich seine Stimme. Die Könige und Kurfürsten aus dem Hause Luxemburg wählten Ludwig den Baiern 1314, Karl IV. 1346, Wenzel 1376, Jobst 1410 und Sigismund 1411. Karl IV. stellte den böhmischen König als natürliches und unzweifelhaftes Mitglied des Kurkollegs dar, hielt es aber für nötig, sich die böhmische Kurwürde (die vom Sachsenspiegel verneint wurde) von den anderen Kurfürsten und von den baierischen Wittelsbachern (die in älteren Handschriften des Schwabenspiegels die Stelle des Böhmen als Königswähler einnahmen) bestätigen zu lassen. In der Goldenen Bulle wurde die böhmische Kur reichsgesetzlich abgesichert. Im Gegensatz zu den Přemysliden forcierte Karl IV. die Integration Böhmens im Reich und in die Reichspolitik. Dabei rückte das regnum Bohemiae als Romani regni membrum fore nobilius (S. 161) faktisch und zeremoniell an die Spitze des Reiches. Im Kurkolleg stieg es vom siebenten Platz auf den ersten Platz unter den vier weltlichen Fürsten auf. Das Königreich Böhmen blieb in der ganzen Zeit unbestritten ein Reichslehen. Doch gab es wegen der Identität der römischen und böhmischen Könige bis zu Albrecht II. keine förmlichen Belehnungen.

 

Einer der wertvollen Exkurse behandelt die Symbolik bei der öffentlichen Belehnung mit der Kurwürde. So erhielten dabei der Pfalzgraf den Reichsapfel, der Sachse das Reichsschwert und der Brandenburger das Szepter, worauf sie sich jeweils an ihren Platz neben dem Kaiser oder König setzten. Begert erkennt darin mit Recht einen „Ausdruck der Partizipation der ‚Säulen des Reiches‘ an der Reichsgewalt, ja an der kaiserlichen Majestät“ (S. 277). Dies wurde gemäß der Goldenen Bulle auch bei den Prozessionen demonstriert. Dass der Böhmenkönig dort kein Trägeramt erhielt, deutet Begert mit dessen „hervorgehobener Stellung ... vor den anderen drei weltlichen Kurfürsten“ (S. 283). Denkbar ist freilich, dass Karl IV. 1356 davon ausging, dass der Böhmenkönig auch künftig mit dem römisch-deutschen König bzw. Kaiser identisch sein und dann ohnehin die Krone tragen würde.

 

Kapitel V untersucht den Zeitraum „von der hussitischen Ära bis zur Schlacht von Mohács (1419-1526)“. Obwohl es bei der Ausübung der böhmischen Kur zu „Unregelmäßigkeiten“ kam, blieb diese doch prinzipiell unangefochten. Nach dem Aussterben der Luxemburger im Mannesstamm blieb Albrecht II. von Österreich 1438 dem Wahlort fern und vermied dadurch eine – von der Goldenen Bulle allerdings gedeckte – Selbstwahl. In der Vakanz nach Albrechts söhnelosen Tod 1440 erzwang der Gesandte der böhmischen Stände die Teilnahme an der Wahl Friedrichs III. (S. 180). Zur Wahl Maximilians 1486 wurde Vladislav von Böhmen unter Verletzung der Goldenen Bulle nicht eingeladen. Ein möglicher Grund dafür war nach Begert, dass man in Vladislav einen Gegner der Wahl Maximilians gesehen haben könnte. Der Böhmenkönig protestierte jedoch gegen die Nichteinladung mit einer faktischen „Kriegsdrohung“ (S. 188-189). Die übrigen sechs Kurfürsten entschuldigten sich 1489 und versicherten, ihn weiterhin für einen Kurfürsten und Erzschenken des Heiligen Römischen Reichs zu halten. Indirekt gaben sie aber zu verstehen, dass Vladislav an seiner Nicht-Einladung selbst schuld sei, weil er sich aus den sonstigen Reichsgeschäften heraushalte (S. 192).

 

Während Georg von Poděbrad sich mit Böhmen noch 1459 belehnen ließ und Hoftage des Kaiser besuchte, sieht Begert im Regierungsantritt des Jagiellonen Vladislav 1471 „einen Wendepunkt in der Geschichte des Verhältnisses Böhmens zum Reich“. Zwar holte eine böhmische Gesandtschaft 1474 auf dem Hoftag die Bestätigung von Vladislavs Königtum ein, aber bei der Investitur 1477 im Wiener Stephansdom wurde nach harten Verhandlungen ein Kompromiss geschlossen, der künftigen böhmischen Königen die Behauptung erlaubte, nur noch das churfurstenthumb und die chure des ertzschenckenampt des heilign Reichs vom Reich zu Lehen zu tragen, nicht aber das Königreich (S. 226). Seitdem nahm Böhmen nicht mehr an Reichsversammlungen teil, erkannte Reichsgesetze nicht mehr an, beteiligte sich nicht am Reichslandfrieden und zahlte auch keine Reichssteuern. Andererseits wahrte das Reich seine Rechtsposition, indem weiterhin Ladungen zu Reichsversammlungen ergingen und Böhmen in der Reichsmatrikel veranschlagt wurde.

