Angenendt,
Arnold, Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und
Schwert. Aschendorff, Münster 2006. 797 S.
Angenendt,
Arnold, Gottesfrevel. Ein Kapitel aus der Geschichte der
Staatsaufgaben, in: Angenendt, Arnold/Pawlik, Michael/Arnauld de la
Perrière, Andreas von, Religionsbeschimpfung. Der rechtliche Schutz des
Heiligen, hg. v. Isensee, Josef (= Wissenschaftliche Abhandlungen und
Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte 42). Duncker &
Humblot, Berlin 2007. 139 S., S. 9-29. Besprochen von Tilman Repgen.
Gerade
zu einer Zeit wachsender Auseinandersetzung mit den Erscheinungsformen islamistisch
motivierter Gewalt tritt in der westlichen Welt die Frage nach der Bedeutung
der Religion oder allgemeiner der monotheistischen Religionen für das
Verhältnis von Gesellschaften zur Gewalt in den Denkhorizont ein. Die hier anzuzeigenden
Arbeiten des Münsteraner Kirchenhistorikers Angenendt geben wichtige Antworten. Sie sind auch
und gerade von rechtshistorischem Interesse. Dieses rechtshistorische Interesse
reicht dabei über die schon vordergründig offenkundige Relevanz vor allem für
Phänomene wie Menschenrechte und Menschenwürde weit hinaus. Die Lektüre regt
vielmehr auch zu einem neuen Nachdenken über den Zusammenhang von Recht und
Religion an. Die Bedeutung wirtschaftlicher und allgemein-politischer Vorgänge
für die Entwicklung von Rechtsordnungen ist inzwischen in der
rechtshistorischen Literatur ein Gemeinplatz. Anders verhält es sich mit der
Religion. Sie wird in der Übernahme spätaufklärerischer Traditionen offenbar so
sehr als Privatsache angesehen, dass der Einfluss der Religion auf das Recht
außerhalb kirchenrechtlicher Vorschriften weitgehend übersehen wird. Die von Angenendt thematisierten Fragen deuten
jedoch auf enge Zusammenhänge hin, die letztlich nicht überraschen, wenn man die
Wechselbezüglichkeit der Beziehung der Menschen untereinander und zu Gott in
Rechnung stellt.
Der in
einem von Josef Isensee herausgegebenen Sammelband erschienene Aufsatz
über den Gottesfrevel betrifft die Reaktion auf Gotteslästerung und Sakrileg. Der
Gang dieser Darstellung soll hier stellvertretend für die in der Monographie
behandelten Themen etwas ausführlicher geschildert werden. In Gesellschaften,
die sich als in eine kosmische Ordnung hineingestellt begreifen, erscheint ein
Gottesfrevel als störend, als strafwürdige Tat, wenn sonst Gotteszorn zu
befürchten ist. Die Strafe ist dann Vorwegnahme eines göttlichen Gerichts. Angenendt erinnert auch an den
Religionsfrevel-Prozess gegen Sokrates, an die Befürwortung der Todesstrafe für
Atheisten durch Platon und – aus der Zeit der Spätantike – das crimen laesae maiestatis, das in Rom als
religiöser Frevel aufgefasst wird. Nicht anders ist es im Alten Testament, das
die Gotteslästerung mit der Steinigung bedroht (Ex 20, 7; Dtn 5, 11). Eine entscheidende
Wende bringt dann das Christentum, das zwar nicht die heilsgeschichtliche Dimension
der rechtlichen Ordnung aufhebt, aber – radikal neu – den Gotteszorn „eschatologisiert“.
Nach dem Neuen Testament vollzieht Gott die Bestrafung am Ende der Tage selbst,
bis dahin aber lässt er „seine Sonne aufgehen über Böse und Gute“ (Mt 5, 45).
Bis zum Ende der Tage bleibt aber Gelegenheit zur Umkehr. Daraus folgt
letztlich ein Friedensgebot, das wesentlich zur Entwicklung der Toleranzidee geführt
hat.
Das
Sachsakrileg ist für die Urkirche irrelevant, weil es zunächst keinen geweihten
Bau und Altar gibt. Demgegenüber erscheint die Tat gegen eine Person zugleich
als Frevel, weil der Einzelne Gottes „Tempel“ ist (1 Kor 3, 16). Aber auch das anathema, die Verfluchung, verlangt
nicht, an dem „Verfluchten“ die Gottesstrafe zu vollziehen, sondern er wird
exkommuniziert, aus der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen in der Hoffnung
auf Bekehrung. Das Weizen/Unkraut-Gleichnis (Mt 13, 24-30) wird hier zum
entscheidenden Leittext. Aus einem Saulus kann ein Paulus werden. Caritas tolerat omnia (1 Kor 13, 7).
