Schröder, Jan, Recht als Wissenschaft.
Geschichte der juristischen Methode vom Humanismus bis zur historischen Schule.
Beck, München 2001. XIV, 327 S. Besprochen von Clausdieter Schott.
Der Buchtitel setzt zunächst die Feststellung voraus, dass es ein nichtwissenschaftliches und ein wissenschaftliches Recht gibt, provoziert sodann aber die Frage, was die Wissenschaftlichkeit des Rechts ausmacht. Die Antwort gibt der Untertitel: eine Methode, genauer die juristische Methode. Sogleich stellt sich die weitere Frage ein, was man unter einer solchen zu verstehen hat. Der Verfasser definiert „juristische Methode“ als „das Verfahren, festzustellen, was generell oder in einem bestimmten Fall praktisch anwendbares Recht ist“ (1). Greifbar wird dieses Verfahren vor allem in der Methodenlehre, d. h. in den juristischen Theorien. Mit dieser einführenden Umschreibung ist dann auch das weite Gebiet bezeichnet, dessen historische Dimension durch die vorliegende Arbeit erschlossen und vermessen werden soll. Metapher aus der kartographischen Pionierzeit sind durchaus angebracht, handelt es sich hier doch um ein Werk, das ohne Übertreibung als bahnbrechend bezeichnet werden darf.
Eine methodengeschichtliche Gesamtdarstellung ist ein schon lange angemahntes Desiderat, so dass der sonst abgegriffene Ausdruck vom Schließen einer Lücke hier einmal zu Recht am Platze sein dürfte. Das Buch ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen, intensiven Forschungstätigkeit, die ihren Niederschlag bereits in zahlreichen einschlägigen und weiterführenden Publikationen gefunden hat (siehe Literaturverzeichnis). Darüber hinaus war der Verfasser stets bemüht, aus der juristischen Methodenisolation herauszutreten, indem er den Kontakt zu den Nachbardisziplinen suchte (vgl. die vom Verfasser 1998 und 2001 herausgegebenen Sammelbände im Literaturverzeichnis).
Die Darstellung ist schon dadurch bemerkenswert, dass sie nicht erst hinter der Rechtsquellenlehre einsetzt, sondern diese mit einbezieht. Damit öffnet der Verfasser den Blick für die tatsächliche Verschränkung von Rechtsquellenlehre und Methodenlehre und gewinnt so einen weiteren Erkenntniszuwachs.. Bei der Methodenlehre selbst wird deutlich unterschieden zwischen der Argumentationstheorie und der Interpretationstheorie. Diese getrennte Betrachtungsweise drängt sich nicht nur historisch auf, vielmehr handelt es sich um zwei grundsätzlich verschiedene Zugänge zum Rechtsstoff. Der Hinweis ist nicht selbstverständlich, da diese Einsicht der modernen juristischen Methodenlehre weitgehend abhanden gekommen zu sein scheint. Einen dritten Themenkomplex innerhalb der Methodenlehre bilden die „Theorie der wissenschaftlichen Rechtsfindung“ beziehungsweise die dieser vorgelagerten wissenschaftlichen Ordnungsvorstellungen.
Der Darstellung liegt eine zeitliche, aber auch sachlich gebotene Dreiteilung zugrunde: Im ersten Zeitabschnitt (1500-1650) sind auf christlich-naturrechtlichem Hintergrund mittelalterliche Traditionen zwar weiterhin gegenwärtig, jedoch sind deutliche innovierende Bewegungen zu vermerken. Die zweite Zeitspanne (1650-1800) steht im Zeichen des dualistischen Rechtsbegriffs der Aufklärung und der Entdeckung einer konstruktiven Vernunft und der Geschichte. Der dritte Teil (1800-1850) widmet sich dem Methodenverständnis der „organisch“-positiven Rechtskonzeption. Angekündigt ist ein zweiter Band, der sich mit der Entwicklung der juristischen Methodenlehre bis zur Gegenwart befassen soll. Man mag es bedauern, dass Schröders Methodengeschichte erst mit der frühen Neuzeit einsetzt und das Mittelalter völlig ausspart beziehungsweise nur tangiert. Jedoch bedarf eine zeitliche Beschränkung nur dann einer Rechtfertigung, wenn sie problematisch sein sollte. Dies ist sie bei der hier abgehandelten Materie aber gewiss nicht und man wird es eher als Qualitätsausweis zu nehmen haben, dass sich der Verfasser an seine eigentliche Kompetenz gehalten hat. Dennoch sei an dieser Stelle der Wunsch erlaubt, dass sich in Zukunft ein in gleicher Weise berufener Autor finden möge, der eine Gesamtdarstellung der juristischen Methodengeschichte des Mittelalters vorlegt.
