Baumgarten, Steffen, Die Entstehung des
Unehelichenrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch (= Rechtsgeschichte und
Geschlechterforschung 8). Böhlau, Köln 2007. 311 S. Besprochen von Werner
Schubert.
Das Unehelichenrecht hatte gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine große praktische Bedeutung, da rund 10% aller Kinder nichtehelich geboren wurden. Die Säuglings- und Kindersterblichkeit lag bei den unehelich geborenen Kindern anderthalb mal bis doppelt so hoch wie bei den ehelichen Kindern. Aus diesem Grunde war die rechtliche Stellung der unehelichen Kinder auch Gegenstand sozialpolitischer Forderungen. Das Werk Baumgartens bringt erstmals eine umfassende Darstellung der Entstehung des Unehelichenrechts im BGB unter Einbeziehung der Wünsche der bürgerlichen Frauenbewegung, die sich seit 1895 intensiv mit dem kommenden BGB befasste (S. 59ff.). Im ersten Teil behandelt Baumgarten den rechtlichen und gesellschaftlichen Hintergrund der Thematik. Nach einem kurzen Abschnitt über die Entstehung des BGB (S. 21ff.) folgt ein Überblick über die Entwicklung des Unehelichenrechts bis zum 19. Jahrhundert (S. 23ff.; römisches Recht, germanisches Recht, kanonisches Recht sowie deutsches Recht des Mittelalters; ein Abschnitt über die Naturrechtsepoche fehlt). Das Kapitel über das Unehelichenrecht in den Kodifikationen vor dem BGB befasst sich mit dem Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis, dem Allgemeinen Landrecht, dem Code civil, dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch und mit dem sächsischen BGB. Mit Recht behandelt der Verfasser das ALR ausführlich, wobei noch stärkeres Gewicht auf das Unehelichengesetz von 1854 hätte gelegt werden können, dessen restriktive Tendenz das Nichtehelichenrecht des BGB stark beeinflusst haben dürfte. Nach einem Überblick über die Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts und insbesondere ihrer Stellung zum BGB beschreibt Baumgarten anhand der überlieferten Statistiken die soziale und wirtschaftliche Situation der Unehelichen Ende des 19. Jahrhunderts. Aufschlussreich ist der Hinweis darauf, dass der ganz überwiegende Teil der Eltern unehelicher Kinder, und zwar Väter wie Mütter, zu den sozial schwächeren bzw. sogar schwächsten Bevölkerungsschichten gehörten und dass weit mehr als die Hälfte der Väter ihren nichtehelichen Kindern keinen Unterhalt leistete.
Im zweiten Teil des Werkes geht Baumgarten auf vier Problembereiche des Unehelichenrechts ein, jeweils beginnend mit der Auswertung der Gesetzesmaterialien unter besonderer Berücksichtigung der benutzten Argumentationsmuster. Anschließend folgen jeweils Abschnitte über die „Haltung der Juristen“ und den Standpunkt der bürgerlichen Frauenbewegung. Das Kapitel über das Rechtsverhältnis zwischen der Mutter und ihrem nichtehelichen Kind (S. 81ff.) behandelt die Zugehörigkeit des Kindes zur Familie der Mutter, das Namensrecht der unehelichen Kinder und die elterliche Gewalt der unehelichen Mutter. Entgegen der Mehrheit der Juristen forderte die bürgerliche Frauenbewegung nahezu einhellig, der Mutter die volle elterliche Gewalt zu übertragen (S. 120ff.). Das Kapitel über das Rechtsverhältnis zwischen dem Vater und seinem unehelichen Kind (S. 126-226) befasst sich zunächst mit § 1589 Abs. 2 BGB a. F., wonach das uneheliche Kind mit seinem Vater als nicht verwandt galt, eine Regelung, die von der Frauenbewegung vehement abgelehnt wurde (S. 141ff.). Nach einem Exkurs über ein eventuelles Erbrecht des unehelichen Kindes gegen seinen Vater (S. 148ff.) nimmt die Unterhaltspflicht des Vaters gegenüber seinem unehelichen Kind einen breiten Raum ein. Während die Zulassung der Paternitätsklage nahezu unumstritten war, war die Frage der nach dem BGB zulässigen exceptio plurium concumbentium höchst kontrovers (S. 200ff.). Sie wurde von Frauenrechtlern abgelehnt, die mit einem mutmaßlichen verwerflichen Verhalten der Männer bei Anerkennung der