Webler, Meike, Leben und Werk des Heidelberger Rechtslehrers Richard Carl Heinrich Schroeder (1838-1917). Ein Rechtshistoriker an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert (= Schriften zur Rechtsgeschichte 124). Duncker & Humblot, Berlin 2005. 351 S. Ill. Besprochen von Werner Schubert.
Anders als die Germanisten Heinrich Brunner, Karl von Amira und Otto von Gierke ist Richard Schroeder heute kaum mehr präsent; lediglich sein „Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte“ (zu seinen Lebzeiten in 5 Auflagen, ab 1889) wird wegen seines Stoffreichtums und der umfassenden Literaturnachweise noch heute herangezogen. Es ist deshalb zu begrüßen, dass sich Webler der Biographie des zu seinen Lebzeiten allgemein anerkannten und einflussreichen Germanisten angenommen hat. Im ersten Teil (S. 20-159) geht Webler dem Leben Schroeders und der Entwicklung seiner Persönlichkeit nach. Geboren 1838 in Treptow an der Tollense als Sohn einer mecklenburg-pommerschen Familie entstammenden preußischen Richters (seit 1849 Rechtsanwalt und Notar) studierte Schroeder von 1857 bis 1861 in Berlin und Göttingen. Der Studienabschluss erfolgte 1861 mit der Promotion. Überwiegend von Beseler beeinflusst, habilitierte er sich nach vorzeitiger Beendigung des Referendariats im Herbst 1863 in Bonn mit einer Schrift über das eheliche Güterrecht zur Zeit der Volksrechte. Schroeder blieb zunächst in Bonn (zuletzt als ord. Professor), bis er 1873 nach Würzburg wechselte. Weitere Stationen seiner akademischen Laufbahn waren Straßburg, Göttingen und zuletzt Heidelberg, wo er bis zu seinem Tod 1917 lehrte und forschte. Wie die Übersicht der von ihm gehaltenen Vorlesungen zeigt (S. 276ff.), verfügte Schroeder über ein umfangreiches Repertoire, zu dem seit 1900 das Sachenrecht, das Familienrecht und das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs hinzukamen. Seine Arbeitsschwerpunkte waren außer der Geschichte des ehelichen Güterrechts das sächsische und fränkische Recht sowie die Herausgabe von Urkunden (Weistümer; badische Stadtrechte). Auf diese Schwerpunkte geht Webler im zweiten Hauptteil ihres Werkes detailliert ein (S. 160-267). Die Arbeiten Schroeders zur Geschichte des ehelichen Güterrechts liegen nach Webler auf der „Grenze zwischen historisch-dogmatischer und rein rechtshistorischer Forschung“. Nach Schroeder beruhte das eheliche Güterrecht der fränkischen Zeit im Allgemeinen „auf dem Güterstand der Verwaltungsgemeinschaft, in dem der Mann als Muntherr das Vermögen der Frau in Besitz nahm, um es gemeinschaftlich mit den Seinigen für die Zwecke der Ehe zu verwalten“ (Schroeder, Deutsche Rechtsgeschichte, 5. Aufl. 1907, S. 217). Hieraus entwickelte sich im Mittelalter in weiten Gebieten Deutschlands die partikuläre und allgemeine Gütergemeinschaft, ein Forschungsergebnis, das „bis heute unwiderlegt“ (Webler, S. 178) ist und den weiteren Forschungen als Grundlage diente. Als ausgewiesenen Kenner der Materie beauftrage die BGB-Redaktorenkonferenz Schroeder Ende 1874 mit einem Gutachten für das System der partikulären Gütergemeinschaft (einschließlich eines Entwurfs), das sich nach Schroeder als gesetzliches Güterrecht aus Gründen der historischen Kontinuität empfahl (S. 82ff.). Jedoch sprach sich die 1. BGB-Kommission bereits 1875 mit großer Mehrheit für die Verwaltungsgemeinschaft (Nutznießung und Verwaltung durch den Ehemann) aus (vgl. H. H. Jakobs/W. Schubert, Beratung des BGB, Familienrecht I, 1987, S. 366ff., 375f.). An der Regelung des 1. BGB-Entwurfs kritisierte Schroeder die Verweisung auf die Vorschriften über den Nießbrauch, die den Ehemann als Nutznießer und Verwalter zweiter Klasse darstelle (Webler, S. 263), eine Regelung, welche die 2. Kommission abänderte. Für diese Kommission wurde Schroeder trotz eines Vorschlags Badens (als nichtständiges Mitglied) nicht gewählt, nachdem ihn der Staatssekretär des Reichsjustizamts Oehlschläger als „wenig bedeutend, mehr Philologe als Jurist“ gekennzeichnet hatte (W. Schubert, Beratung des BGB, Materialien, S. 348; Webler, S. 126 f.). Dies ist zu bedauern, zumal Schroeder durchaus in der Lage war, präzise Gesetzesvorschläge zu unterbreiten, wie sein Gesetzesentwurf von 1875 zeigt.
