Balthasar, Stephan, Der Schutz der Privatsphäre im Zivilrecht – Eine historisch-vergleichende Untersuchung zum deutschen, französischen und englischen Recht vom ius commune bis heute (= Grundlagen der Rechtswissenschaft 7). Mohr (Siebeck), Tübingen 2006. XXI, 278 S. Besprochen von Eric Neiseke.
Wer kennt sie nicht, die Schlagzeilen über Prominente, die in regelmäßigen Abständen die Titelseite der Boulevardpresse zieren? Gerne beruft sich die Presse in diesem Zusammenhang auf ihre Freiheit zur Berichterstattung. Mitunter war es Prinzessin Caroline von Monaco, die diese Praxis nicht hinnehmen und ihre Privatsphäre geschützt wissen wollte. Und tatsächlich: Die von der Prinzessin angegriffene Bildberichterstattung über ihre Freizeitaktivitäten verletzte ihr Recht auf Achtung ihres Privatlebens aus Art. 8 Absatz 1 EMRK. So jedenfalls urteilte am 24. Juni 2004 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und hob zugleich die hiervon abweichenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts auf.
Stephan Balthasar nimmt diese kontrovers diskutierte Entscheidung in seiner mit dem Kulturpreis Bayern 2005 ausgezeichneten Dissertation zum Anlass, das Institut der Privatsphäre näher zu untersuchen. Unter Berücksichtigung der deutschen, französischen und englischen Rechtsordnung will Balthasar die historische Entwicklung in diesen Ländern bis in die Gegenwart nachverfolgen. Es sollen Unterschiede, insbesondere aber auch mögliche Gemeinsamkeiten aufgezeigt werden, um schließlich ein konsensfähiges Restatement für den Schutz der Privatsphäre zu entwickeln.
Die vorliegende Arbeit teilt sich in drei größere Abschnitte auf, diese wiederum unterteilen sich in insgesamt neun Paragrafen, wobei § 1 als Einleitung dient. Jeder Abschnitt behandelt zunächst das deutsche, das französische und schließlich das englische Recht. Hieran schließt sich jeweils eine rechtsvergleichende Zusammenfassung der Ergebnisse an.
Im ersten Teil (S. 15-82) widmet sich der Autor dem Schutz privater Informationen in der Epoche des gemeinen Rechts. Grundlage für den romanistischen Rechtsraum bilde die actio iniuriarum bei den Legisten und Kanonisten (§ 2). Durch zahlreiche Nachweise versucht Balthasar aufzuzeigen, dass in den klassischen römischen Quellen auch der Konflikt zwischen sensiblen Informationen und unerwünschter Öffentlichkeit thematisiert werde. Der Verfasser verweist insbesondere auf Dig. 9.2.41.pr. und Dig. 16.3.1.38. Es folgt eine Untersuchung der These, „ob die Injurienklage genutzt werden konnte, um Geheimnisse vor der Neugier der Öffentlichkeit und auf diese Weise sensible Informationen vor ungewünschter Publizität zu schützen“ (S. 29, § 3). Balthasar kann schließlich belegen, dass durch die actio iniuriarum sowohl vertrauliche Äußerungen in Wort und Schrift als auch sonstige Informationen geschützt wurden, deren Bekanntwerden für den Betroffenen nachteilig war (S. 67). Die Entwicklung des englischen Rechts (§ 4) sei hiervon zu unterscheiden. Da auf dem englischen Kontinent der Einfluss des römischen Rechts sehr begrenzt gewesen sei, habe die actio iniuriarum dort keine Bedeutung erlangt. Letztlich, so Balthasar, sei dem englischen Recht ein Schutz sensibler Informationen vor unerwünschter Öffentlichkeit bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fremd gewesen (S. 81).
Der zweite Teil (S. 83-201) greift den Schutz der Privatsphäre in der Moderne auf. Mit der Entstehung der Presse und der Fotografie ging die Frage einher, ob diese neuen Medien Einschränkungen durch eine zivilrechtliche Privatheit erfahren sollten. Die deutsche Lehre, allen voran Adolph D. Weber, habe alsbald Partei für die Pressefreiheit und gegen eine mögliche Zensur ergriffen (S. 81). Die actio iniuriarum sei insbesondere vor diesem Hintergrund im beginnenden 19. Jahrhundert in Deutschland und auch in Frankreich zurückgedrängt worden. Dennoch vermochten alle drei untersuchten Rechtsordnungen einen gewissen Schutz von Bildnissen und vertraulichen Dokumenten zu entwickeln. Eine Unterscheidung sei lediglich in den jeweiligen juristischen Begründungen auszumachen. Balthasar weist durch zeitgenössische Urteile nach, dass im 19. Jahrhundert in Deutschland und England auf „Hilfskonstruktionen“ (§ 5) zurückgegriffen wurde, die zumindest in der Nebenfolge den Schutz der Privatheit erreichten. Hierfür hätten unter anderem das Urheberrecht, der Hausfriedensbruch oder auch das Vertragsrecht gedient. Lediglich Frankreich habe mit dem droit au secret des lettres und dem droit à l’image gezielt die Privatsphäre schützen wollen (S. 101f.). Im Anschluss verfolgt der Verfasser die Entwicklung der Privatsphäre zum immateriellen Gut (§ 6): Es sei die deutsche und die französische Rechtsprechung, die schließlich in den fünfziger beziehungsweise sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts ein Recht auf Privatsphäre ausdrücklich anerkannt habe. Die englische Rechtsprechung hingegen habe zunächst nur Ausschnitte aus der Privatsphäre geschützt. Erst die Umsetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention lasse einen allmählichen Wandel erkennen (S. 166), wobei Balthasar wohl auch zukünftig eine eher restriktive Rechtsprechung in England zu erwarten scheint (vgl. S. 165). Der zweite Abschnitt endet mit Ausführungen zur Privatsphäre als kommerzielles Gut (§ 7).