 

Dennoch gab es ein Interesse Vladislavs am Reich: Ein 1509 (oder 1515) in der Wenzelskapelle des Prager Veitsdoms gemaltes Wandbild mit dem Kaiser, dem Hl. Wenzel, den sechs (!) Kurfürsten und einem leeren Thron, der wie auf dem Thronsiegel Kaiser Karls IV. von den Wappen des Reichs und Böhmens flankiert ist, offenbart das „Bestreben des Jagiellonen, dass ein böhmischer König in naher Zukunft die römische Krone erlangen sollte“, wobei er wohl an seinen Sohn Ludwig dachte (S. 252-253).

Zur Wahl 1519 wurde König Ludwig trotz seiner Minderjährigkeit und nicht sein Vormund und nächster Verwandter Sigismund von Polen eingeladen. Dieser schickte dennoch Gesandte, die sich aber nicht gegen die Gesandten der böhmischen Stände durchsetzen konnte, die beanspruchten, auch Ludwig zu vertreten. Das Angebot der Kurfürsten, sich an der Erstellung der Wahlkapitulation zu beteiligen, lehnten die Stände jedoch ab. Die Kurfürsten, die Sigismund das Wahlrecht verweigerten, argumentierten nach Begert „staatsrechtlich und nicht ethnisch“ (S. 185). In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass nach der Auffassung, die sich später in den Wahlakten von 1740/42 niederschlug, der nicht eingeladene Sigismund von Polen „vor einen ausländer gehalten werden wolte, und solcher gestalt noch vieller zweifel übrig war, ob der letztere zur kay. Wahl zugelaßen werden könte“ (Wien, HHStA, RK Wahl- und Krönungsakten 34 b fol. 70v).

 

Unter habsburgischer Herrschaft änderte sich in der Zeit von 1526 bis 1612 das Verhältnis Böhmens zum Reich nicht (Kapitel VI). Die Kaiser und Könige erklärten (mit Ausnahmen), dass Böhmen kein Reichslehen sei, und weigerten sich, Reichssteuern zu zahlen, während die Kurfürsten betonten, Böhmen habe keinen Sitz auf dem Reichstag, weil es nichts zu den Reichsleistungen beitrage. Andererseits ließen die Kurfürsten an ihren Beratungen auf den Wahltagen die böhmischen Könige nicht teilnehmen, obwohl diese versuchten, ihre Zulassung zu erreichen. Ferdinand I. 1531, Maximilian II 1562 und Rudolf II. 1575 nahmen erst im abschließenden Konklave teil, wo sie sich an den auf sie fallenden Wahlakten aber der Stimme enthielten (S. 333, 345, 350).

 

Eine neue Periode (1611-1708) begann mit Mathias, bei dem erstmals seit 80 Jahren die böhmische Krone von der römischen getrennt war. Mathias, der seiner Wahl nicht sicher war, forderte seine Aufnahme in den Kurverein, d. h. die Zulassung des böhmischen Königs zu allen kurfürstlichen Beratungen (auf Reichs-, Kollegial- oder Wahltagen). Da die Kurfürsten dies ablehnten, protestierte Mathias 1612 gegen den Ausschluss und verwahrte sich zum Schutz der böhmischen Rechte dagegen. Dies Verfahren wiederholte sich bei den späteren böhmischen Königen. Mathias erklärte Böhmen auch zum Reichslehen und belehnte noch 1619 Ferdinand II. als „jüngeren“ böhmischen König damit. Ferdinand III. erreichte bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden, bei der Errichtung der achten Kur für die Pfalz als Kurfürst mitzuwirken. Es gelang ihm aber nicht, zum Ausgleich eine österreichische Kur oder ein doppeltes Stimmrecht für Böhmen durchzusetzen.

 

Mathias 1612, Ferdinand II (unter Protest der böhmischen Stände gegen ihre Nichtzulassung) 1619, Ferdinand III. 1636, Ferdinand IV. 1653, Leopold I. 1658 und (als Kaiser bei der Wahl seines Sohnes Josephs I.) 1690 wurden zwar nicht zu den kurfürstlichen Beratungen geladen, nahmen aber als böhmische Kurfürsten am Wahlkonklave teil, wo sie sich der Stimme enthielten (S. 364, 371f., 376, 401, 422). Begert kritisiert zu Recht die ältere Auffassung, dass die böhmische Kur vor 1708 „seit zwei Jahrhunderten nicht mehr ausgeübt worden“ sei. Dieses Zitat ist aber nicht Otto Brunner (so S. 14) in die Schuhe zu schieben, sondern Heinrich Brunner. Beide Autoren unterscheiden sich in ihrem forschungsgeschichtlichen Standort erheblich.

