Siciliano, Domenico, Das Leben des fliehenden Diebes – ein strafrechtliches Politikum (= Frankfurter kriminalwissenschaftliche Studien 79. Lang, Frankfurt am Main 2005. 299 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Darf der angegriffene Eigentümer den mit der Beute fliehenden Dieb erschießen? Diese Frage wird vielfach unter der Voraussetzung bejaht, dass der Angriff des Diebes auf das Eigentum nicht geringfügig oder nicht unerheblich ist. Der von Mailand nach Frankfurt am Main gekommene und danach in Florenz tätige Verfasser versucht in seiner 2002 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Frankfurt am Main angenommenen, von Winfried Hassemer betreuten Dissertation die Herkunft dieser Ansicht zu ermitteln.

 

Zu diesem Zweck führt der Verfasser im ersten kurzen Kapitel in die Problematik ein und schildert den Gegenstand seiner Arbeit und die von ihm gewählte diskursive Methode der Behandlung. Danach untersucht er im zweiten Kapitel den Kampf ums „Notwehrrecht zu töten“ an Hand des § 32 StGB. Dabei erörtert er insbesondere die Einschränkung des Notwehrrechts durch ungeschriebene Tatbestandsmerkmale z. B. bei Krey, Roxin, Beulke, dem Landgericht München oder Klesczewski. Am Ende betrachtet er in Umkehrung der Strategie des Notwehrrechts das Recht des fliehenden Diebes auf Leben an Hand des Art. 2 EMRK, des Verhältnismäßigkeitsprinzips (Schroeder), des Rechts  auf Leben als zivilisatorische Errungenschaft (Amelung), des Rechts auf Leben als Inkommensurables (Bernsmann) oder des Rechts auf Leben aus der Verfassung (Lührmann).

 

Im dritten Kapitel äußert er sich zur Rekonstruktion des Notwehrrechts zu töten in der Geschichte des deutschen Strafrechts, wobei er mit der tödlichen Sachwehr in der Constitutio Criminalis Carolina beginnt. Für das gemeine Recht kann er Vertreter des Verbots der tödlichen Sachabwehr (Valentin Voltz, Georg Obrecht, Johannes Harpprecht) der Lehre des scharfen Notwehrrechts gegenüberstellen, wie sie etwa von Andreas Gail oder Benedikt Carpzov mit Hinweis auf die harten Strafen für Diebe und deren Gefährlichkeit befürwortet wird, wobei sich nach seinen Ergebnissen die Notwehrlehre in puncto Eigentumsschutz durch die Faktizität des Galgens und die Absprache der Menschenqualität gefährlicher Diebe und Räuber von christlichen und humanistischen Lehren verabschiedet und durch Säkularisierung in die Moderne eintritt.

 

Am Ende des 18. Jahrhunderts stellt er als Folge der theoretisierten Milderung bzw. Humanisierung der Strafen auch Stimmen zu Gunsten des Lebens des fliehenden Diebes fest (Globig, Huster, Suarez). Sie können sich aber gegenüber liberalen Vorstellungen, dass rechtlos sei, wer sich außerhalb des Schutzes des Staates stelle (Klein, von Grolman, Feuerbach, Grattenauer) nicht durchsetzen. Danach ist es erlaubt, den Besitz eines Hellers durch die Tötung des Diebes zu verteidigen, weil das Recht dem Unrecht nicht zu weichen brauche.

 

In der Mitte des 19. Jahrhunderts setzt sich zwar Savigny für eine Einschränkung ein, das Strafgesetzbuch Preußens von 1851 sieht aber ein allgemeines Notwehrrecht vor. Dies gilt noch heute, wenn intensiv diskutiert wird, ob eine relativ geringfügige Beute zur Tötung des fliehenden Diebes berechtigt. Insgesamt ein bedeutsamer Überblick über die geschichtliche Entwicklung einer interessanten Frage, deren Fortgang noch offen ist.

 

Innsbruck                                                                                                                  Gerhard Köbler