Staatsanwaltschaft.
Europäische und amerikanische Geschichten, hg. v. Durand, Bertrand/Mayali,
Laurent/Padoa Schioppa, Antonio/Simon, Dieter (= Rechtsprechung 20).
Klostermann, Frankfurt am Main 2005. VIII, 422 S. Besprochen von Mathias
Schmoeckel.
Die internationale Arbeitsgruppe des Max-Planck-Instituts zur Geschichte der amerikanischen und kontinentaleuropäischen Gerichtsverfassung hat einen weiteren Sammelband mit „europäischen und amerikanischen Geschichten“ rund um den Staatsanwalt vorgelegt. Zur Abgrenzung von der erheblichen Historiographie, die in den letzten Jahren zu diesem Thema in vielen Ländern geschrieben wurde, soll der durch Tagungen auf Schloß Blankensee in Brandenburg und der Villa Vigoni am Comer See üppig vorbereitete Band vornehmlich der politischen Einflussnahme auf die Staatsanwaltschaft gewidmet sein. Was das jedoch heißt, wie diese ermessen werden soll und wie sich der Einfluss im Zusammenspiel der staatsanwaltlichen Aufgaben im übrigen auswirkt, wird weder im kurzen, recht allgemein gehaltenen Vorwort der Herausgeber noch in den Beiträgen näher definiert.
Wie schwer das Problem des politischen Einflusses zu beschreiben ist, macht der mit über 100 Seiten umfassende Beitrag von Maria Gigliola di Renzo Villata zur Staatsanwaltschaft und der Strafklage „als Kinder der Politik“ deutlich. Jedem Leser ist bewusst, dass sie sich einem der drängendsten politischen Fragen der italienischen Politik unter Ministerpräsident Berlusconi widmet. Mit äußerster Vor- und Umsicht nähert sie sich dem Problem als (Rechts-)Historikerin. Anders als Claudia Storti Storchi, welche in diesem Band die Entwicklung der italienischen Staatsanwaltschaft zwischen 1858 und 1930 vorwiegend institutionell betrachtet, macht Frau di Renzo Villata auf die politischen und persönlichen Zusammenhänge zur Politik aufmerksam und führt dabei tief in die politische Geschichte Italiens hinein. Resümierend will sie im Ergebnis kaum von einer allmählichen Abnahme des politischen Einflusses sprechen, sondern von einer anderen Typologie des Einflusses.
Die Beiträge sind daher recht heterogen in Bezug auf den behandelten Zeitabschnitt, die Fokussierung der Fragestellung oder in der Darstellung als Institutionen-, Justiz- oder politische Geschichte. Schon allein die amerikanischen Beiträge belegen die Bandbreite: Karl B. Shoemaker macht den Ursprung des amerikanischen prosecutor weder im englischen prosecutor, der erst 1879 geschaffen wurde, noch im niederländischen schout oder im Vorbild des französischen Revolutionsrechts, sondern in der gerichtlichen common law-Tradition des clerk und indictment aus. Roger Berkowitz fragt sich, warum sich die US-amerikanische Filmindustrie rund um Hollywood so wenig für die Staatsanwälte interessiert(e), und Mark Antaki zeigt, wie sich in den 1960/70er Jahren das plea bargaining und später der Grundsatz des „three strikes and you are out“ etablierte.
Vieles erfährt der Leser zum französischen Mutterland der Staatsanwaltschaft. Eric de Mari sieht, insoweit gegen das Vorwort, in der napoleonischen Anlage des ministère public nach 1810 durchaus liberale Anklänge, die sich später verlieren. Pascal Vielfaure stellt die gewichtige Rolle des ministère public in der Politik Louis-Philippes dar. Maria-Rosa Marrero untersucht die Abgrenzung von Strafverfolgung und gerichtlicher Ermittlung zur Trennung der Kompetenzen von Staatsanwaltschaft und Gericht und zeigt einen erheblichen Graubereich dogmatischer und politischer Natur auf. Jean-Louis Bilon fragt nach dem Entscheidungsspielraum der Staatsanwaltschaft und diagnostiziert zwar einen Rückgang des politischen Einflusses, doch bleibt dessen Notwendigkeit, wie die gescheiterte Gesetzesreform von 2000 zeigt, bis zur Gegenwart strittig. Bernard Durand weist auf die französischen Kolonien hin, wo man mit der Aufgabe der Gewaltenteilung die zentrale Verwaltungsposition stärken und damit die Rechtsordnung verteidigen wollte, obgleich damit ein Verzicht auf Rechtsstaatlichkeit verbunden war. Dieser Widerspruch wurde übersehen.
Gerade die deutschen Beiträge verdeutlichen, dass die Aufsätze unterschiedlich gut gelungen sind. Rainer Maria Kiesow sammelt literarische Darstellungen des Staatsanwalts vorzugsweise als ‚böse’ Figur. Dies wirkt wie eine Vorstudie zu Barbara Frenzels „Stoffe“ bzw. „Motive der Weltliteratur“. Seine geschraubte Sprache, die noch am ehesten an den Neorokkoko von Wolf von Niebelschütz’ „Blauen Kammerherrn“ erinnert, scheint eher belletristische als wissenschaftliche Ambitionen zu verraten. Lorenz Schulz betont den Gewinn an sicherer Erkenntnis durch die Einführung der Staatsanwaltschaft. Barbara Dölemeyer schließlich legt eine grundlegende und wichtige Studie zur Rolle der Staatsanwaltschaft im Rheinland seit der Einführung bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts vor. Beeindruckend ist die Fülle der untersuchten Aspekte. Dölemeyer belegt, wie sehr die Institution als liberale Errungenschaft geschätzt wurde.
Insgesamt bilden die thematisch nur lose miteinander verbundenen Beiträge einen Band mit Höhen und Tiefen, der einige wertvolle Einblicke in die Geschichte der Staatsanwaltschaft bietet.
Bonn Mathias Schmoeckel