Der Verfasser hat sich zum Ziel gesetzt, die juristische Methodenentwicklung im kontinentalen Europa der Neuzeit aufzuarbeiten. Diesem Anspruch lässt sich indessen nur durch Schwerpunktbildung und exemplarische Demonstration gerecht werden. Dass dabei die deutsche Literatur stärker ins Gesichtsfeld rückt als die vergleichbare außerdeutsche, ist nachvollziehbar, zumal auch dabei Rang und Rolle des deutschen Beitrags gewahrt bleiben. Konkret heißt dies, dass im ersten Zeitabschnitt der deutsche Anteil eher zurücktritt, während er im zweiten Teil immerhin repräsentativ sein dürfte, jedoch dann im 19. Jahrhundert durchaus Maßstäblichkeit gewinnt.
Jan Schröder führt den Leser durch ein zunächst schier undurchdringlich scheinendes Dickicht, das sich erst im Verlauf der späteren Wegstrecke zunehmend lichtet. Anders ausgedrückt, in einer disparaten und nur schwer auf einen Nenner zu bringenden Materie bleibt doch stets ein roter Faden sichtbar, bis sich die unterschiedlichen Ansätze schließlich in einem verhältnismäßig konsensualen Kanon, mindestens aber in fasslicheren Modellen zusammenfinden.
Die historische Entwicklung der juristischen Methodenlehre zeigt sich augenfällig beim Verhältnis zwischen Argumentationstheorie und Interpretationstheorie. Während die Argumentationslehre (Topik) im ersten Teil das Methodendenken nahezu ganz beherrscht, kann im zweiten Teil deren Zusammenbruch konstatiert werden, und im dritten Teil bleibt für die Topik überhaupt nur noch eine Fehlanzeige übrig. Komplementär dazu entfaltet sich die Hermeneutik aus bescheidenen Anfängen, gewinnt sodann an Boden, um schließlich alleine das Feld zu behaupten. Dieser Prozess ist letztlich nur erklärlich, wenn man ihn auf dem Hintergrund eines sich wandelnden Rechtsquellenverständnisses sieht. Auch unter diesem Gesichtspunkt erhält Schröders Vorgehensweise ihre Bestätigung. Im Übrigen lassen die Ausführungen zur Topik an Klarheit und Informationsgehalt nichts zu wünschen übrig, und es ist zu hoffen, dass damit die künftige Befassung mit dieser Materie nicht mehr mit allzu vielen Missverständnissen belastet ist. Zu diesen gehört auch die ständig wiederholte Behauptung, dass die logisch-philosophische Topik ihren Sitz in der Rhetorik hätte.
Im Gegensatz zur Topik, die auf antike Tradition zurückgeht, entwickelt sich die Interpretationslehre, abgestützt auf einige Digestenstellen, autochthon. Bei verschiedener Gewichtung im Einzelnen setzt sich allmählich die Dreiteilung in eine deklarative, restriktive und extensive Interpretation durch. Das Hauptinteresse gilt indessen lange der ausdehnenden Interpretation und deren Sonderproblemen bei „korrektorischen“, „exorbitanten“, „odiosen“ und Straf-Gesetzen. Im Bereich der Ausdehnung bildet die Interpretationstheorie mit der Argumentationslehre und deren „a simili“-Argument eine gemeinsame Schnittmenge, und beide bedienen sich auch des gleichen Anschauungsmaterials. Deklarative, restriktive und extensive Interpretation werden ihrerseits wieder als Elemente der so genannten doktrinalen Interpretation verstanden, der als weitere Interpretationsarten die usuale und die authentische Interpretation gegenübergestellt werden. Damit ist für längere Zeit das äußere Interpretationsmodell festgelegt. Als Urheber dieser Einteilung vermutet Schröder – gewiss zu Recht – den spanischen Theologen Francisco Suarez, der sich in seinem Traktat „De legibus ac deo auctore“ (1612) der besagten Formulierung bedient. Verwunderlich ist, dass die Urheberschaft von Suarez sehr rasch in Vergessenheit geriet, obwohl das Schema bald rezipiert wurde und vor allem in Deutschland gemeinhin Verwendung fand.
Ein besonderes Augenmerk des Verfassers gilt den im 16. Jahrhundert verstärkt einsetzenden Ordnungsbemühungen, für welche zunächst allein der Begriff „methodus“ gebräuchlich war. Entgegen einer seit Roderich Stintzing verbreiteten Meinung vermag Schröder in allen diesen Anstrengungen zur Stofferfassung, gleich ob dihairetisch, synthetisch beziehungsweise analytisch oder sonst wie ausgerichtet, noch keine wissenschaftliche Rechtsfindung durch Systembildung zu erkennen. Er überzeugt mit der Feststellung, dass diese Ordnungsvorstellungen bei aller Produktivität letztlich nicht Neues hervorbringen, auch gar nicht hervorbringen wollen.
