Zwischen Rechtsstaat und Diktatur – Deutsche Juristen im 20. Jahrhundert, hg. v. Klein, Eckart/Saar, Stefan/Schulze, Carola (= Rechtshistorische Reihe Bd. 326). Lang, Frankfurt am Main 2005. 177 S. Besprochen von Thomas Vormbaum.
Immer noch kann sich juristische Biographik guter Konjunktur erfreuen. Seit der Verfasser dieser Besprechung im Jahre 1993 eine Bestandsaufnahme der bis dahin erschienenen Juristen-Biographien versucht hat[1], ist die Zahl der Einzelbiographien unübersehbar angeschwollen; die biographischen Sammelbände und Nachschlagewerke behandeln Hochschullehrer einer bestimmten Fakultät[2], deutsche Juristen[3], deutsche und europäische Juristen[4], deutsch-jüdische Juristen[5], Juristen als Dichter[6], Dichter als Juristen[7] und sogar Juristen aus aller Welt[8].
Die flüchtige Wahrnehmung des Titels der hier besprochene Bandes könnte den Eindruck erwecken, daß dieser eine saloppe, werbewirksame Bezeichnung für eine umfassende Biographiensammlung über deutsche Juristen des 20. Jahrhunderts enthalte. Dies ist indes nicht der Fall, denn es handelt sich – wie der Titel korrekt ausdrückt – um eine Sammlung von neun Juristen – genauer: Rechtslehrern -, deren Berufsleben (mit einer Ausnahme: Hugo Preuß) die Zeit der NS-Herrschaft und der Bundesrepublik (in einem Fall auch der DDR), teilweise auch bereits der Weimarer Republik umspannt. Bei dieser Kenntnis erweist sich auch der Untertitel korrekt, der von deutschen Juristen im 20. Jahrhundert spricht. Die Sammlung ist hervorgegangen aus einer Ringvorlesung der Universität Potsdam, weswegen ein Teil der Beiträge auch von Hochschullehrern der dortigen juristischen Fakultät stammt. Wer nicht vorinformiert ist, kann sich freilich dessen nur bei den drei Herausgebern sicher sein, denn leider enthält der Band keine Hinweise zu den Verfassern der Beiträge.
Der Band umfaßt Beiträge über Hugo Preuß (Norbert Janz), Hermann Ulrich Kantorowicz (Carola Schulze), Gustav Radbruch (Georg Küpper), Hans Peters (Wolfgang Loschelder), Ulrich Scheuner (Eckart Klein), Erich Schwinge (Stefan Chr. Saar), Georg Dahm (Jörn Eckert), Walter Erman (Heinz Holzhauer) sowie den DDR-Wirtschaftsjuristen Heinz Such (Rolf Steding). Alle Beiträge enthalten zunächst einen biographischen Aufriß, teilweise mit Berichten über persönliche Begegnungen, und anschließend eine Würdigung von Leben und Werk.
Ein Eingehen auf die einzelnen Beiträge verbietet sich angesichts der Spannweite der Fächer, Lebensdaten und Verhaltensweisen der biographierten Personen. Soweit diese nicht von den NS-Machthabern aus dem Amt entfernt (Radbruch, Kantorowicz) bzw. an einer Karriere von vornherein gehindert wurden (Erman, Such) oder vor 1933 starben (Hugo Preuß), stellte sich den Referenten bzw. Autoren das immer noch heikle Problem, ihr Verhalten in der NS-Zeit und die Fortsetzung ihrer Wirksamkeit in der Nachkriegszeit zu thematisieren. Dies ist allen Autoren in angemessener Weise gelungen, was umso mehr hervorgehoben zu werden verdient, als es sich zum Teil um die akademischen Lehrer handelt.
Gerade wenn man allgemeine Regeln der Moral und des Anstandes als Maßstäbe für die Bewertung von Lebensläufen akzeptiert, bleibt doch gerade in diesem Bereich eine besondere Spannung mit der an jede seriöse Biographie zu stellenden Forderung, der individuellen Lage der jeweiligen Person gerecht zu werden. Natürlich kann man mit Rüthers feststellen, daß auch in der NS-Zeit niemand gezwungen worden sei, zu publizieren und sich der Nachwelt gegenüber zu kompromittieren oder zum aktiven Mitläufer, zum Mittäter oder gar zum aktiven Mitgestalter eines menschenverachtenden Systems zu werden. Dennoch wird man zwischen diesen Stufen sowie beispielsweise danach zu unterscheiden haben, ob der Sündenfall von einem jungen Rechtsadepten zu Beginn seiner Karriere oder von einem bereits etablierten Wissenschaftler aus Konformismus oder Beflissenheit begangen worden ist. Auch insofern kann man den Autoren bescheinigen, daß sie ihre Aufgabe angemessen erfüllt haben.
Biographische Darstellungen bergen genrebedingt ihre Spannung regelmäßig in sich. Doch auch bei Berücksichtigung dieser Ausgangslage ist hervorzuheben, daß die Beiträge dieses Bandes – wenn auch natürlich in unterschiedlichem Ausmaß – nicht nur eine informative, sondern auch eine anregende Lektüre bieten. Will man überhaupt einen Beitrag hervorheben, so könnte es derjenige des leider kürzlich verstorbenen Kieler Rechtshistorikers Jörn Eckert sein, der für seinen Beitrag offenbar auf unveröffentlichtes Material zugreifen konnte.
Hagen/Westfalen Thomas
Vormbaum
[1] Thomas Vormbaum, Juristen-Leben, in: Beiträge
zur Rechtswissenschaft. Festschrift für Walter Stree und Johannes Wessels.
Heidelberg 1993, S. 1247ff.
[2] Liselotte Steveling, Juristen in Münster. Ein
Beitrag zur Geschichte der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der
Westfälischen Wilhelms-Universität Münster/Westf. 1999.
[3] Klaus-Peter Schroeder, Vom Sachsenspiegel zum
Grundgesetz. Eine deutsche Rechtsgeschichte in Lebensbildern. München 2001.
Besprechung in dieser Zeitschrift von Hans Hattenhauer, ZRG GA 119 (2002).
[4] Gerd Kleinheyer/Jan Schröder, Deutsche
und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten. Eine biographische Einführung
in die Geschichte der Rechtswissenschaft. 4. Auflage. Heidelberg 1996
(ursprünglicher Titel: Deutsche Juristen aus fünf Jahrhunderten).
[5] Harald Franzki/ Klaus Schmalz/ Helmut
Heinrichs (Hrsg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993.
Besprechung in dieser Zeitschrift von Theo Mayer-Maly ZRG 112 (1995), 667.
[6] Hermann Weber (Hrsg.), Juristen als Dichter.
(Recht, Literatur und Kunst in der NJW, Band 2). Baden-Baden 2002.
[7] Hermann Weber (Hrsg.), Dichter als Juristen
(Recht, Literatur und Kunst in der NJW, Band 6). Berlin 2004.
[8] Stolleis,
Michael (Hrsg.), Juristen. Ein biographisches Lexikon. Von der Antike bis zum 20.
Jahrhundert. München 1995. Besprechung in dieser Zeitschrift von Elmar Wadle,
ZRG GA 116 (1999), 685.