 

Die Errichtung der neunten Kur für das protestantische Hannover (offiziell: Braunschweig) 1692/1708 gab dem Haus Habsburg den Ansatz, die Readmission des katholischen Böhmen nach fast 100jährigem Bemühen 1708 durchzusetzen. Begert behandelt ausführlich die ihr vorausgehenden verwickelten Verhandlungen (S. 442-476). Der König hatte von nun an Sitz und Stimme in Reichstag und verpflichtete sich zur Zahlung von Reichssteuern (was aber oft nicht eingehalten wurde). Böhmen blieb weder der Reichsgerichtsbarkeit noch den Reichsgesetzen unterworfen.

 

Seit 1708 war die böhmische Kur voll anerkannt und sämtliche kurfürstlichen Rechte einschließlich der Teilnahme an den Beratungen zur Wahlkapitulation blieben unbestritten. Die Könige von Böhmen enthielten sich nicht mehr der Stimme, auch wenn sie selbst Kandidaten waren wie Karl VI. 1711, Leopold II. 1790 und Franz II. 1792. Die Frage, ob für die Wahl 1742 Maria Theresia oder in ihrer Vertretung ihr Gemahl oder die böhmischen Stände die Kur ausüben sollten, wurde durch eine Suspension der böhmischen Kur entschieden (S. 482). Bei der Wahl von Franz II. 1745 und von Joseph II. 1764 gab Maria Theresia als „Königin von Böhmen und Kurfürst (nicht: Kurfürstin!) des Reiches“ durch einen Wahlbotschafter ihre Stimme ab (S. 483f.). Zur Begründung des Wahlrechts Maria Theresias als einer Frau wurde auch der über ein halbes Jahrtausend zurückliegende Präzedenzfall herangezogen, bei dem Maria von Brabant 1198 für ihren Mann, der auf dem Kreuzzug war, die Stimme abgab. Seit 1726 stellte Böhmen einen Assessor am Reichskammergericht. Böhmische Gesandte wirkten am Reichsdeputationshauptschluss, dem letzten Grundgesetz des Heiligen Römischen Reiches, mit. Investituren mit den böhmischen Reichslehen fanden nicht mehr statt. Die Reichsstände sahen Böhmen zwar weiterhin als Reichslehen an, die Habsburger betrachteten es jedoch als souverän. Hier wäre zu ergänzen, dass auch Friedrich II. von Preußen das nach dem Aussterben des habsburgischen Mannesstammes eroberte (zu den Ländern der böhmischen Krone gehörige) Schlesien als souveränes Herzogtum erklärte.

 

Was die Lehensbeziehungen zum Reich betrifft, kommt Begert zusammenfassend zu dem Schluss: „Das Herzogtum Böhmen war Teil und Lehen des deutschen Königreichs, das Königreich Böhmen [seit 1198] war Teil und Lehen des Imperiums.“ Seit dem 15. Jahrhundert war es umstritten und formal ungeklärt, ob Böhmen ein feudum imperii war. Seit dem 18. Jahrhundert war es „auf jeden Fall ein membrum imperii“. (S. 585-586) Bei der Niederlegung der Kaiserkrone 1806 erklärte Franz II. auch die „reichslehenbare Eigenschaft der mit der Krone Böhmen verbundene Kur-Würde und des Erz-Schenkenamtes“ für „erloschen“ (S. 584).

 

Begerts Buch ist – abgesehen von Kapitel II – ein grundlegendes Werk zur deutschen und böhmischen Verfassungsgeschichte, insbesondere zur Geschichte des Kurfürstenkollegs und der Königswahlen. Begert verfügt über eine breite und bewundernswerte Kenntnis von Archivalien (vor allem in Wien, Prag, München, Dresden und Hannover), gedruckten Quellen und auch entlegener Literatur (meine „Entstehung des Kurfürstenkollegs“ 1998 sollte jedoch nach der bearbeiteten 2. Auflage 2000 zitiert werden). Der Text und die reichen Fußnoten enthalten zahllose bemerkenswerte Funde und Überlegungen (u. a. auch zum Reichsnamen, zur Kaisertitulatur und zu den Kurvereinen), die für weitere Forschungen dienlich sein werden. Die Zusammenfassung in deutscher und tschechischer Sprache, Texte von Urkunden und Akten, Quellen- und Literaturverzeichnis sowie das Register umfassen 126 Seiten. Energischen Widerspruch erhebe ich gegen die Teile über den Sachsenspiegel und die Entstehung des Kurfürstenkollegs, die ich völlig anders geschrieben hätte.

 

Frankfurt am Main                                                                                         Armin Wolf