Schneider, Christina, Die SS und „das Recht“. Eine
Untersuchung anhand ausgewählter Beispiele (= Rechtshistorische Reihe 322).
Lang, Frankfurt am Main 2005. 278 S. Besprochen von Heinz Müller-Dietz.
Die Kieler Dissertation schlägt ein bisher weitgehend
unbearbeitetes juristisches Kapitel des nationalsozialistischen Regimes auf.
Wohl ist das Verhältnis der NSDAP zum Recht und zur Justiz – schon was die
Weimarer Epoche betrifft – monografisch untersucht worden (Manfred Krohn, Die
deutsche Justiz im Urteil der Nationalsozialisten 1920-1933, 1991). Erst recht
gilt dies für die Tendenzen zur Instrumentalisierung von Gesetzgebung,
Rechtsprechung und Rechtslehre im weltanschaulich-ideologischen Sinne während
des „Dritten Reiches“ selbst. Doch haben die einschlägigen Bestrebungen einer
der machtvollsten Organisationen der NS-Zeit, der SS, soweit ersichtlich,
bisher nicht die ihr zukommende rechtsgeschichtliche Beachtung gefunden. Diese
Lücke will die Studie Christina Schneiders schließen.
Die Verwirklichung des Vorhabens ist freilich auf nicht
unerhebliche Schwierigkeiten gestoßen. Vor allem hinsichtlich der Tätigkeit
eines bedeutsamen Teils der SS, des 1931 in München gegründeten
Sicherheitsdienstes (SD), ist die Aktenlage ausgesprochen schlecht. Das hat die
Verfasserin denn auch dazu veranlasst, mehrere andere Zugänge zum Thema zu
suchen und zu benutzen. So hat sie sich in starkem Maße auf bereits
veröffentlichte Quellen gestützt. Nicht zuletzt hat ihr vielfacher Rückgriff
auf Biografien maßgeblicher Funktionäre der SS und des SD zu einer deutlichen
Personalisierung der Darstellung geführt.
Dementsprechend hat Christina
Schneider ihrem Gedankengang zunächst indirekte Einflussnahmen der
SS auf Gesetzgebung, Rechtspraxis und Rechtswissenschaft in publizistischer
Form durch einschlägige Beiträge im „Sprachrohr der SS“, in der von 1935 bis
1945 erschienenen Wochenzeitung „Das Schwarze Korps“, sowie die vom SD von 1936
bis 1944 nachrichtendienstlich erlangten rechtsrelevanten „Berichte zur
innenpolitischen Lage“ (seit 1939 als „Meldungen aus dem Reich“ bezeichnet)
ausgewertet. In einem weiteren Schritt hat sie dann die eher direkten
Einflussnahmen des SD auf die Rechtswissenschaft im Wege der Hochschulpolitik,
insbesondere der Berufungspraxis, untersucht. Wiederum der dürftigen Aktenlage
wegen hat sie dabei einmal mehr den biografischen „Umweg“ über
„Schlüsselfiguren“ der Zeit eingeschlagen. Als solche traten vor allem der
Staatswissenschaftler Reinhard Höhn (1904-2000) und der Rechtshistoriker Karl
August Eckhardt (1901-1979), die beide im „Dritten Reich“ eine steile Karriere
zu verzeichnen hatten, in Erscheinung. Auf Grund ihrer verschiedenen Ämter und
Funktionen gehörten sie sowohl dem SD als auch rechtswissenschaftlichen
Fakultäten an und konnten zugleich beachtlichen Einfluss auf die
Hochschulpolitik ausüben.
Die Verknüpfung der verschiedenen Befunde förderte ein
bemerkenswertes, in mancher Hinsicht erstaunlich erscheinendes Gesamtbild
zutage. Das betrifft natürlich weniger die von der Verfasserin einleitend
dargestellte komplexe Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der SS selbst,
die aus der Stabswache Hitlers hervorgegangen ist und früh schon ihren elitären
Charakter demonstrativ hervorkehrte. Die zeitgeschichtliche Forschung hat
dieser Thematik längst eingehende Studien gewidmet. Das gilt auch für die von Christina
Schneider skizzierte Gründungs- und Verlaufsgeschichte des seit 1935
bestehenden und dem sog. „Reichsführer SS“ Himmler unterstellten Sicherheitshauptamtes,
das dann 1939 im umfassend ausgestalteten (weil neben dem SD auch die Gestapo
und die Kriminalpolizei einschließenden) Reichssicherheitshauptamt (RSHA)
aufging.