Die im zweiten Teil abgehandelte Phase der juristischen Methodengeschichte steht ganz unter dem Dualismus Naturrecht und positives Recht. Es ist hier nicht der Platz, die nun einsetzende Rationalisierung und Positivierung des Rechts mit ihren Implikationen nachzuzeichnen. Erwähnt werden muss aber die zentrale Stellung von Thomasius, der eine Reform der juristischen Interpretationstheorie einleitet. Mit einem gewissen Erstaunen nimmt man zur Kenntnis, dass ein eher unprätentiöses, noch dazu deutsch geschriebenes Werkchen wie die „Ausübung der Vernunft“ (1691) zu solch nachhaltigen Anstößen Anlass geben konnte. Steht hier der Name Thomasius als Schlüsselfigur, so ist es im dritten Teil, wie nicht anders zu erwarten, vor allem Savigny, der sowohl in der Rechtsquellen- wie auch in der Interpretationslehre prägende Wirkung entfaltet. Der „organisch“-positive Rechtsbegriff der historischen Rechtsschule geht von einem zwar zeitlich nicht abgeschlossenen, jedoch jeweils vollständigen Kulturbegriff aus, der auch das Element des Rechts einbezieht. Dies bedeutet eine radikale Abkehr vom überkommenen Rechtsdualismus, ebenso aber auch, wie Schröder klarstellt, eine Distanz zu Kants Rechtsbegriff. Die geschichtlich-positive Rechtskonzeption konnte nicht ohne Folgen für die Interpretationslehre bleiben, zumal seit 1800 vornehmlich durch Schlegel und Schleiermacher gerade die Hermeneutik verstärkt Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses wurde. Schröder unterteilt diese dritte neuzeitliche Phase juristischer Methodengeschichte in zwei durch die Jahreszahl 1830 markierte Unterabschnitte, in denen Savigny jeweils mit seinen unterschiedlichen oder verschieden entwickelten Konzepten vertreten ist. Beschränkt sich der Interpretationsbegriff in den ersten Jahrzehnten noch auf exegetische Operationen im Sinne einer “Rekonstruktion eine Gedankens“, so werden zur Jahrhundertmitte hin nicht zuletzt auch bei Savigny Kompromisse mit der traditionellen Interpretationslehre eingegangen, und es wird „der alte Katalog des Thomasius, erweitert um das ‚systematische’ Element, im Wesentlichen wieder hergestellt“ (221).
Dass die historische Schule einen besonders fruchtbaren Boden für die Theorie der wissenschaftlichen Rechtsfindung abgab, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Man horcht daher auf, wenn der Verfasser feststellt, dass in der modernen rechtsgeschichtlichen Literatur die Theorie dieser geschichtlich-positiven Rechtswissenschaft noch stärker vernachlässigt worden sei als andere Abschnitte der juristischen Methodengeschichte. Die Polemik der Freirechts- und Interessenjurisprudenz und die lautstarke Denunzierung als sterile „Begriffsjurisprudenz“ haben in der Tat dazu geführt, dass man über Simplifikationen und Klischees nicht mehr hinauskam und den idealistischen Rechtsbegriff der Schule verkannte. Die hier nötige Korrektur gipfelt bei Schröder in der Feststellung, „dass nun erstmals in der Geschichte der neuzeitlichen Jurisprudenz eine positive, auf das geltende Recht gerichtete Rechtswissenschaft entsteht“ (245).
Das Buch ist ohne Zweifel ein großer Wurf, bei dem man geringfügige – subjektive - Kritikpunkte gerne zurückstellt. Der Verfasser hat ein immenses und sprachlich oft sprödes Quellenmaterial gesichtet und verarbeitet und ist dabei nicht der Verlockung erlegen, einen schwer genießbaren, dicken „Wälzer“ zu schreiben. Bestechend ist überhaupt die klare, schnörkellose Sprache, die beweist, dass man ein höchst kompliziertes Thema verständlich darstellen kann. Dass die Zitate grundsätzlich in deutscher Übersetzung erscheinen, dürfte ein Zugeständnis an den heutigen Leserhorizont sein. Alles in allem wird das Buch seinem Anspruch, eine umfassende Darstellung der Geschichte der Rechtsquellen- und Methodenlehre der frühen Neuzeit zu sein, in jeder wünschbaren Hinsicht gerecht.
Zumikon Clausdieter Schott