Der dritte Teil (S. 203-250) fasst zunächst die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zusammen (§ 8). Balthasar erblickt in der Gegenwart eine „deutliche Annäherung der deutschen, der französischen und der englischen Rechtsordnung im Bereich des zivilrechtlichen Privatsphärenschutzes“ (S. 203). Es könne nicht mehr von „fundamentalen“ Unterschieden auf diesem Gebiet gesprochen werden (S. 209). Damit ist der Weg für den Verfasser frei, ein Restatement zu formulieren. Die von Balthasar vorgeschlagene Norm berücksichtigt die aufgezeigten Gemeinsamkeiten im Bereich des zivilrechtlichen Schutzes der Privatsphäre und soll damit einhergehend in allen drei Ländern auf Akzeptanz stoßen können. Die Dissertation endet mit einer französischen Zusammenfassung (§ 9), die im Rahmen des Cotutelle-Verfahrens mit der Université Robert Schuman (Strasbourg) entstanden ist.
Der hier nur in aller Kürze wiedergegebene Inhalt kann den beeindruckenden Umfang der besprochenen Arbeit nur andeuten. Der Autor beschränkt sich auf den materiell-rechtlichen Persönlichkeitsschutz unter Ausblendung der Problematik zivilprozessualer Beweisverwertungsverbote (vgl. S. 4); allein die geschichtliche Betrachtung einer der drei Rechtsordnungen böte jedoch bereits ausreichendes Material für eine weitere Dissertation. Es liegt auf der Hand, dass eine detaillierte wissenschaftliche Vertiefung aller angesprochenen Aspekte kaum möglich ist. Dennoch - oder gerade deshalb - hätte man sich an mancher Stelle eine eingehendere Untersuchung gewünscht. Beispielhaft sollen hierfür Balthasars Ausführungen zur historischen Entwicklung des Privatsphärenschutzes in Deutschland aufgegriffen werden. So erwähnt Balthasar, dass erstmals Ernst Ferdinand Klein den Begriff des „Privatlebens“ im juristischen Sinne gebraucht habe (S. 51). Warum jedoch seine Zeitgenossen, namentlich Adolph Dietrich Weber „die Gedanken Kleins zum Schutz der Privatsphäre rundheraus ab[lehnten]“ (S. 51), bleibt offen. Des weiteren wird der Leser lediglich in einer Fußnote davon in Kenntnis gesetzt, dass Savigny das „Recht auf sich selbst“ ablehnte (S. 90, Fn. 58). Was genau aber verstand der Begründer der historischen Schule unter diesem Terminus und aus welchen Gründen lehnte er dieses Recht ab? Auch die hieran anschließende Feststellung, dass sich die „Idee der Persönlichkeitsrechte“ dann „zwar bald durch[setzte]“ (S. 90), wird nicht näher erläutert. Ähnlich knapp geraten die Ausführungen zur Entstehungsgeschichte des § 823 Abs. 1 BGB. Wird im Ersten Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches noch die Ehre in den Tatbestand des § 704 Abs. 2 mit aufgenommen, so fehlt dieses Rechtsgut dann in § 823 Abs. 1 BGB. Statt hier schlicht auf die Vorarbeiten Katrin Kastls (Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Der Prozess seiner Anerkennung als sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB) zu verweisen, wären weitergehende Erläuterungen wünschenswert gewesen.
Im Ergebnis ist Balthasar gleichwohl eine vorzügliche Studie gelungen. Trotz der nicht abschließend aufgeführten Kritikpunkte gilt dies insbesondere für die rechtshistorische Untersuchung des Schutzes der Privatheit vor der Öffentlichkeit. Ein Vergleich mit thematisch verwandten Publikationen offenbart die bisher bestehende Forschungslücke, die Balthasar größtenteils schließen konnte. Weiterhin unerforscht bleibt allerdings, ob auch die deutschen Partikularrechte selbst möglicherweise eine Privatsphäre im weitesten Sinne als schützenswert erachteten. Lob verdient des weiteren die sehr sorgfältige Quellenrecherche; zahlreiche zeitgenössische Urteile können die jeweiligen historischen und rechtsvergleichenden Forschungsergebnisse stützen. Zukünftige Arbeiten zur Geschichte des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes (wie etwa die 2007 erschienene Dissertation Klaus Martins, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner historischen Entwicklung) dürften für längere Zeit an der hier besprochenen Vorlage Balthasars gemessen werden.
Hannover Eric Neiseke