Symbolische Kommunikation vor Gericht
in der frühen Neuzeit, hg. v. Schulze, Reiner (= Schriften zur
europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 51). Duncker & Humblot,
Berlin 2006. 378 S., 10 farb. Bildtaf. Besprochen von Louis Carlen.
Der Band enthält die
deutschen, englischen und französischen Vorträge eines Symposions, das im April 2005 Rechtswissenschaftler und Historiker aus
acht Ländern zusammenführte. Reiner Schulze gibt eine gehaltvolle Einführung, in der er
symbolische Kommunikation vor Gericht während der frühen Neuzeit in historisch-vergleichenden Perspektiven umreißt. Er streift
die mittelalterlichen Grundlagen und zeigt, welchem Wandel diese in der
Neuzeit unterlagen und welche Fragen sich der Forschung zur frühen Neuzeit
stellten. Dabei kommt er zur Erkenntnis, dass „im Rahmen der weithin fortbestehenden oralen Rechtskultur Symbole und
Rituale herausragende Bedeutung
behielten“. Er frägt auch, welchen Einfluss die Verwissenschaftlichung und Professionalisierung auf
gerichtliche Rituale und Symbole hatte.
Das erste der drei
behandelten Untersuchungsfelder befasst sich mit Formen der Mündlichkeit im Gericht. Peter Oestmann zeigt den Wandel am Ingelheimer Oberhof auf anhand von 9 Fallstudien aus der Zeit
zwischen 1399 und 1442. Er stellt fest, „dass es in den einschlägigen
Fällen um weit mehr ging als um inhaltsleeren Prozessformalismus.
Von der traditionellen Lehre von der Formstrenge und von Erholung und Wandel bleibt jedenfalls in Ingelheim
nicht viel übrig“.
Franz-Josef Arlinghaus arbeitet
Gleichwertigkeit und Unterschiede zwischen der spätmittelalterlichen formelhaften Gerichtssprache und der
frühneuzeitlichen Gelehrtensprache heraus. Er zieht die Ordnung des
Kölner Hochgerichtes aus dem 14. Jahrhundert
herbei, um die Kommunikationsstruktur des mittelalterlichen Verfahrens festzustellen, stellt drei Thesen über
die Funktionen des Formalismus auf und zeigt Unterschiede zwischen
Sprachformeln und Fachsprache auf.
Claude Gauvard behandelt die Rituale und Rededuelle von Kläger
und Verteidiger in Straffällen im
endenden Mittelalter vor dem Parlament von Paris, der höchsten gerichtlichen
Instanz des französischen Königreichs. Er führt aus, dass die lebendige Rede der Advokaten aus dem Gericht ein
geschlossenes, ritualisiertes Feld machte,
in dem mit Worten statt vollstreckten Strafen die Wiedergutmachung erfolgte.
Bastiaan D. van der Velden befasst sich mit dem Gebrauch der
Volkssprache vor Gericht im niederländischen
Friesland im 19. Jahrhundert und gibt damit Einblick in die sprachliche
Situation in diesen Gerichten, vor allem aufgrund von Zeitungsberichten. Erläutert wird auch die
Auseinandersetzung über den Gebrauch des
Friesischen im Amtsverkehr (1900-1933).
Der zweite Teil ist „Gesten und Symbolen im Gericht“ gewidmet und wird
eingeleitet von Wolfgang Schild, der über „Die Strafgerichtsverhandlung als
Theater des Rechts“ schreibt. Er betrachtet das Theater des Rechts als „die
Inszenierung einer Nicht-Inszenierung, von
Rationalität und Anwendungslogik“. In diesem Theater des Rechts wird die Rechtsvorstellung zur Erscheinung oder zum
Scheinen gebracht.
Lars Ostwaldt geht der Frage nach: „Was
ist ein Rechtsritual?“ In seiner Definition
grenzt er Begriffe wie Brauch, Sitte, Routine, Gewohnheit und Zeremonie vom Ritual ab und klärt dessen
Verhältnis zu Formalismus und Symbolismus.
Er erläutert, in welchen Epochen sich vorzugsweise Rechtsrituale finden. Sie spielen heute eine viel geringere
Rolle als in früheren Zeiten, wofür Ostwaldt als Grund die Herauslösung des
Rechts aus überindividuellen Vorstellungswelten
wie Magie und Religion sieht, an deren Stelle sich der Individualismus setzte.
Es gibt zahlreiche Bestimmungen zum Sitzen und Stehen im Prozess, z. B. im Sachsenspiegel oder in der Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. von
1532. Clausdieter Schott untersucht „Die Sitzhaltung des Richters“ anhand
der schriftlichen Quellen und des Bildmaterials und stellt dabei
interessante Einzelheiten fest wie die Beinhaltung
des Richters in Form der Beinverschränkung und die Schwertpräsentation durch den Richter. Beides sind nach Schott „Sitzhaltungen
von Herrschaftsträgern, durch welche deren Präsenz und Potenz markiert werden
soll“.
Christiane
Plessix-Buisset beleuchtet vor allem für
die Bretagne, wie man meinte, den
Mörder überführen zu können, wenn man ihn an die Leiche des Ermordeten führte
und dann bestimmte Zeichen geschahen. Sie zeigt, welche Bedeutung dem augenscheinlichen Beweis in der
bretonischen Praxis des Grand siècle zugemessen wurde.