Doch erscheint insoweit bereits die Erkenntnis der
Verfasserin auffallend, dass die Juristen unter den Akademikern in der SS die
größte Berufsgruppe bildeten und in der Führungsbasis des SD gleichfalls stark
vertreten waren. Als Beispiele dafür figurieren in der Studie namentlich so
bekannte Amtsträger wie Ernst Kaltenbrunner (1903-1946), Werner Best
(1903-1989), Otto Ohlendorf (1907-1951) und eben Reinhard Höhn. Erst recht erscheint
der hohe Anteil von Beiträgen mit juristischem Einschlag im „Schwarzen Korps“
bemerkenswert. Sie hatten vorrangig Themen aus dem Alltag des „Dritten Reiches“
zum Gegenstand – offensichtlich aus der Zielsetzung heraus, auf diese
„volksnahe“ Weise am stärksten auf die Gerichts- und Gesetzgebungspraxis im
Sinne der NS-Ideologie Einfluss nehmen zu können. Die Verfasserin wartet
insoweit mit einer ganzen Reihe von Artikeln aus dem Zivilrecht (über
Generalklauseln im Bürgerlichen Gesetzbuch, zum Miet-, Familien-, insbesondere
Eherecht, und zum Gesetz zur Bereinigung alter Schulden von 1938), zum
Strafrecht (Delikte gegen Leib und Leben) sowie zum Berufsstand der Juristen,
namentlich zum sog. NS-Rechtswahrerbund, auf. Sie unterzieht diese Beiträge,
die vor allem an gerichtlich entschiedene Fälle anknüpfen, jeweils einer
rechtlichen Bewertung.
Freilich stoßen hier die bekannten Kriterien
rechtsstaatlicher (Gesetzes-)Auslegung alsbald an ihre Grenzen. Ein geradezu
groteskes Beispiel, das zugleich erkennen lässt, wie die NS-Rassenideologie an
ihrer eigenen „Logik“ scheiterte, bildete etwa die Frage, ob das strafbewehrte
Verbot der Abtreibung (§ 218 StGB) auch für Jüdinnen gilt. Waren doch die
Beiträge im „Schwarzen Korps“ entscheidend vom Bestreben geleitet, der
nationalsozialistischen Ideologie, namentlich dem Rassegedanken, auch und
gerade im Recht und in seiner Anwendung zum Durchbruch zu verhelfen. Dabei
scheuten die Autoren zuweilen selbst vor Verkürzungen von Sachverhalten nicht
zurück, was gelegentlich sogar Richtigstellungen in der Fachpresse (z. B. 1939
in der „Deutschen Justiz“) zur Folge hatte. Dem Berufsstand der Juristen, nicht
zuletzt den Richtern, stand das
„Schwarze Korps“ überaus kritisch
gegenüber. Von einer sachlichen Rechts- und Urteilskritik konnte angesichts des
NS-Jargons und der „äußerst populistischen Form der Darstellung“ keine Rede
sein (S. 168).
Auch in der Auswahl juristisch relevanter „Meldungen aus dem
Reich“, welche die Verfasserin getroffen hat, dominieren unter dem vom SD
selbst vorgegebenen Rubrum „Verwaltung und Recht“ vor allem
nachrichtendienstliche Berichte über Fälle aus dem Miet- und Eherecht, während
auf strafrechtlichem Gebiet Fragen des Strafprozesses und des Kriegsstrafrechts
im Vordergrund stehen. Dabei waren für den SD einmal mehr zwei Zielsetzungen
für die Berichterstattung und ihre Auswertung zentral: die Umgestaltung des
geltenden Rechts und seiner Anwendung im Sinne der NS-Ideologie und ab 1939 die
Tendenz, dem kriegsbedingten Wandel der Verhältnisse Rechnung zu tragen.
