Al-Shamari, Nadja, Die Verkehrssitte im § 242 BGB. Konzeption und Anwendung seit 1900 (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 50). Mohr (Siebeck) 2006. XIII, 237 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die
Arbeit ist die 2001 begonnene und 2005 in Frankfurt am Main angenommene, von
Joachim Rückert betreute Dissertation der Verfasserin. Sie geht von § 242 BGB
aus, nach dem die Leistung des Schuldners nach Treu und Glauben mit Rücksicht
auf die Verkehrssitte zu bewirken ist. In ihrer kurzen Einführung fragt sich
die Bearbeiterin, ob die Verkehrssitte von Anfang an ein Tatbestandsmerkmal
ohne Chance war.
Dazu
untersucht sie als erstes die Konzeption des § 242 BGB. Deswegen wendet sie
sich der Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs und den Regelungen
in vorangehenden Kodifikationen und Entwürfen zu. Nach ihrem überzeugenden
Ergebnis sollte nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht der Richter
seinen Vorstellungen darüber Ausdruck verleihen, wie zu erfüllen sei, sondern
es sollten die üblichen Vorstellungen der Parteien entscheiden, wobei ihre
begriffsgeschichtlichen Ermittlungen sie zu der Erkenntnis führen, dass sich
Verkehrssitte an Handelssitte und damit an das allgemeine deutsche
Handelsgesetzbuch von 1861 anlehnt (als Erstbeleg nennt sie anscheinend
Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts 1, 1, 1864, 236).
Im
zweiten Teil beschäftigt sie sich mit der Anwendung des § 242 BGB. Dabei
unterscheidet sie die beiden Zeitabschnitte von 1900 bis 1932 und von 1945 bis
2003. Danach hat die Verkehrssitte während des gesamten 20. Jahrhunderts aber
nur eine ganz marginale Bedeutung.
Im
dritten Teil stellt sie die Rolle der Verkehrssitte in § 242 BGB nach 1900 der
Bedeutung nach der Konzeption der Norm gegenüber. Sie erkennt konsequent, dass
der Verkehrssitte in § 242 nach 1900 nicht annähernd die Bedeutung zugekommen
ist, die sie nach der Konzeption der Norm haben sollte. Das hängt nach ihrer
Ansicht auch damit zusammen, dass die Anforderungen für die Berücksichtigung
der Verkehrssitte sehr unsicher und kaum zu erfüllen sind.
Ursprünglich
sollte § 242 BGB nur regeln, wie der Schuldner seine Leistung zu bewirken hat.
Über diese Rolle ist die Vorschrift aber vollständig hinausgewachsen. Nach
Ansicht der Verfasserin war die Verkehrssitte wie das gesamte Bürgerliche
Gesetzbuch im Grunde zu modern für die Gesellschaft, die damit leben sollte,
doch sollte sie entgegen ihrer bisher geringen Bedeutung als Stück
Bürgerfreiheit gerade in Zeiten zunehmender Regelungsdichte als Chance auch
tatsächlich genutzt werden, so schwierig dies angesichts der geschilderten
Befunde auch sein dürfte.
Innsbruck Gerhard
Köbler