Weiss, Markus K., Rechtsfähigkeit, Parteifähigkeit und Haftungsordnung der BGB-Gesellschaft nach dem Grundlagenurteil des Bundesgerichtshofs vom 29. 01. 2001 (= Würzburger rechtswissenschaftliche Schriften 58). Ergon Verlag, Würzburg 2005. 274 S. Besprochen von Urte Nesemann.
Im Mittelpunkt der Würzburger Dissertation von Markus K. Weiss steht das Grundlagenurteil des Bundesgerichtshofs vom 29. 01. 2001, mit dem das Gericht der BGB-(Außen-)Gesellschaft Rechtsfähigkeit, aktive und passive Parteifähigkeit zuerkannt sowie die Haftung der Gesellschafter für die im Namen der Gesellschaft eingegangenen Verbindlichkeiten als akzessorische Haftung qualifiziert hat. Auf Seite 31 formuliert Weiss als Ziel seiner Arbeit, die Frage nach dem Wesen und der Rechtsnatur der Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu klären. Das Vorhaben gelingt ihm. Dabei leistet er einen wertvollen Beitrag weniger zur Rechts- und Dogmengeschichte als zum praktisch-dogmatischen Verständnis der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts.
Weiss gliedert seine Arbeit in vier Teile. Im verhältnismäßig kurzen ersten Teil schildert Weiss die Ausgangslage der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (S. 21-31). Der zweite Teil befasst sich mit der Entwicklung der Rechtsfähigkeit, der Parteifähigkeit und der Haftungsordnung der Gesellschaft in Rechtswissenschaft, Gesetzgebung und Rechtsprechung im Verlauf des 20. Jahrhunderts (S. 33-87). Den Schwerpunkt der Arbeit bildet der dritte Teil, in dem sich der Verfasser ausführlich mit dem Urteilsinhalt vor allem unter rechtsmethodischen Gesichtspunkten auseinandersetzt (S. 89-173). Weiss rundet seine Arbeit mit einigen ausgewählten Konsequenzen des Urteils des Bundesgerichtshofs im vierten Teil ab (S. 175-237).
Bei der einleitenden Auseinandersetzung mit der Ausgangslage der Gesellschaft bürgerlichen Rechts beschränkt sich Weiss darauf, die beiden, bereits vielfach geschilderten, starken Strömungen des römischen und des deutschen Personengesellschaftsrechts herauszuarbeiten. Er schildert kurz das Wesen der römisch-rechtlichen societas als mit bloßer Innenwirkung ausgestattete schuldrechtliche Verbindung der Gesellschafter. Das „Gesellschaftsvermögen“ gehörte den Mitgliedern als Miteigentümern nach Bruchteilen (communio). Anders als das römische Recht bildete sich im deutschen Recht das Wesen der Gesamthand heraus. Charakteristisch für diese Gesellschaftsform ist die Zuordnung des Gesellschaftsvermögens zum Eigentum einer Gemeinschaft verbundener Personen. Die Gesamthand hat einen höheren Grad an Verselbständigung als die societas. Die Entstehungsgeschichte der gesellschaftsrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs erzählt Weiss anhand der Berücksichtigung der römischen und der deutschrechtlichen Auffassung. Während sich der erste Entwurf zum Bürgerlichen Gesetzbuch noch an der societas orientierte, gewann das deutsche Recht mit fortschreitender Gesetzgebungsarbeit zunehmend an Bedeutung und fand seinen Niederschlag im zweiten Entwurf und in der endgültigen Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (S. 27f.). So kam es vor allem zu der Konstruktion des Gesellschaftsvermögens als Gesamthandsvermögen. Versehentlich wählt Weiss in diesem Zusammenhang die Überschrift „Entwicklungsstand zu Beginn des 19. Jahrhunderts“ (S. 28), obwohl sich der Abschnitt auf das Ende des 19. Jahrhunderts bezieht. Weiss kommt zu dem Ergebnis, dass die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über Rechtsnatur und Wesen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts keine Aussage treffen (S. 30f.). Wie bereits der Umfang dieses ersten Teils erkennen lässt, bildet die Geschichte der Gesellschaft bürgerlichen Rechts vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs keinen Schwerpunkt der Arbeit. Weiss setzt sich nur am Rande mit Juristen des 19. Jahrhunderts auseinander. Er betrachtet die damalige Diskussion durch die Brille seiner Zeit.
