Voigt, Katrin, Der Schutz nationaler ungarischer
Minderheiten durch ihren Ursprungsstaat aufgrund des ungarischen Statusgesetzes
und dessen Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht (= Europäische Hochschulschriften
2, 4260). Lang, Frankfurt am Main 2005. 413 S. Besprochen von Dieter Kugelmann.
Der Schutz
von Minderheiten ist nach wie vor ein Sachgebiet von erheblicher rechtlicher
und politischer Bedeutung. Die Vorgänge um die zweisprachigen Ortstafeln in
Kärnten und die Missachtung eindeutiger Entscheidungen des österreichischen
Verfassungsgerichtshofes sind nur ein Beispiel für die immer neue Brisanz der
Auseinandersetzungen um den Minderheitenschutz. Rechtlich wird der Schutz von
Minderheiten durch das Völkerrecht und durch das innerstaatliche Recht
gewährleistet. An der Schnittstelle der beiden Rechtsordnungen befasst sich die
vorliegende Dissertation mit dem ungarischen Statusgesetz und dessen
Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht. Diese Vereinbarkeit wird nahezu in Form
eines Rechtsgutachtens detailliert geprüft.
Regelungsgegenstand
des ungarischen Statusgesetzes ist die Gewährung von Privilegien an ethnische
Ungarn, die in anderen Staaten ihren Wohnsitz haben und die dortige Staatsangehörigkeit
besitzen. Nach Erwerb eines sog. „Ungarnausweises“ konnten diese Personen nach
der ersten Version des Gesetzes Anspruch auf erleichterte Einreise, den
gleichberechtigten Zugang zu Studienplätzen und kurzzeitig zum ungarischen
Arbeitsmarkt oder auch die Übernahme von Kosten für Gesundheitsdienstleistungen
in bestimmten Fällen erheben. Die Besonderheit des ungarischen Statusgesetzes
liegt darin, dass darüber hinaus Vergünstigungen an Berechtigte in ihrem
Aufenthaltsstaat gewährt werden, nämlich Unterrichtsbeihilfen für Familien, die
mindestens zwei Kinder in ungarisch-sprachige Schulen schicken, Stipendien für
Studenten und Förderung von Einrichtungen zum Erhalt der ungarischen Sprache
und Kultur. An dieser Stelle setzt die Kritik der Venedig-Kommission des
Europarates an. Sie sieht eine Verletzung des Prinzips der territorialen
Souveränität, des Diskriminierungsverbotes, des Prinzips der freundschaftlichen
nachbarschaftlichen Beziehungen und der Einhaltung des Grundsatzes pacta sunt
servanda.
Diese
Kritikpunkte zeichnet Voigt im
einzelnen nach und unterzieht sie einer genauen Prüfung. Sie legt als
Prüfungsmaßstab die universellen Regelungen der UN-Charta und der
Menschenrechtsinstrumente der Vereinten Nationen sowie die regionalen
Regelungen der EMRK und insbesondere des Rahmenübereinkommens zum Schutz
nationaler Minderheiten an. Hinzu kommen bilaterale Verträge Ungarns mit seinen
Nachbarstaaten. Die Verfasserin zieht zudem Dokumente der KSZE/OSZE und
insbesondere das Kopenhagener Abschlussdokument von 1990 heran, das zweifellos
für die politische Entwicklung des Minderheitenschutzes in Europa einen
Meilenstein bedeutete. Allerdings wendet sie das Dokument ohne weitere Klärung
wie einen Vertrag an und subsumiert die Regelungen des ungarischen Gesetzes.
Dies hätte zumindest einer ausführlichen Begründung bedurft, weil die Dokumente
der OSZE grundsätzlich lediglich politischen Charakter tragen, aber keine
rechtlich bindende Wirkung entfalten. Im Ergebnis stimmt Voigt der Venedig-Kommission zu
und hält die Ursprungsfassung des ungarischen Statusgesetzes für mit dem
Völkerrecht unvereinbar. Diese Fassung wurde aufgrund der Kritik des
Europarates, der EU-Kommission und einiger Nachbarstaaten Ungarns geändert. Die
Neufassung des Statusgesetzes ist in modifizierter Form am 11. Juli 2003 in
Kraft getreten. Die Vergünstigungen hinsichtlich des kurzzeitigen Zugangs zum
Arbeitsmarkt und zu den Gesundheitsleistungen sind entfallen. Die Verfasserin
unternimmt eine erneute Prüfung und verdoppelt dadurch ihre Prüfungsschritte.
Sie sieht einige Verletzungen des Völkerrechts als ausgeräumt an, wertet aber
doch Teile des Gesetzes aufgrund ihres Anwendungsbereiches als
völkerrechtswidrig.
Die Arbeit
überzeugt durch ihre Gründlichkeit. Zwar wären einige Kürzungen angebracht
gewesen und gelegentlich mangelt es an sprachlicher Eleganz. Trotz einiger
Umständlichkeiten, wie sie bei Erstlingsarbeiten gelegentlich vorkommen,
handelt es sich jedoch um eine sorgfältig gearbeitete und von vertiefter
Kenntnis des Völkerrechts zeugende Dissertation, die erhellende Einblicke in
die ungarische Rechtsordnung ermöglicht. An einem konkreten Beispiel
verdeutlicht die Arbeit die Spannungen zwischen dem völkerrechtlichen und dem
innerstaatlichen Minderheitenschutz. Das Prüfungsraster, das Voigt detailliert ausarbeitet,
kann für andere Fallkonstellationen des Minderheitenschutzes von erheblichem
Nutzen sein.
Mainz Dieter
Kugelmann