Bauszus, Silvia, Der Topos von der Großfamilie in der familien- und erbrechtlichen Diskussion (= Bielefelder Rechtsstudien 22). Lang, Frankfurt am Main. 2006. XXVIII, 95 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Arbeit ist die von
Gerhard Otte in Bielefeld betreute Dissertation der Verfasserin. Sie gliedert
sich nach einer kurzen Einleitung in zwei Teile. Im Mittelpunkt steht die
Frage, ob ein tatsächlicher Wandel der Familienstruktur eine Reform
familienrechtlicher und erbrechtlicher Bestimmungen erfordere oder
rechtfertige.
Als Ziel ihrer Arbeit
beschreibt sie es, zunächst die sich auf die Veränderung der gesellschaftlichen
Grundlage berufende Diskussion im Erbrecht und im Familienrecht darzustellen.
Danach soll die gesellschaftliche Wirklichkeit der Familie in der
vorindustriellen Gesellschaft mit Hilfe von Daten der Haushaltsstatistik und der
Familienstatistik herausgearbeitet werden. Am Ende kann auf dieser Grundlage
geklärt werden, ob ein Wandel von der vorindustriellen Großfamilie zur
Kernfamilie eingetreten ist.
Im ersten Teil beginnt die
Verfasserin mit der Bedeutung des Begriffs Familie aus gegenwärtiger und
sozialhistorischer Sicht. Anschließend wendet sie sich der Diskussion über die
Reform des gesetzlichen Erbrechts und Familienrechts zu und erörtert in diesem
Zusammenhang das gesetzliche Ehegattenerbrecht, das gesetzliche Erbrecht der
Verwandten und das Pflichtteilsrecht sowie das Wandlungsargument. Danach geht
sie auf die Kritik an der Vorstellung von der vorindustriellen Großfamilie in
der juristischen Literatur ein.
Der zweite Teil hat
soziologische und historische Theorien zur Familienstruktur der vorindustriellen
Gesellschaft zum Ausgangspunkt. Ihnen stellt sie empirische Untersuchungen aus
Lippe und kontrollierend aus Calenberg/Göttingen, Österreich und der Schweiz
gegenüber. Dabei gelangt sie zu dem Ergebnis, dass selbst auf dem Land die
Großfamilie nicht überwog und bereits in der vorindustriellen Stadt mehrere
Familienformen nebeneinander bestanden und von diesen die Großfamilie mit
mehreren Generationen unter einem (großen) Dach (mit 5,3 Prozent) nur sehr
selten vorkam, so dass ein Wandel von der Großfamilie zur Kernfamilie in den
städtischen Gebieten nicht stattgefunden hat, wobei im übrigen dem abweichenden
Adel wegen seiner geringen Zahl keine grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Als Folge ihrer
stichprobenartigen Untersuchung lehnt die Verfasserin das Argument der
Notwendigkeit gesetzlicher Änderungen auf Grund des Wandels der Großfamilie zur
Kernfamilie ab. Damit vertritt sie, obwohl sie nach Ausweis auch ihres
Literaturverzeichnisses Rechtsgeschichte eher vom Rande her betreibt, auch eine
für die Rechtsgeschichte wichtige und interessante Vorstellung. Es wäre
wünschenswert, wenn diese angesichts der doch unverkennbaren familiären
Veränderungen zwischen 1756 und 2006 auf breiterer Basis erörtert abgesichert
werden würde.
Innsbruck Gerhard
Köbler