Ausführlicher wendet sich Weiss im zweiten Teil der Schilderung der Entwicklungslinien im 20. Jahrhundert zu, weshalb sich das Buch als Beitrag zur Privatrechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts lesen lässt. Hier haben sich zur Frage der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts vornehmlich zwei Theorien herausgebildet: die traditionelle Lehre und die Gruppenlehre. Nach der traditionellen Lehre (Larenz, von Thur, Zöllner u. a.), die bis in die 70er Jahre vorherrschend war, besitzen ausschließlich die Gesellschafter Rechtssubjektsqualität. Das Vermögen wird zu einem zweckgebundenen Sondervermögen, das den Gesellschaftern gemeinsam zusteht (=gesamthänderisch gebundene Vielheit, S. 38ff.). Der Gruppenlehre wurde in den 70er Jahren durch Flume zum Durchbruch verholfen. Sie beherrschte seitdem die wissenschaftliche Diskussion. Weiss vermutet, dass das Aufflammen des Streits mit der zunehmenden rechtstatsächlichen Bedeutung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts zusammenhängt (S. 44ff.). Die Gruppenlehre versteht die Gesamthand in Anlehnung an die deutschrechtliche Tradition als eine Gruppe mit Handlungs- und Rechtszuständigkeit für alle Gesamthänder. Träger des Gesellschaftsvermögens sollen nicht die einzelnen Gesamthänder in ihrer gesamthänderisch gebundenen Vielheit sein, sondern die Gesellschaft als verselbständigte, rechtsfähige Organisationseinheit (S. 49f.). Im Anschluss an die Rechtsfähigkeit schildert Weiss die Entwicklung der Parteifähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Schon an dieser Stelle wird deutlich, dass die Parteifähigkeit in der rechtswissenschaftlichen Diskussion um Wesen und Rechtsnatur der Gesellschaft bürgerlichen Rechts im Vergleich zur Rechtsfähigkeit von untergeordneter Relevanz war. Dementsprechend sorgte das Urteil vom 29. 1. 2001 mit der Anerkennung der Parteifähigkeit für eine sehr große Überraschung. Der Sinneswandel zur Entscheidung für die Rechtsfähigkeit hatte sich schon im Vorwege angekündigt (S. 59ff.). Weiss gibt einen kurzen Überblick über die Rechtsprechung im 19. Jahrhundert, die Personengesellschaften in vielen Fällen Parteifähigkeit zuerkannte und damit den Umgang im Rechtsverkehr erleichterte (S. 68). Tiefergehende Untersuchungen wären an dieser Stelle sicher interessant gewesen, insbesondere auch vor dem Hintergrund der entsprechenden materiellrechtlichen Behandlung der Gesellschaften. Auch hätte ein Hinweis auf die von Lothar Seuffert zur Parteifähigkeit geäußerte Einschätzung erfolgen können, der bereits im Jahre 1896 der Gesellschaft bürgerlichen Rechts die aktive und passive Parteifähigkeit zuerkennen wollte, weil es ein vom Vermögen der Gesellschafter getrenntes Gesellschaftsvermögen gab (ZZP 22 [1896], 322 [326 f.] und [361f.]; ein nur kurzer Hinweis auf Seuffert erfolgt in anderem Zusammenhang auf S. 141).
Die Haftungsordnung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts war und ist auch nach dem Grundlagenurteil des Jahres 2001 umstritten. Weiss benennt als zentrales Problem die Tatsache, dass das Gesetz mit dem privaten und dem gemeinschaftlichen Vermögen der Gesellschafter von zwei Vermögensmassen ausgehe, aber Unklarheiten über das Verhältnis dieser Vermögensmassen zueinander sowie Inhalt und Umfang der persönlichen Haftung der Gesellschafter belasse (S. 74). Weiss verschafft einen gelungenen Überblick über die verschiedenen Haftungsmodelle, die sich unter Zugrundelegung der traditionellen Lehre und der Gruppenlehre entwickelt haben (S. 74ff.). Zur historischen Abrundung hätte Weiss die interessante Parallele zu den Handelsgesellschaften in Baden ziehen können, die – hergeleitet aus Art. 69 Nr. 6 Code de Procedure Civile – selbständige Rechtssubjekte waren. In diesem Zusammenhang hätte eine Beschäftigung mit der Dissertation von Frank Thomas zur persönlichen Haftung von Personengesellschaften in der historischen Entwicklung der Neuzeit (2003) erfolgen können (vgl. dort S. 157ff.).
