Schmelz, Christoph, Die Entwicklung des Rechtswegestaates am Beispiel der Trennung von Justiz und Policey im 18. Jahrhundert im Spiegel der Rechtsprechung des Reichskammergerichts und des Wismarer Tribunals (= Schriften zur Rechtsgeschichte 117). Duncker & Humblot, Berlin 2004. 174 S., Abb. Besprochen von Thomas Simon.
Der Autor möchte
zeigen, wie sich die modernen Rechtsbehelfe gegen hoheitliche Eingriffe im
Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts herausgebildet haben. Ausgangspunkt der
Darstellung ist ein häufig zitiertes Diktum des Kammergerichtsassessors Johann
Ulrich Freiherr von Cramer zur Justitiabilität von Policeysachen, das sich in seinen bekannten Wetzlarischen Nebenstunden
veröffentlicht findet: Polizeisachen sollen danach „an und für sich betrachtet
auch bei den höchsten Reichsgerichten kein objectum iustitiae“ sein, es sein
denn, daß dabei auch Individualrechte („jura
et laesiones partium“) betroffen sind, wodurch eine Policeysache zur
Justizsache werde. Vor dem Hintergrund der im 18. Jahrhundert geführten
Diskussion um die Justitiabilität der Policeysachen und die Zulässigkeit der
sog. Kammerjustiz sucht der Autor die allmähliche Durchsetzung modernen
rechtsstaatlichen Denkens darzustellen. Er will dies vor allem anhand der
Rechtsprechung des Reichskammergerichts sowie der Oberinstanz für die seit dem
Westfälischen Frieden schwedischen Gebiete im Reich, dem
Oberappellationsgericht in Wismar zeigen; die „Standhaftigkeit“ des Wismarer
Tribunals gegenüber dem schwedischen König markiere „einen weiteren Baustein
für den Weg der Judikative aus der babylonischen Gefangenschaft der Exekutive“
(S. 130).
Wesentlich Neues wird man der Arbeit nicht
entnehmen können. Dass sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts die
„Emanzipation der Rechtsprechung aus monarchischer Einflußnahme“ (S. 81)
beobachten lässt, gehört geradezu zu den klassischen „Erfolgsnummern“ der
überlieferten Justizgeschichte, wie man sie in jedem Lehrbuch der
Rechtsgeschichte nachlesen kann. Leider verschweigt der Autor, dass die von ihm
so gerühmte „Standhaftigkeit“ des Wismarer Tribunals gegenüber dem König auch
ihren Preis hatte: Sie ist Ausdruck einer durch die schwedische Krone kaum
begrenzten Ständeherrschaft vor allem in Vorpommern, für die nicht zuletzt die
Bauern die Zeche zu zahlen hatten. Hier hätte man gerne gewusst, ob und
inwieweit es neben dem Richtermut gegenüber dem Thron in Stockholm auch eine
entsprechende Unabhängigkeit gegenüber den adeligen Standesgenossen im Lande
gab.
Auch dort, wo der Autor die Diskussion um die
Abgrenzung von Policey- und Justizsachen und deren Justitiabilität
nachzeichnet, beschränkt er sich im wesentlichen auf eine Auswertung und
Zusammenfassung der vorliegenden Sekundärliteratur. Schmelz spricht dabei von
„einer Kompetenzerweiterung“ und von der „Ausdehnung der
Jurisdiktionsbefugnisse“ zugunsten der Justiz (S. 97), die am Ende des 18.
Jahrhunderts erreicht worden seien. Aber es ist doch sehr fraglich, ob man hier
wirklich von einer „Kompetenzerweiterung“ zugunsten der ordentlichen
Justizorgane sprechen kann. Vieles deutet darauf hin, dass es umgekehrt die
Landesherren waren, die im Interesse erweiterter policeylicher
Gestaltungsfreiheit das traditionelle Zuständigkeitsareal der häufig ständisch
dominierten Justiz zu beschneiden suchten, wogegen sich letztere zur Wehr
setzte.
Zu dem eher bescheidenen Ertrag der Arbeit steht
ihr etwas aufgedonnerter sprachliche Stil in auffallendem Gegensatz: Was mag es
wohl heißen, wenn der Autor zu seinem „methodischen Procedere“ schreibt,
„Gegenstand der Arbeit“ seien „sog. schlüsselspezifische Ansätze aus
Zeitenwenden in Wendezeiten respective aus Wendezeiten in Zeitenwenden, die als
Schlüsselaspekte die rechtshistorische Bewußtseinsbildung markieren“?
Wien Thomas
Simon