Überhaupt konstatiert die Verfasserin von Kriegsbeginn an einen wachsenden
Einfluss der SS auf die Rechtsentwicklung und Rechtshandhabung. Dem dürfte auch
der zunehmende Bedeutungsverlust rechtsstaatlicher Denk- und Handlungsmuster –
der freilich schon vor 1939 in massiver Weise eingesetzt hat – entsprochen
haben.
Die Einflussnahmen des SD auf die Rechtswissenschaft
veranschaulicht Christina Schneider – wie angedeutet – vor allem an den
Biografien Eckhardts und Höhns, die sich als überzeugte Nationalsozialisten im
„Dritten Reich“ auf wissenschaftlichem und hochschulpolitischem Gebiet sowie
als Amts- und Funktionsträger des SD gewichtige Gestaltungsmöglichkeiten zu
verschaffen wussten. Dabei unterschieden sich die beiden Professoren fraglos
durch Qualität und Umfang ihrer wissenschaftlichen Leistungen. Den
rechtsgeschichtlichen Studien, die Eckhardt etwa vor 1933 vorzuweisen hatte,
dürften die staatswissenschaftlichen Arbeiten Höhns schwerlich an Rang
ebenbürtig gewesen sein. Die Einflussnahmen Eckhardts auf die Hochschulpolitik
dokumentiert die Verfasserin vor allem am Beispiel der vielerörterten „Kieler
Schule“, namentlich der Entlassungs- und Berufungspraxis der dortigen
rechtswissenschaftlichen Fakultät nach der „Machtergreifung“. Damit gerät
zwangsläufig der bereits anderweitig eingehend analysierte „Fall“ des
Rechtshistorikers Eugen Wohlhaupter in den Blick. Der Gelehrte vermochte sich
im nationalsozialistisch geprägten Universitätsmilieu nicht durchzusetzen.
Andererseits wurde ihm aber nach 1945 seine Distanz gegenüber der NS-Ideologie
auch nicht zugute gehalten. Seine Ende 1946 erfolgte Wiedereinsetzung in sein
Amt sollte er nicht mehr erleben. Nicht nur der Verfasserin drängt sich
insoweit der Vergleich mit anderen Fällen (wie etwa demjenigen von Karl Larenz)
auf, in denen Rechtswissenschaftler, die im „Dritten Reich“ reussierten, nach
1945 ihre Karriere ohne größere Schwierigkeiten fortsetzen konnten. Insgesamt
unterstreicht das Kapitel über die hochschulpolitischen Einflussnahmen auf die
Rechtswissenschaft einmal mehr die Tendenz, Recht und Staat im Sinne der
NS-Ideologie zu indoktrinieren. Wer über systemkonforme Köpfe verfügt, herrscht
auch über die Institutionen, die sie vertreten.
In dieses Bild passt auch die rechtsstaatlich überaus
problematische Entwicklung des Verhältnisses zwischen SS und Justiz, die im
Schlusskapitel der Studie – im Zusammenhang mit einer Analyse der NS-Kritik an
Urteilen in sog. „Rassenschande-Prozessen“ - zur Sprache kommt. Hier wird nicht
nur erneut „das Selbstverständnis des SD“ deutlich, das „die Einflußnahme auf
die Gesetzgebung und Justiz als Teil der Aufgabenteilung im NS-Staat“ begriff
(S. 253), sondern auch die These formuliert, dass die SS von Kriegsbeginn an
eine deutlich stärkere Machtposition innerhalb des komplexen und von Spannungen
durchzogenen Herrschaftssystems einnahm (S. 258). Das alles mündet schließlich
in der von der Verfasserin durch verschiedene Quellen belegten Feststellung,
dass „der Einfluß, den die SS bzw. der SD auf die Rechtsordnung, die Justiz und
die Rechtswissenschaft ausgeübt hat“, „nicht nur äußerst vielschichtig, sondern
im Ergebnis auch bedeutend größer als bisher angenommen“ war (S. 261).
Saarbrücken Heinz
Müller-Dietz