Zwar liefert Weiss in diesem Abschnitt seiner Arbeit keine umfassende dogmengeschichtliche Analyse, er stellt jedoch die Überzeugungen und Prinzipien der beiden Hauptströmungen zu Wesen und Rechtsnatur der Gesellschaft bürgerlichen Rechts vor und zeigt deren Repräsentanz in Rechtswissenschaft, Gesetzgebung und Rechtsprechung.
Den Hauptteil der Arbeit nimmt die Auseinandersetzung mit dem Grundlagenurteil des Bundesgerichtshofs vom 29. 1. 2001 ein. Weiss zieht die Schilderung des Sachverhalts und verfahrensrechtliche Anmerkungen – die zur vollständigen Befassung mit dem Urteil erforderlich waren – vor die von ihm ins Zentrum gerückten Fragen nach Rechtsfähigkeit, Parteifähigkeit und Haftung der Gesellschafter (S. 89-96). Die intensive Erörterung der drei zentralen Probleme erfolgt umfassend. Der systematische Aufbau erleichtert die Nachvollziehbarkeit der teilweise komplexen Gedankengänge. Eine wichtige Rolle spielt die Untersuchung des Urteils unter rechtsmethodischen Fragestellungen. Weiss befasst sich nicht nur mit den inhaltlichen Ergebnissen des Urteils, sondern untersucht, ob diese den rechtsmethodischen Regeln standhalten. Die von dem Bundesgerichtshof ins Zentrum seiner Begründungen gestellten historischen Argumente greift Weiss auf. Im Wege der historisch-genetischen Auslegung der §§ 705ff. BGB setzt sich Weiss ausführlich mit den entsprechenden Gesetzesmaterialien auseinander. Die Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien spielt für Weiss eine wichtige Rolle im Rahmen der rechtsmethodischen Überprüfung und Aufarbeitung des Urteils des Bundesgerichtshofes. In der Tat bildet die historische Interpretation ein wichtiges Kriterium im Rahmen der Auslegung von Gesetzen. Zu beachten ist dabei, dass die Normen in ständigem Kontext zu den sich wandelnden sozialen Umständen und ethischen Wertvorstellungen der Gesellschaft stehen. Der Wandel dieser Gegebenheiten kann in den Grenzen des möglichen Wortsinns der auszulegenden Normen eine entsprechend zu rechtfertigende Distanzierung von dem gesetzgeberischen Willen erforderlich machen. Weiss weist an verschiedenen Stellen auf die Veränderung der Bedeutung der Gesellschaftsform und die erforderliche Anpassung an die praktischen Bedürfnisse hin (S. 127ff., 156f., 169ff.).
Weiss schildert nachvollziehbar, dass das Urteil hinsichtlich der Frage nach der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (weitgehend) im Einklang mit Rechtsdogmatik und Rechtsmethodik ergangen ist (S. 103-130). Die umfangreiche historische Interpretation der §§ 705ff. BGB ergibt für den Bundesgerichtshof und Weiss, dass der Wortlaut der Normen keine Rückschlüsse auf Wesen und Rechtsnatur zulasse. Vielmehr habe sich der Gesetzgeber bei der Gestaltung der gesellschaftsrechtlichen Normen in Kenntnis des noch anstehenden Diskussionsbedarfs bewusst nicht auf eine feste Dogmatik des Gesellschaftsrechts festlegen wollen (S. 106ff.).
Auch die Entscheidung über die Parteifähigkeit untersucht Weiss unter rechtmethodischen Gesichtspunkten (S. 137-157). Hier wünscht sich der Verfasser mit Recht eine „dogmatisch und methodisch stringentere“ Begründung der rechtspolitisch relevanten Anerkennung der Parteifähigkeit (S. 157). Weiss ergänzt die Begründung des Bundesgerichtshofs um weitere Argumente, so u. a. um die Vermutung, dass der Gesetzgeber auch im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Parteifähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts keine abschließende Regelung habe treffen wollen (S. 143ff.).