Hier liegt die Wurzel der Toleranz, die dann im Laufe der Geschichte auch zur
Staatsaufgabe wird. Der Staat hat daher kein religiöses Zwangsrecht – so wenig
die Religion ein politisches hat. Die ursprüngliche Botschaft des Christentums
ist daher der Gewaltverzicht gegenüber dem Gottesfrevler. Sie unterscheidet
sich insofern vom Judentum und vom Islam. Kaiser Konstantin reagiert auf den
Gottesfrevel der Häresie mit Verbannung, nicht mit Hinrichtung und sucht so
einen Kompromiss zwischen dem religiös begründeten Gewaltverzicht und der
traditionellen Herrscherpflicht, den Gottesfrevel (als Störung der kosmischen
Ordnung und damit zugleich der eigenen Herrschaftslegitimation) vom Reich fernzuhalten.
Angenendt konstatiert, dass das erste christliche Jahrtausend nur eine einzige
Ketzer-Hinrichtung erlebt habe (Priscillian und Gefährten im Jahre 385 in Trier
wegen Zauberei).
In dem
Augenblick, in dem sich im zweiten nachchristlichen Jahrtausend eine staatsähnliche
Herrschaft wieder herausbildet, tritt die Obrigkeit nun wieder mit dem Anspruch
auf, die Frevler zu bestrafen. Der englische König Heinrich II. († 1189) ist
es, der seit der Antike als erster staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung der
Häresie anordnet. Der Grund ist, so erklärt Angenendt im Anschluss an den englischen Historiker Robert Moore, die „Gefahr, die das ‚Allgemeinwohl’
bedroht“ (S. 16). Der Gottesfrevel, so könnte man etwas zugespitzt formulieren,
erscheint nun wieder als geeignet, die weltliche Herrschaftsordnung in die
Gefahr des Gotteszorns zu bringen und so das Gemeinwohl zu gefährden. Kaiser
und Papst entwickeln im 12. Jahrhundert dann eine verfahrensrechtliche
Arbeitsteilung, indem der Kirche die Aufspürung und Verurteilung, der
weltlichen Herrschaft die Hinrichtung übertragen wird. Der Austritt aus der
Glaubensgemeinschaft wird nun strafbar. Wenn schon der Münzfälscher mit dem
Tode bedroht wird, so erst recht der Gotteslästerer, so lehrt Thomas von Aquin,
der gleichzeitig aber auch die Toleranz aus dem Weizen/Unkraut-Gleichnis
ableitet. Die Reformation hat an dieser hochmittelalterlichen Entwicklung
keinen Anstoß genommen. Luther verlangt,
die Münsterschen Wiedertäufer sollten als Gotteslästerer getötet werden (S.
19). Um 1500 begreifen Landesherren und Städte die Verfolgung von
Religionsdelikten dann weitgehend als eigene Aufgabe und nicht anders sieht es
beispielsweise die Carolina. Der Fürst lebt in der Sorge vor dem Zorn Gottes,
wenn er nicht die Sünden seiner Untertanen bestraft (S. 20f. in Anlehnung an Willoweit).
Ein passendes Beispiel ist die Einführung eines Ehegerichts in Zürich nach der
Reformation, da der Rat sich für das rechtschaffene Leben seiner Untertanen
verantwortlich fühlte, um der Strafe Gottes in Form von Hungersnöten, Epidemien
u. Ä zu entgehen. Die Verfolgung des Gottesfrevels erscheint in der frühen
Neuzeit als Anliegen der Staatsmächte ohne Hinzuziehung der Kirche. Wie in der
Antike wird die Bestrafung des Gottesfrevlers als eine Herrscherpflicht
angesehen. Bis zur Aufklärung ist der Staat nicht säkular, sondern gründet
seine Legitimation auf die Macht des Himmels. Insofern war dann die Verfolgung
des Gottesfrevels bereits auf Erden nicht ohne Konsequenz.
Das
Hochmittelalter bringt aber nicht nur einen Umschwung in der Ketzerverfolgung,
sondern auch beim Sachsakrileg, was sich an den Kreuzzügen zeigt, die zunächst
einmal der Rückerorberung der Heiligen Stätten dienten. Vor allem von Seiten
des kanonischen Rechts wurde allerdings an der Zulässigkeit der Kreuzzüge
Kritik geübt.
Die
Religionsfreiheit ist ein Produkt der Aufklärung, freilich auch dort nicht von
Anfang an: Thomasius nimmt die Atheisten von der Toleranz aus, Rousseau erwägt
für sie sogar die Tötung. Es ist auffällig, dass zugleich mit der Aufklärung
auch die staatstheoretische Herrschaftslegitimation wechselt. Es gibt kein
Gottesgnadentum mehr. Der Gottesfrevel ist zwar weiterhin Störung der
göttlichen Ordnung, aber nicht mehr unmittelbar auch Angriff auf die weltliche
Herrschaftsordnung. Die Verfolgung des Frevlers rückt aus dem Interesse
weltlicher Herrschaft. Religiöse Überzeugungen werden im modernen Staat kaum
mehr geschützt (vgl. Michael Pawlik,
im selben Band, S. 38f.).