Königliche Gerichte in Paris und in
den Provinzen Frankreichs fällten ihre Grundsatz-Urteile
in roten Roben und diesen Urteilen kam eine herausgehobene Bedeutung zu. Darum bezeichnet Virginie
Lemmonier-Lesage die rote Robe als das Symbol
des Königtums und der Soouveränität, und die Richter in diesen Roben nahmen teil an der königlichen Würde und ihre
Urteile waren von grundsätzlicher und besonderer Wichtigkeit.
Thomas Glyn Watkin berichtet, dass die Gesetze des mittelalterlichen
Wales reich an Symbolen waren, die
auf frühe Gewohnheiten zurückgingen. Das „lho gweilydd“ war eine solche Gewohnheit, eine rituelle Überprüfung eines
Diebstahls. Symbole benutzte man als
Beweismittel für Eigentum im rechtlichen Verfahren, wobei sich heimische Symbole
den aus dem benachbarten England stammenden Bräuchen anpassten. Eines dieser Symbole war Dadanhudd zum Beweis für friedlichen
Besitz, eine morgendliche Abdeckung der Herdstelle.
Christine D. Schmidt befasst sich mit den Formen und Funktionen der
Hegung des Gerichts als ritueller Akt und wie sich die Hegung im
Verlaufe der frühen Neuzeit gestaltete,
wobei eine erstaunliche Kontinuität und Verbreitung feststellbar ist. Die Verfasserin betont: „durch die Hegung
wird demnach eine Ordnung repräsentiert,
die verbunden ist mit Werten und Wertvorstellungen, deren Bestand für die Rechtspflege unerlässlich ist. Die Hegung
ist daher als Rechtsritual zu bezeichnen
...“
John
W. Cairns untersucht den Gebrauch der Symbole und
Rituale zweier bedeutender Zeremonien schottischer Gerichte. Es geht um
solche, die für die Konstituierung eines
Gerichts unerlässlich waren, wozu eine aus dem 16. Jahrhundert stammende
Beschreibung, der sog. claves curiae, beigezogen wird und die Zeremonie der Hegung, die Rolle des Klägers bei
den Beratungen und des Anwalts und
ihre Auswirkungen auf die Rechtsbildung verfolgt wird.
„Einige Betrachtungen über die Entwicklung der Ausgestaltung der Gerichtssäle in Frankreich
während des 17., 18. und 19. Jahrhunderts“ stellt Jean-Louis Halperin an. Er setzt Gerichtssäle in
einen Zusammenhang mit dem Gerichtsverfahren und der Symbolik und überprüft die
Verfahrensordnung im Spiegel der Gerichtssäle
und der Neugestaltung durch die Französische Revolution auf dem Gebiete
des Strafverfahrens.
Der dritte Teil des Buches ist dem „Gericht
in Text und Bild“ gewidmet und wird eingeleitet mit einem Beitrag Gernot
Kochers über „Prozessuale Interaktion im Bild“. Als Grundlage dafür zieht er den
Belial-Prozess des Jacobus de Thermano herbei, der in 2
Handschriften und 5 Drucken überliefert wird. Kocher untersucht dessen einzelne
Bilder, die ausdrücken, dass die Sache des Klägers keine gerechte war und eine
in Variationen auftretende Gebärdentechnik. Der Autor verfolgt in dieser
Richtung die einzelnen Prozessschritte.
Dem Verhältnis von prozessualer Norm und Rechtswirklichkeit in der beginnenden frühen Neuzeit wendet sich Heiner Lück zu, wenn er „Klagen und ihre Symbolik in
Text, Glosse und Richtsteig des Sachsenspiegel-Landrechts“ behandelt. Es geht ihm darum, das prozessuale Handeln vor
Gericht und in dessen Vorfeld in Bezug
auf ihren Symbolgehalt zu erläutern. Er weist auf die Klagenvielfalt im Sachsenspiegel und die Systematisierungstendenzen
in Glosse und Richtsteig hin und
schließt daran Beobachtungen zur Rechtswirklichkeit des 15. und 16.
Jahrhunderts an und betont auch die
Bedeutung der Rüge.
Gerichtsakten der Strafjustiz waren manchmal mit Bildern, besonders Federzeichnungen, versehen, und zwar sind es Gerichtsbücher
reichsstädtischer Herkunft. Gerd Schwerhoff bringt dafür
zahlreiche Beispiele aus der Frühneuzeit und
interpretiert sie. Er betrachtet sie als Dokumente der Hoch- und
Blutgerichtsbarkeit und Nachweis eigener Souveränität sowie als gesteigerter
Ausdruck obrigkeitlicher
Selbstrepräsentation und Symbol der Justiz. In eine ähnliche Richtung
gehen die im 15. und 16. Jahrhundert für die neu erbauten Gebäude der Städte und die obersten Gerichtshöfe zahlreich
geschaffenen Gemälde oder auch Skulpturen,
wobei die Gerichte die Aufträge dazu gaben. Die Bilder waren nicht an das breite Publikum, sondern speziell an die
Richter gerichtet. Georges Martyn behandelt diese Exempla Iustitiae
für die Niederlande. Hauptsächlich sind es Darstellungen des Jüngsten
Gerichtes, der Gerechtigkeit und im 16. Jahrhundert auch das Urteil Salomons
und die keusche Susanna. Bilder aus dem 17. und 18. Jahrhundert sind es auch, die den dänischen König als Richter und
Gesetzgeber zeigen. Ditlev Tamm erläutert das für die
vorabsolutistische und absolutistische Zeit mit zahlreichen Bildern. In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
enden die Bilder, die den königlichen Richter porträtieren, was auch
damit zusammenhängt, dass mit der neuen Verfassung von 1849 die Rolle des Königs als oberster Richter aufhört.
Brig Louis
Carlen