Der vom Bundesgerichtshof angenommenen akzessorischen Gesellschafterhaftung
für Verbindlichkeiten der Gesellschaft bürgerlichen Rechts stimmt Weiss zu. Der
Bundesgerichtshof sieht die akzessorische Haftung als zwingende Konsequenz der
Anerkennung der Rechtsfähigkeit. Weiss stellt fest, dass dieser
Begründungsansatz rechtmethodisch wenig überzeugend sei. Zum einen sei nicht
offensichtlich, dass eine für eine zulässige richterliche Rechtsfortbildung
erforderliche gesetzliche Regelungslücke bestehe (S. 161ff.). Zum anderen hätte
der Bundesgerichtshof für eine Analogie zu §§ 128f. HGB die Vergleichbarkeit
der Interessenlage bei der offenen Handelsgesellschaft und der Gesellschaft bürgerlichen
Rechts positiv begründen müssen (S. 163ff.). Abschließend hält Weiss fest, dass
sich in der Rechtspraxis erst noch herausstellen müsse, inwieweit das
Haftungsmodell des Bundesgerichtshofs zu mehr Rechtssicherheit und Rechtsklarheit
im Gesellschaftsrecht beitrage (S. 171).
Weiss zeigt die große Zahl praxisrelevanter Folgefragen aus dem Grundlagenurteil auf (S. 175f.) und beschränkt die ausführlichere Erörterung auf die für ihn wichtigsten Aspekte: Typisierung der Gesellschaften bürgerlichen Rechts (S. 176ff.), Rechtsnatur (S. 194ff.), Übertragbarkeit der Rechtsprechungsgrundsätze auf die Erbengemeinschaft (S. 202ff.), Grundbuchfähigkeit (S. 208ff.), Beteiligung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts an anderen Personenvereinigungen (S. 218ff.), die Haftung für deliktisches Verhalten (S. 225ff.) und die Haftung neu eintretender Gesellschafter für Altverbindlichkeiten der Gesellschaft (S. 234ff.). Weiss stellt die Kernprobleme jeweils in angemessener Kürze dar, setzt sich mit jeder dieser Fragen kritisch auseinander und zeigt konsequente Lösungsmöglichkeiten auf.
Weiss hat eine große Fülle der relevanten wissenschaftlichen Beiträge der neueren Zeit verarbeitet. Nicht berücksichtigt hat Weiss die Dissertation Sybille Seiferleins aus dem Jahr 2004 über die Rechtsfähigkeit der BGB-Außengesellschaft unter Betrachtung ausgewählter Folgeprobleme sowie die Dissertation Thomas Wächters (2002, vgl. dazu die Besprechung Werner Schuberts in Band 121 [2004] dieser Zeitschrift), der sich intensiv mit der Entwicklung der Gesamthandsgemeinschaften bis zum Bürgerlichen Gesetzbuch beschäftigt und die von Weiss in das Zentrum des geschichtlichen Teils gestellten römischen und germanischen Linien ausführlich behandelt. Nur am Rande hat er Stimmen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu Wort kommen lassen.
Weiss hat das wissenschaftlich schon viel beackerte Feld „Rechtsnatur und Wesen“ der Gesellschaft bürgerlichen Rechts sorgfältig bearbeitet. Seine Arbeit durchzieht eine klare Linie: Weiss hat die römisch- und deutschrechtlich geprägten Strömungen und deren verschlungene Wege im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts herausgefiltert und die Auswirkungen des Grundlagenurteils auf das bis dahin von diesen Strömungen beherrschte Recht der Gesellschaften bürgerlichen Rechts nachvollziehbar erörtert. Letzteres ist offensichtlich das Hauptanliegen von Weiss. Die historischen Aspekte nutzt Weiss vor allem, um die Bedeutung des Grundlagenurteils herauszustellen und dessen Verständnis zu fördern. Die hinter der Arbeit stehende Motivation scheint weniger im dogmengeschichtlichen als im methodischen Bereich zu liegen. Die aktuelle wissenschaftliche Diskussion um das Grundlagenurteil hat daher vor allem unter methodischen Gesichtspunkten durch die klare Aufarbeitung des Stoffes hinzugewonnen.
Hamburg Urte
Nesemann