Der
hier mit wenigen Sätzen nachgezeichnete kühne Schwung Angenendts, der auf knappem
Raum 2500 Jahre abendländischer Geschichte erfasst, wird getragen von einer
souveränen Kenntnis der Quellen und Literatur, wobei hier vor allem die
moderneren Publikationen Berücksichtigung fanden.
Es geht
Angenendt dabei wie auch in der Monographie nicht um Apologie. In ruhiger Weise
sammelt Angenendt die Ergebnisse der
Forschung, die dann doch ein ganz anderes, differenzierteres Bild als dasjenige
der vorurteilsbeladenen sogenannten öffentlichen Meinung ergibt, die nicht müde
wird, ihre einseitigen Negativurteile zu wiederholen. Natürlich ist nicht zu erwarten,
dass jemand von der Antike bis zur Gegenwart zu den behandelten Fragen
vollständig und abschließend sämtliche Literatur berücksichtigen kann. Das
ändert aber nichts daran, dass Angenendt ein
höchst anregendes und nützliches Buch gelungen ist. In Teil 1 behandelt er das
Thema „Toleranz und Gewalt“ und damit manches, was auch im oben referierten
Aufsatz zur Sprache gekommen ist. Teil 2 lautet „Gottesrechte und
Menschenrechte“. Gerade in diesem Abschnitt kann der Rechtshistoriker viele
Aufschlüsse zu spezifisch christlichen Einflüssen auf die Rechtsgeschichte
beobachten. Es geht um Religionsfreiheit, Menschenwürde, Menschenrechte,
rechtliche Gleichheit und Gleichberechtigung der Frau sowie Abschaffung der
Sklaverei. Teil 3 betrifft insbesondere strafrechtsgeschichtlich relevante
Gegenstände: Ketzerverfolgung, Inquisition und Hexenprozesse. In Teil 4 sind
Fragen des Völkerrechts angesprochen: Schwertmission, Akkulturation, Kreuzzüge
und Kolonialisierung, um nur die hauptsächlichen Themen zu benennen. Vielleicht
am wenigsten unmittelbar rechtshistorisch belangvoll, dafür aber in der
allgemeingeschichtlichen öffentlichen Debatte besonders relevant ist der
Gegenstand des 5. Teils, der dem Verhältnis von Christen und Juden gewidmet
ist.
Jenseits
der Aufgeregtheiten öffentlicher Diskussionen gelingt es Angenendt, Tragweite und Einfluss insbesondere
des christlichen Friedensgebotes sowie der Gottesebenbildlichkeit des Menschen
im Laufe der Jahrhunderte nachzuzeichnen. Dabei wird deutlich, wie Anspruch und
Wirklichkeit oft auseinanderliefen, die Forderungen des Christentums aber
gleichsam wie ein Stachel im Fleisch waren, auch in demjenigen als christlich
geltender Herrschaften.
Im
Anschluss an Jürgen Habermas reflektiert Angenendt zum Schluss seiner Monographie noch einmal den Begriff der
Gottesebenbildlichkeit, der einen Umschwung zu persönlicher Ethik und
Verantwortung und damit zu Toleranz verursacht hat. Die Kirchenväter verurteilten
die Sklaverei, Burchard von Worms († 1025) verwarf die Tötung von Nichtchristen,
weil auch diese ein Abbild Gottes seien. Papst Gregor IX. († 1241) verlangte
Gerechtigkeit für die Juden, da sie „das Bild des Erlösers besitzen“
(S. 581). Eike von Repgow lehnte den status
der Unfreiheit mit dem Hinweis auf die Gottesebenbildlichkeit ab (vgl. Ssp.
Ldr. III, 42). Francisco de Vitoria betonte mit dem Argument der
Gottesebenbildlichkeit die Eigenständigkeit der Indios. Ist hier vor allem die
Idee der rechtlichen Gleichheit grundgelegt, so folgt aus dem christlichen
Liebesgebot die Differenzierung von Person und Sache, was es erlaubt, die Tat
zu verwerfen, ohne den Täter (Sünder) zu vernichten. Angenendt erinnert weiter an die Bedeutung des
Christentums für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Als eine wichtige Voraussetzung
für die Entwicklung der Religionsfreiheit weist Angenendt auf die im Mittelalter erstrittene Emanzipation der Kirche vom
Staat hin, welche die Unzuständigkeit der weltlichen Macht für Religionsfragen
zur Folge hatte. So greift das Schlusskapitel noch einmal den großen Bogen von
mehr als 2000 Jahren Geschichte auf, in der das Christentum auch für so viele
zentrale Rechtsfragen ein Ferment war, das Angenendt facettenreich beschrieben hat.
Hamburg Tilman
Repgen