Einrede und mit dem Interesse der Kinder argumentierten. Dagegen arbeiteten die Juristen vornehmlich mit dem Argument der „juristischen Konsequenz“ (S. 223), dass die Unterhaltspflicht nur den treffen solle, welcher als Vater des Kindes feststand. Der Gesetzgeber stützte sich „ganz einseitig“ auf das angeblich drohende sittliche oder gar strafbare Verhalten der unehelichen Mütter, die sich einen reichen Ernährer suchen oder sogar vor Erpressungen nicht zurückschrecken würden (S. 223). Der Unterhalt – nach dem ersten BGB-Entwurf war nur der „nothdürftige Unterhalt“ bis zur Vollendung des 14. Lebensjahrs geschuldet – war nach dem BGB bis zum 16. Lebensjahr des Kindes und gegebenenfalls noch darüber hinaus zu zahlen. Die zweite BGB-Kommission beschloss auf Antrag des Reichstagsabgeordneten Adolph Hoffmann (Deutsch-Freisinnige Partei) die Möglichkeit, den Unterhalt für das Kind schon vor der Geburt durch einstweilige Verfügung zu fordern (§ 1716 BGB a. F.; vgl. heute § 1615o; Baumgarten, S. 168ff.; Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Familienrecht, 1989, S. 638f.). Das folgende Kapitel befasst sich mit dem Unterhalts- bzw. Ersatzanspruch der Mutter gegen den Vater eines unehelichen Kindes sowie mit ihren sonstigen Rechten, insbesondere mit dem Deflorationsanspruch, der erst von der zweiten BGB-Kommission zugelassen wurde und bei den Frauenrechtlern nicht unumstritten war.
Abgeschlossen wird der Hauptteil des Werkes mit dem Abschnitt
über die Legitimation des unehelichen Kindes, die zu dieser Zeit eine
erhebliche Rolle spielte. Die Diskussionen zum Unehelichenrecht waren nach Baumgarten
geprägt von „Vorurteilen und Vermutungswissen hinsichtlich der unehelichen
Kinder und ihrer Eltern“ (S. 291). Eine Gleichstellung der ehelichen und
unehelichen Kinder, die als Bedrohung der ehelichen Familie aufgefasst wurde,
kam nicht in Betracht, wobei die patriarchalische Struktur der damaligen
Gesellschaft noch hinzukam. In diesem Rahmen hielt sich auch das „wachsende
Bewusstsein der sozialen Verantwortung der Gesellschaft für ihre schwächeren
Glieder“ (S. 292). Baumgarten spricht insoweit vom Kompromisscharakter
des Unehelichenrechts des BGB, das im Unterhaltsrecht neue Entwicklungen
anbahnte. Die eigentlichen Fortschritte in der Versorgung der unehelichen
Kinder vollziehen sich zunächst im Fürsorgerecht, wozu Art. 136 EGBGB einen
wichtigen Ansatzpunkt bildete, eine Entwicklung, die zur Amtsvormundschaft des
Jugendgerichtsgesetzes von 1923 führte (hierzu W. Schubert, Die Projekte
der Weimarer Republik zur Reform des Nichtehelichen-, des Adoptions- und des Ehescheidungsrechts,
1986, S. 37ff.). In den Abschnitten über die „Haltung der Juristen“ hat Baumgarten
auch die Literatur bis etwa 1910 einbezogen. Vielleicht hätte im Interesse der
Übersichtlichkeit die Zeit bis zur Verabschiedung des BGB von der Zeit danach
etwas schärfer getrennt werden können. Aufgrund der Zielsetzung des Werkes, die
damals veröffentlichten Argumentationsmuster herauszuarbeiten, sind die
internen Arbeiten der ersten BGB-Kommission nur am Rande herangezogen worden.
Vielleicht hätte die vom ersten BGB-Entwurf abweichende Konzeption Plancks
etwas stärker herausgearbeitet werden können. Ähnliches gilt für die wichtigen
Verhandlungen der Reichstagskommission über das Unehelichenrecht. Sehr
verdienstvoll ist die breite Einbeziehung der Literatur der bürgerlichen
Frauenbewegung zum Nichtehelichenrecht des BGB, die bisher kaum bekannt war. Insgesamt
liegt mit dem Werk Baumgartens, das ein umfassendes Personen- und
Sachregister aufweist, ein weiterer wichtiger Beitrag zur Entstehungsgeschichte
des BGB und zu dessen allgemeiner Kennzeichnung vor. Hierbei hat Baumgarten
vor allem die „deutlichen Anzeichen eines sozialen Bewusstseins des Gesetzgebers“
am Ende des 19. Jahrhunderts (vgl. S. 210) und die Anfänge der bis heute
andauernden familienrechtlichen Reformdiskussionen herausgearbeitet.
Kiel |
Werner Schubert |