Schroeders „Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte“, dessen methodische Grundlagen Webler herausarbeitet, beruht auf einer synchronistischen juristischen Rechtsgeschichte, allerdings mit „historisch geprägten Ansätzen“ (S. 224), da Schroeder weiterhin auch Historiker blieb: „Mittels dogmatischer Konstruktion gelang es ihm, geschichtliche Aspekte in rechtlicher Hinsicht genau zu begreifen und die Rechtsgeschichte juristisch zu erfassen. Diese Methodik anerkannte er aber nur insoweit, wie dadurch die Eigentümlichkeiten rechtlicher Begriffe innerhalb einer Epoche berücksichtigt werden konnten. Zur trennscharfen Erfassung eines Begriffs kombinierte er jedoch die juristische Methodik mit der Authentizität der Quellen“ (S. 224). Die politische Geschichte war mithin nicht mehr Bestandteil der rechtshistorischen Darstellung. Seine Arbeiten zur fränkischen Gerichtsverfassung beeinflussten die zeitgenössische Forschung erheblich, wenn auch seine Ansichten teilweise noch zu seinen Lebzeiten widerlegt wurden (S. 243ff.). Das Werk Weblers wird abgeschlossen mit einem knappen Schlussteil, mit einem Verzeichnis der Schriften Schroeders (ein Verzeichnis der von ihm betreuten Dissertationen und Habilitationen fehlt), den Nachlassverzeichnissen und einem hinreichend detaillierten Sach- und Personenregister.
Zum Abschluss der Lektüre des Werkes von Webler stellt sich
für den Leser die Frage, weshalb Schroeder heute weitgehend in Vergessenheit
geraten ist (vgl. S. 17), obwohl er so bedeutende Schüler wie Konrad
Beyerle, der sich allerdings bei Ulrich Stutz habilitierte, Otto
Gönnewein, Rudolf His, Leopold Perels und Eberhard Freiherr von Künßberg
hatte, die ihrerseits wieder die deutsche Rechtsgeschichte mit zum Teil heute
noch lebenden Schülern förderten. Die Arbeiten Schroeders zum ehelichen
Güterrecht fanden bis heute kaum Nachfolger, zumal seine Forschungsergebnisse
sich bislang als kaum angreifbar erwiesen haben. Die „Deutsche
Rechtsgeschichte“ stellt so etwas wie einen „Windscheid“ auf dem Gebiete der
Germanistik dar, der ähnlich wie Windscheid mit einem „hohen Maß an
Übersichtlichkeit“ (S. 212) die vorhandenen Arbeiten zusammen- und gegenüberstellte
sowie fachlich bewertete. Von einem solchen Werk aus der Spätzeit der reinen
Germanistik, welches das römisch-gemeine Recht und das Zeitalter der
Naturrechtskodifikationen weitgehend vernachlässigte, konnten mit der
Etablierung der (Privat-)Rechtsgeschichte der Neuzeit, welche auch die
gesamteuropäischen Entwicklungen herausarbeitete, kaum mehr weiterführende
Impulse ausgehen. Für die germanisch-fränkische, mittelalterliche Linie der
deutschen Rechtsgeschichte bleibt die „Deutsche Rechtsgeschichte“ jedoch,
worauf Hermann Conrad, Karl Kroeschell und Ulrich Eisenhardt
hingewiesen haben, ein, wenn auch teilweise inhaltlich und methodisch
überholtes Standardwerk, das unter von Künßberg noch 1932 die 7. Auflage
erlebte. Es war vornehmlich Schroeder, der mit seinen Arbeiten die
Existenzberechtigung „der Deutschen Rechtsgeschichte“ als juristische
Teildisziplin über die Zeit des Inkrafttretens des BGB gesichert hat. Webler
hat die Bedeutung Schroeders für die „Deutsche Rechtsgeschichte“ und deren
Methodik präzise herausgearbeitet, ohne sie in der allzu knappen
„Schlussbemerkung“ noch einmal zusammenfassend breiter zu thematisieren. Mit
ihrem souverän geschriebenen Werk hat Webler einen wichtigen Beitrag zur
Wissenschaftsgeschichte der Germanistik um 1900 vorgelegt und damit zugleich
mit Schroeder einen ihrer im zeitgenössischen Zusammenhang bedeutendsten
Vertreter erschlossen, der über zwanzig Jahre lang die wissenschaftliche
Leitung des bis heute noch nicht abgeschlossenen „Deutschen Rechtswörterbuchs“
geleitet hat.
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Werner Schubert |