Aretin, Cajetan Freiherr von, Die Erbschaft des Königs Otto von Bayern. Höfische Politik und Wittelsbacher Vermögensrechte 1916 bis 1923 (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 149). Beck, München 2006. XXVIII, 408 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die von Georg Graf Schall-Riaucour als dem Generaldirektor des Wittelsbacher Ausgleichsfonds angeregte, ursprünglich als juristische Dissertation angelegte und damit fachfremde, von Hans-Michael Körner betreute, von Hermann Nehlsen und Hubert Glaser bestmöglich begutachtete Dissertation des Verfassers, eines Sohnes Karl Otmar von Aretins. Ihr war manches Aktenmaterial zugänglich, das der Forschung bislang verschlossen war. Neben vielen anderen waren Elisabeth Karsten und Verena Weese von der Firma storydocs von großer Hilfe in der Durchdringung des Stoffes und der Bewältigung des Problems, die Arbeit zu Papier zu bringen.

 

Ihr geht es um die Verlassenschaft des kaum bekannten, am 17. April 1848 geborenen, seit seinem 17. Lebensjahr erkennbar nervenleidenden und am 11. Oktober 1916 verstorbenen Königs Otto I. von Bayern, der als Nachfolger König Ludwigs II. während der gesamten Dauer seines von 1886 bis 1916 währenden Königtums unter der Regentschaft seines Onkels Luitpold und danach seines Vetters Ludwig stand und bei seinem Tod weder Nachkommen noch Testament hinterließ. Dieser Erbfall ist aus zahlreichen, vom Verfasser eindrucksvoll bezeichneten Gründen ungewöhnlich. Bisher war er trotz sehr guter Quellenlage kaum erforscht.

 

Im ersten seiner drei Teile beschäftigt sich der Verfasser mit den äußeren Umständen des Erbfalls. Dazu schildert er das durch Geisteskrankheit gekennzeichnete Leben des Königs, die angespannte, bis 1913 ins fast Unerträglich gesteigerte Finanzlage, die nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch entstandene gesetzliche Erbfolge (je zur Hälfte die Nachkommen der Prinzen Luitpold und Adalbert als Erben dritter Ordnung, zwei Erben zu je ein Viertel, drei Erben zu je ein Sechstel) und als beteiligte Stellen die Vertreter von Erben, Hof und Staat. Danach bewertet er das aus Kapitalvermögen, Immobilien und Mobiliar bestehende Vermögen König Ottos auf 30000000 Mark, die er weit über 100 Millionen Euro gleichsetzt, wobei mit dem erbenden König der wirtschaftlich bedrängteste Erbe den kleinsten Erbteil erhalten sollte, sodass die Verteilung der Erbschaft auf die gesetzlichen Erben und die Erbschaftsteuer den Fortbestand des Königsvermögens Bayerns bedrohten.

 

Im zweiten Teil geht der Verfasser in chronologischer Abfolge auf die Auseinandersetzung zwischen Haus und Staat und die Verteilung der Erbschaft zwischen 1916 und 1923 ein. Nach seinen sorgfältigen Darlegungen zahlten im Ergebnis die Wittelsbacher Jahrzehnte hindurch die Kosten der Errichtung der bekannten Königschlösser Herrenchiemsee, Linderhof und Neuschwanstein (samt den Maximiliansanlagen und den Jagdhäusern) ab, um sie aus wirtschaftlichen Überlegungen im Übereinkommen vom 24. Januar dem Staat Bayern zu überlassen, während Hohenschwangau, Fürstenried (bis 1928), Hambach, Gärtnertheater (bis 1936), Roseninsel, Feldafinger Anlagen und die meisten Waldungen an den Wittelsbacher Ausgleichsfonds gelangten.

 

Unter Kabale und Liegenschaften stellt der dritte Teil Ergebnisse und Hintergründe der merkwürdigen Nachlassregelung dar. Dabei zeigt er überzeugend, dass die Verfassungsurkunde des Jahres 1818, mit der Bayern in den Kreis der modernen Staaten eingetreten war, einen wesentlichen Mangel hatte, der sich 1917 offenbarte. Zudem weist er einleuchtend darauf hin, dass Teile der monarchischen Staatsverfassung trotz der Revolution des Jahres 1918 im Gewand der Satzung des Wittelsbacher Ausgleichsfonds bis heute geltendes Landesrecht Bayerns sind, wie ihm überhaupt lange Zeit nach ihrem juristischen Ende die Vorstellung von der Monarchie als der normalen Staatsform durchaus noch präsent erscheint.

 

Vier Anhänge ergänzen die eingängig geschriebene Darstellung um eine Aufstellung des Nachlasses, die verwendeten Gesetzestexte, eine Auswahl der verwendeten Dokumente und 24 Bilder der beteiligten Personen. Das Register weist die beteiligten Personen nach. Insgesamt schließt das interessante, mit einem Foto des Schlosses Fürstenried geschmückte Werk eine deutliche Lücke der jüngeren Geschichte Bayerns in vorteilhafter Weise.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler